Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 04

zm 110, Nr. 4, 16.2.2020, (305) Als Schwarz 1913 ihr Studium der Zahnmedizin in München aufnahm, lag die Einführung des Frauenstudiums in Deutschland erst wenige Jahre zurück. 2 1910 studierten reichsweit 53 Frauen Zahnmedizin (4,3 Prozent), davon gehörten 50 Prozent dem evan- gelischen, 45 Prozent dem jüdischen und nur 5 Prozent dem katholischen Glauben an. 3 Eine wichtige Rolle spielte die Wahl des Studienorts, so hatte die Universität Würzburg einen überdurch- schnittlich hohen Anteil jüdischer Stu- dierender. 4 Nach der zahnärztlichen Vorprüfung im November 1914 wechselte Schwarz an die Universität Würzburg und bestand dort 1916 das Staatsexamen. 5 Die Zahl der neu approbierten Zahnärztinnen erhöhte sich reichsweit von 7 im Jahr 1909 auf 25 im Jahr 1918, durch den Ersten Weltkrieg stieg der Frauenanteil an zahnärztlichen Approbationen kurz- zeitig sogar auf 35,7 Prozent, um dann in der Weimarer Zeit zwischen 5 und 15 Prozent zu schwanken. 6 Schwarz gehörte also einem noch kleinen Kreis von Frauen in der Zahnmedizin an, ihre Ausbildung ist für diesen Zirkel aber nicht untypisch. Nach dem Examen arbeitete Schwarz bis zu ihrer Heirat mit dem Kaufmann Emil Köbig 1920 vier Jahre als Assisten- tin in zahnärztlichen Privatpraxen, danach vertrat sie nur noch zeitweilig ihren Bruder in dessen Praxis in Worms. 1921 und 1925 kamen zwei Söhne zur Welt. In dem ihrer Disser- tation beigefügten Lebenslauf gab sie 1932 an: „Nun veranlassen mich wirtschaftliche Verhältnisse, meinen früheren Beruf wieder auszuüben.“ 7 Schon ab November 1930 widmete sie sich, wie sie an gleicher Stelle schreibt, „noch einmal ein Jahr und vier Monate dem zahnärztlichen Studium an der Universität Bonn“. Der internationale Ruf und die sozial- medizinischen Vorstellungen von Alfred Kantorowicz (1880–1962), seit 1923 dort ordentlicher Professor für Zahnheilkunde und ebenfalls jüdischer Herkunft, zogen viele Studierende an, darunter viele mosaischen Glaubens. 8 Kurz nachdem Schwarz, nun Köbig, mit dem Thema „Ueber die Ent- stehung und Symptomatologie des Kreuzbisses“ promoviert worden war, begannen die politischen Repressionen gegen Kantorowitz. 9 Köbig, die 1932 im Haus der Familie eine Zahnarztpraxis mit Kassenzulas- sung eingerichtet hatte, musste bereits ab 1933 wirtschaftliche Einbußen ver- kraften. Schon in den ersten Monaten der nationalsozialistischen Herrschaft versuchte sie eine Strategie zu ent- wickeln, um sich und ihre Familie vor Repressalien zu schützen. Dazu gehörte ihr Austritt aus der jüdischen Gemeinde noch im Frühsommer 1933. 10 Außerdem nahm sie im August ihre Eltern auf. 1935 wurde das „Anschriften- und Branchen-Verzeichnis der Angehörigen des jüdischen Volkes in Wiesbaden“ (Abbildung 1) als „Hilfsmittel zu dem Kampf der Wiesbadener Parteigenos- sen und der Mitglieder der national- sozialistischen Gliederungen“ heraus- gegeben und sollte der Verfolgung als jüdisch klassifizierter Bürger und dem Boykott „jüdischer“ Geschäfte dienen. In dieser Hetzschrift war nicht nur Therese Köbig unter der Rubrik „Zahn- ärzte“ genannt worden, sondern auch ihre Kinder Emil und Klaus als „Halb- juden“ sowie das Geschäft ihres Mannes mit dem Vermerk „Inhaber Emil Köbig ist Arier, Ehefrau Vollblutjüdin“. Diese Diffamierungskampagnen trafen Anfang der 1930er-Jahre im Deutschen Reich ungefähr 35.000 Juden im religiösen Sinne, das heißt Mitglieder jüdischer Gemeinden, die in soge- nannten „Mischehen“ lebten, in der Mehrzahl Paare mit jüdischen Ehe- männern. SIE LIEß SICH SCHEIDEN, UM IHRE FAMILIE ZU SCHÜTZEN Im „ausführlichen Lebensweg mit Ver- folgungsvorgang der Angehörigen der Familie Köbig“, den der jüngere Sohn Klaus Köbig 1957 zusammengestellt hatte, schreibt er zu den Beweggrün- den seiner Mutter, die Ehescheidung 1936 zu betreiben: „Nach Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze ging es unserer Familie wirtschaftliche immer schlech- ter, so dass meine Mutter beschloß, die Ehescheidung zu betreiben, um dem Vater und uns Söhnen die Existenz aufrecht zu erhalten. Meinem Vater wurden behördliche Aufträge nach er- folgter Ehescheidung zugesichert.“ 11 Weiter konstatiert er: „Meine Mutter nahm also von dem ‚ Hause Köbig‘ die jüdische Belastung fort.“ Diese Aussagen verdeutlichen, wie viel- schichtig solche Schilderungen in Wie- dergutmachungsakten in das eigene Erleben eingebunden sind. Köbig gab durch die Scheidung einen gewissen Schutz auf, den jüdische und jüdisch- stämmige Ehepartner besaßen, deren Abb. 1: Antisemitisches „Anschriften- und Branchen-Verzeichnis“ 2 Groß, 2019, S. 63–72; 3 Birn, 2015, S. 220; 4 Birn, 2015, XXXIII; 5 Köbig, 1932, S. 36; 6 Birn, 2015, S. 218–219; 7 Köbig, 1932, S. 36., 8 Kuhn/ Rothe/Mühlenbruch, 1996, S. 43.; 9 Forsbach, 2018, 197–214; 10 Mitteilungsblatt der Israelitischen Kultusgemeinde Wiesbaden Nr. 15. August 1933; 11 Wiedergutmachungsakte Therese Schwarz HStAWiesbaden 518/790 DR. MATTHIS KRISCHEL Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf matthis.krischel@hhu.de Foto: privat Quelle: Halling | 75

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