Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18

zm 109, Nr. 18, 16.9.2019, (2024) zu erfragen oder auch zu erspüren. Danach stimmen wir uns mit dem Umfeld weiter ab und versuchen, gemeinsam einen Lösungs- weg zu finden. Das ist nicht immer einfach und erfordert mitunter Fingerspitzengefühl. Kritisch wird es, wenn der Wunsch des ge- setzlichen Vertreters (Betreuer oder Bevoll- mächtigter) in deutlichem Widerspruch zu unserem Eindruck vom Wunsch des Patien- ten steht. Hier gilt es einen ruhigen Kopf zu bewahren, den eigenen Eindruck gegebenen- falls durch mehrmalige Besuche zu verifizie- ren, das pflegerische Umfeld einzubeziehen und immer wieder das Gespräch zu suchen. Die Konfrontation mit Anrufung des Amts- gerichts kann notwendig sein, ist aber im Praxisalltag die absolute Ausnahme. Das gilt übrigens auch für die Pflegesitua- tion. Natürlich wünschen wir uns, dass die Bewohner mit entsprechendem Bedarf bei der Zahn- und Mundpflege unterstützt wer- den. Stellen wir hier Defizite fest, sollten wir immer die Ressourcen der Pflege im Blick haben und gemeinsam mit der Pflege nach Wegen suchen, wie es besser gehen kann. Der erhobene Zeigefinger oder gar die An- rufung der Heimaufsicht beziehungsweise des MDK (Medizinischer Dienst der Kran- kenkassen) kann in extremen Ausnahme- fällen notwendig sein. In jedem Fall sollte zunächst aber mit Geduld und guter indivi- dueller Anleitung, gegebenenfalls auch über ein Gespräch mit der Pflegedienstleitung auf Augenhöhe, jeder Versuch unternommen werden, Defizite und Konflikte friedlich zu lösen. Gute Mundpflege ist möglich, aber wir müssen auch bereit und in der Lage sein zu zeigen, wie es geht! Die Versorgungskonzepte sind sehr heterogen Im Hinblick auf die Konzepte der zugehen- den zahnärztlichen Versorgung gibt es Zahn- ärzte, die insgesamt sehr zurückhaltend und nur mit reduzierter instrumenteller Ausstat- tung agieren (zum Beispiel Exkavator und Cavit bei notwendigen Füllungen). Andere wiederum sind mit mobiler Behandlungs- einheit, in einem Behandlungsraum vor Ort oder sogar mit einem Behandlungsmobil aktiv. Die umfassenden und komplexen Konzepte stellen aus heutiger Sicht die „Speerspitze der Versorgungsmöglichkeit“ dar und sind in der Regel fundiert durch eigene jahrelange, manchmal jahrzehnte- lange Erfahrung. Allerdings wirft die zuneh- mende Komplexität auch immer wieder neue Fragen auf. Im Folgenden wird anhand konkreter Behandlungsmaßnahmen ein Konzept vor- gestellt, das unter Berücksichtigung der heute zur Verfügung stehenden Ressourcen und Möglichkeiten flächendeckend durch die Zahnärzteschaft umsetzbar ist. Bei güns- tiger Entwicklung sind darüber hinaus- gehende Schritte denkbar. Zunächst sollte es aber darum gehen, die individuellen Bedarfe und Belastbarkeitsgrenzen der be- troffenen Patienten besser zu verstehen. In vielen Zahnarztpraxen ist der gebrechliche Patient bis heute die Ausnahme. Abbildung 2: Die „Entscheidungshilfe mobile Prothetik“ aus der Praxis Bleiel in Rheinbreitenbach ist ein gelungenes Beispiel für die Umsetzung der Idee der Belastbarkeitsstufen nach der zahn- medizinischen funktionellen Kapazität bei der Behandlung gebrechlicher Menschen. „Fit“ stellt dabei die Belastungsstufen 1 und 2, „Gebrechlich“ Stufe 3 und „Immobil“ Stufe 4 dar. Quelle: Bleiel, Ludwig, Spatzier, Stillhart, Nitschke: Der mobile Einsatz – vier unterschiedliche Praxiskonzepte. Zeitschrift für Seniorenzahnmedizin 6(1):23–65 (2018). 86 Zahnmedizin

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