Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 15-16

zm 109, Nr. 15, 16.8.2019, (1668) - , 16.8.2019, (1668) 10 Leserforum Neue Paro-Klassifikation – In dieser Form keine wirkliche Hilfe \ Zum Beitrag „Neue Klassifikation parodontaler und periimplantärer Erkrankungen und Zustände“, Teil 1 zm 11/2019, S. 77–81. Wenn ich als alter (Paro-)Hase – ich konnte vor 50 Jahren nur mit Unterstützung eines Bürgen in die Gesellschaft für Periodonto- logie der DDR eintreten – die neue Einteilung parodontaler Erkrankungen betrachte, kom- men mir Fragen und Assoziatio- nen. Ich habe schon viele ver- schiedene Klassifikationen erlebt und anfangs sogar eine Zeit, in der sich Fachleute wegen der verschiedenen Krankheits- bezeichnungen nicht mehr or- dentlich verständigen konnten. Deswegen weiß ich auch, wie wichtig einheitliche Krankheits- bezeichnungen sind. Was erwartet ein Praktiker von den Spezialisten der Hochschule? Hinsichtlich der Klassifikation er- wartet er natürlich, dass die Parodontologen fähig sind, den neuen wissenschaftlichen Stand des Fachgebietes zusammenzu- fassen, übersichtlich zu ordnen und dabei zu abstrahieren, um dem Praktiker ein brauchbares Instrument in die Hand zu ge- ben, damit Volkserkrankungen wie die Gingivitis oder die Paro- dontitis sicher eingeordnet und behandelt werden können. Es scheint so, als ob den Hoch- schullehrern die Umstände des zahnärztlich-praktischen Arbei- tens in Deutschland wenig be- kannt sind, denn von einer brauchbaren Einordnung der Parodontalerkrankungen kann allein wegen des Zeitaufwands der Untersuchung und der Dokumentation sowie wegen des wortmäßigen Umfangs der Klassifikation keine Rede sein. Dabei spielt unsere heimische Sprache Deutsch eine immer geringere Rolle. Der Nicht-Paro- dontologe steht vor einem unübersichtlichen Wirrwarr aus fremdartigen Begriffen und Ab- kürzungen. Wer soll dieses Monster in Fortbildungen so vermitteln, dass beim Rezipien- ten auch etwas ankommt? Die letzte Klassifikation von 1999 konnte im Jahr 2000 in der „Parodontologie“ auf vier Seiten zusammengefasst und durch die Fachgesellschaft auf etwa 80 Seiten kommentiert werden. Selbst diese Nomenklatur ist nach 20 Jahren noch nicht über- all in den Praxen angekommen. Mir fallen Röntgen- und Strah- lenschutzverordnungen ein, die ebenso wie Fortbildungsord- nungen für Mitarbeiter immer umfänglicher werden, aber in- haltlich nicht zunehmen. So ist unter anderem als Ziel der ZMP- Fortbildung formuliert, dass die Befähigung erlangt werden soll, „physiologische und patho- logische Grundlagen der Mund- höhle in Vernetzung mit Basis- wissen aus Anatomie, Patho- logie und Mikrobiologie zu erkennen“. „Grundlagen der Mundhöhle erkennen“ – was ist das? Das ist gut gemeinte Rhetorik ohne Inhalt. Der Hygieneplan hing früher mit wenigen Seiten im Zentralraum der Praxis, so dass die Mitarbeiterinnen an das Notwendigste beim Blick auf die Wand erinnert wurden. Heute hängt dort ein Hefter mit vielen Seiten, der vornehmlich für Kontrolleure existiert und den niemand mehr eines Blickes würdigt. Wird es der neuen PAR- Klassifikation ebenso ergehen? Es ist eine elitäre Klassifikation – keine für den Praktiker. Sie ist ein „Fauxpas“ für eine Massen- erkrankung, bei der vor allem das zahnärztliche Fußvolk gefor- dert ist. Wenn nicht in der Breite behandelt wird, kann nur wenig erreicht werden. Nach dem „Barmer-Zahnreport“ werden bei unserer Bevölkerung seit Jahren von dem 50- bis 70-pro- zentigen Behandlungsbedarf nur etwa 1,8 Prozent behandelt. Denkt die DG Paro, mit dieser Klassifikation einen Beitrag zur Verbesserung dieser Situation zu leisten? Ein Blick in die Antike: In der griechischen Archaik wurde viel Inhalt über eine strenge Form transportiert. In der nachfolgen- den Klassik mit ihren zahlreichen erhaltenen Plastiken (wie der Diskuswerfer) sind Form und Inhalt ausgewogen. Im unter- gehenden griechischen Staaten- gebilde entwickelte sich der Hel- lenismus (sterbender Krieger, Laokoon-Gruppe), bei dem der Inhalt stark hinter die Form zurücktrat. Gibt es hier vielleicht vergleichbare zahnmedizinische Tendenzen? Wenn ich meiner Frau, die bis zum Rentenalter vornehmlich als Kinderzahnärztin tätig war, diese neue Klassifikation zeige und meine, dass man dazu doch etwas sagen müsse, sagt sie: „Das kannst Du stecken lassen, das merken die ohnehin nicht.“ Der Inhalt mag stimmen – aber die Form ... Dr. Michael Krause, Dresden

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