Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 04

zm 110, Nr. 4, 16.2.2020, (306) Kinder nichtjüdisch erzogen worden waren. Dazu gehörten der Schutz der bisherigen Wohnung und vor Deporta- tion (bis Anfang 1945). 12 Nach der Scheidung nahm Köbig ihren Geburtsnamen Schwarz wieder an, zog mit ihren Eltern in eine andere, etwa 100 Meter entfernte Wohnung (Oranienstr. 23) und richtete auch dort wieder eine Zahnarztpraxis ein. Ihren Umzug in Wiesbaden annoncierte sie im Februar und März 1937 mehrfach im Mitteilungsblatt der Israelitischen Kultusgemeinde Wiesbaden (Abbil- dung 2). Nach der Scheidung war sie der Gemeinde wieder beigetreten. Unklar bleiben ihre Emigrationspläne. In dem vom Sohn verfassten Lebens- lauf heißt es nur knapp: „Sie betrieb ihre Auswanderung und hoffte auf Erfolg.“ 13 Weitere Angaben zu den konkreten Bemühungen und zum möglichen Emigrationsziel fehlen. Da ihrem Bruder Wilhelm bereits 1936 mit seiner Frau die Einreise in die USA gelungen war, und er sich in New York niedergelassen hatte, liegt es nahe, dass Therese für sich und auch für ihre Eltern ebenfalls eine Ausreise in die USA anstrebte. 14 Nachweisbar ist eine bereits 1936 erfolgte Aufnahme als „Refugee dentist“ in die „Foreign List of the Dental Register“ in Groß- britannien. 15 Doch die Aufnahme in die Liste allein reichte nicht für die Ausreise: 58 Zahnärzte, deren Flücht- lingsstatus akzeptiert worden war, ka- men niemals in England an. Zumeist verhinderte die fehlende Arbeitserlaub- nis eine Emigration. 16 AB 1938 WAR SIE NUR NOCH ZAHNBEHANDLERIN 1938 wurde Schwarz die Approbation entzogen, sie war nur noch als „Zahn- behandlerin“ für jüdische Patienten zugelassen, trug den Beinamen Sarah und musste sowohl ihr Praxisschild als auch ihre Kleidung mit einem gelben Stern kennzeichnen. 17 Mit Kriegsbeginn verschärfte sich die Versorgungssitua- tion, da nur reduzierte Lebensmittel- zuteilungen gewährt wurden. Ihre Söhne wurden trotz der Scheidung als „Halbjuden“ stark diskriminiert, nur der ältere Bruder konnte noch die Schule und eine Lehre abschließen, der jüngere arbeitete ohne Schulab- schluss als Hilfsarbeiter im väterlichen Betrieb. 18 Die 1941 auch in und um Frankfurt einsetzenden Deportationen erreichten 1942 die Familie Schwarz. 19 Ihre Mut- ter Frida nahm sich nach Erhalt eines Deportationsbescheids für die Eltern das Leben durch eine Überdosis Veronal, Sigmund Schwarz starb kurze Zeit später an den Folgen einer Darm- operation. Therese Schwarz musste im Februar 1943 nach Frankfurt in ein „Judenhaus“ umziehen, in dem anti- semitisch Verfolgte vor ihrer Deporta- tion aus Frankfurt zwangsweise unter- gebracht wurden. Sie richtete dort erneut ein kleines Behandlungszimmer ein. Wie ihr Sohn schilderte, soll sie dort auf Verlangen verzweifelten Personen Zugang zu Barbituraten wie Veronal verschafft haben. 20 Im Oktober 1943 wurde das Gebäude bei einem Bombenangriff zerstört. Da- nach folgten wohl noch zwei Umzüge (Uhlandstraße 46 und Ostendstraße 18). Einer bevorstehenden Deportation nach Theresienstadt kam Schwarz durch die Einnahme einer Überdosis Veronal am 18. Oktober 1943 zuvor. 21 Nach dem Krieg schätzte einer der Söhne die Beweggründe der Mutter so ein: „Schwere Depressionen – her- vorgerufen durch die Jahre der Ver- folgung – stellten sich ein, sodaß meine Mutter unter dem Druck der damaligen Verhältnisse nur in einem Freitod den Ausweg aus ihrer trost- losen Lebenslage sah.“ Selbsttötungen im Nationalsozialismus als Reaktion auf Ausgrenzung und Ver- folgung werden in der Gedenkkultur als widerständiges Verhalten beschrie- ben. Einzelpersonen, Familien oder kleine Gruppen kamen so Deportatio- nen zuvor oder sahen den Suizid als letzten Ausweg aus der Haft in Ghettos oder Konzentrationslagern. Sie nutzten die letzte Möglichkeit zur Selbstbestim- mung unter Bedingungen totaler Kon- trolle. 22 In Quellen wird von „Freitod“ (Gedenkbuch des Bundesarchivs), „Flucht in den Tod“ (Stolpersteine) oder „Letzter Ausweg“ (Gedenkstätte Börnestraße Frankfurt) gesprochen. Die Summe der Suizide während der NS- Zeit wird sich nie genau bestimmen lassen. Ein Hinweis auf die Größenord- nung gibt das Beispiel des Jüdischen Friedhofs in Berlin-Weißensee. Dort sind mindestens 1.677 Menschen be- stattet, die zwischen 1938 und 1945 in den „erzwungenen Freitod“ gegangen sind. 23 Vor allem aus Mangel an weiteren Quellen und Selbstaussagen wurden die Schilderungen in der Wieder- gutmachungsakte zentrale Grundlage für alle weiteren Ausführungen zu Schwarz‘ Schicksal. Im Jahr 1984 er- schien in der von Dagmar Blank unter ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 12 Essner, 2002, S. 268; 13 Wiedergutmachungsakte Therese Schwarz HStAWiesbaden 518/790; 14 Die Wormser Juden 1933–1945, http://www.wormser juden.de (20.1.2020); 15 Zamet, 2007, S. 274; 16 Zamet, 2007, S. 183; 17 Wiedergutmachungsakte Therese Schwarz HStAWiesbaden 518/790; 18 Wiedergutmachungsakte Therese Schwarz HStAWiesbaden 518/790; 19 Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt, 2004, Ausstellungskatalog; 20 Wiedergutmachungsakte Therese Schwarz HStAWiesbaden 518/790; 21 Wiedergutmachungsakte Therese Schwarz HStAWiesbaden 518/790; 22 Cuerda-Galindo/Lopez-Muñoz/Krischel/Ley, PLoS ONE 12(4); Moll/Krischel, 2016, 1605–1607; 23 Fischer, 2007; 24 Blank, 1984, S. 57–58 Abb. 2: Anzeige aus dem Mitteilungsblatt der Israelitischen Kultusgemeinde Wiesbaden vom 25. Februar 1937. Quelle: Halling 76 | GESELLSCHAFT

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