Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 06

zm 110, Nr. 6, 16.3.2020, (608) E ine 30-jährige Patientin stellt sich zur Behandlung von Sensibilitäts- störungen im Gesichtsbereich vier Wochen nach Entfernung eines vollständig retinierten und verlagerten Zahns 48 alio loco in unserer Ambu- lanz vor. Ihre weitere Anamnese war unauffällig. Klinisch zeigten sich eine Hypästhesie im Bereich des Unterkiefers rechts sowie eine Anästhesie im Bereich der Zunge rechts. Die ehemalige Wunde regio 048 war reizlos verheilt. Abbildung 1 dokumentiert den Rönt- genbefund des ersten und des vierten Quadranten. Bei Verdacht auf eine Neurotmesis des rechten N. lingualis (lingual nerve; LN) und eine Axonot- mesis des rechten N. alveolaris inferior (inferior alveolar nerve; IAN) während der Weisheitszahnentfernung wurde nach Erörterung der Therapiemöglich- keiten mit der Patientin die Indikation zur zeitnahen operativen Nervendar- stellung und -rekonstruktion gestellt. Nach intravenöser Gabe von Fluorescein ALCON® (Alcon Pharma GmbH) zur intraoperativen Nervenfluoreszenz erfolgte in Vollnarkose unter dem Operationsmikroskop (ZEISS OPMI® PENTERO® 900) zunächst die operative Identifizierung und Darstellung des fluoreszierenden rechten LN (Abbil- dung 2a). Da dieser durchtrennt war, folgte die Rekonstruktion unter Ko- aptation mit einem zuvor gehobenen N.-suralis-Interponat (Abbildung 3). Anschließend wurde der rechte IAN durch Osteotomie über die noch vor- handene Alveole 48 identifiziert und dekomprimiert (Abbildung 4a). Über den eröffneten Canalis mandibulae konnte keine Verletzung des Nervs festgestellt werden, jedoch wies das Epineurium partielle Verletzungen auf. Zum Schutz vor Druck- und Zugkräften von außen wurde der freiliegende Ner- venbereich vor dem Wundverschluss mit dem Fibrinkleber Tissucol (Baxter) abgedeckt (Abbildung 4b). Postoperativ berichtete die Patientin über eine Verbesserung der Sensibilität im Bereich des Unterkiefers rechts sowie über ein gelegentliches Kribbelgefühl im Bereich der Zunge rechts. Zur Ver- besserung der körperlichen Nerven- regeneration wurde Vitamin B12 oral substituiert. Abbildung 5 dokumentiert die postoperative Röntgenkontrolle. Am vierten postoperativen Tag konn- ten wir die Patientin bei sanatio per primam intentionem in die ambulante Weiterbehandlung entlassen. DISKUSSION Im Bereich des Unterkiefers sind so- wohl der LN als auch der IAN inklusive seines Abgangs als N. mentalis für iatrogene und traumatische Schäden anfällig. Der IAN versorgt ipsilateral sensibel das Kinn, die Unterlippe, die vestibuläre Schleimhaut sowie die Zähne und Alveolen des Unterkiefers. Der LN innerviert ebenfalls ipsilateral sensibel die linguale Schleimhaut, die MKG CHIRURGIE Rekonstruktion des N. lingualis und Dekompression des N. alveolaris inferior Felix Paulßen von Beck, Thomas Mücke Nervverletzungen gehören zu den problematischsten Komplikationen invasiver zahnärztlicher Eingriffe. Der Patienten- fall dokumentiert die Rekonstruktion des N. lingualis mit einem N.-suralis-Interponat sowie die Dekompression des N. alveolaris inferior durch Osteotomie bei Nervenverletzung nach operativer Weisheitszahnentfernung. Abb. 1: Die radiologische Ausgangssituation des 1. und des 4. Quadranten: Nebenbefundlich zeigt sich ein nicht herausnehmbares Nasenpiercing. Alle Fotos: MKG St. Josefshospital Krefeld-Uerdingen ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 98 | ZAHNMEDIZIN

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