Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 13

zm 110, Nr. 13, 1.7.2020, (1321) schwestern, Hebammen, Sozialarbeiterinnen) pro Jahr circa 1.000 junge Familien in den ersten Wochen nach der Geburt ihres Kindes. Der Besuchsdienst berät die Familien über allgemeine Gesundheitsaspekte, Ernährung sowie über die Zahn- und Mundpflege von Babys und Kleinkindern. Im Besonderen klären die Mitarbeiter über die Bedeutung des Stillens, über die Verwendung von Saugflaschen und Schnullern, die Kariesvermeidung durch zuckerarme Ernährung und eine regelmäßige Zahnpflege mit fluorid- haltiger Zahnpasta ab dem ersten Zahn auf. Jede Familie erhält die Informationen zusätzlich schriftlich in ihrer Muttersprache. Auch die Universitätszahnklinik in Jena ist an dem Präventionsprogramm beteiligt. Für eine Evaluation dieser Maßnahmen wurden die Fami- lien des Geburtsjahrgangs Juli 2009 bis Oktober 2010 (n = 1.162) im ersten Lebensjahr ihres Kindes zu einer zahnärztlichen Untersuchung in die Sektion Präventive Zahnheilkunde und Kinderzahnheilkunde eingeladen. Aus der Geburtskohorte folgten 512 Familien der Einladung, sie wurden in das regelmäßige Zahnpflegeprogramm der Sektion Präventive Zahnheilkunde und Kinderzahnheilkunde aufgenommen. 650 Familien folgten der Einladung nicht und bildeten damit die Kontrollgruppe. Die Zahnmediziner bewerteten das Kariesrisiko der Präventions-Kinder nach dem Caries-Risk Assessment Tool für Säuglinge, Kinder und Jugendliche der American Academy of Pediatric Dentistry (AAPD). Kinder mit geringem und mittlerem Kariesrisiko bestellten die Zahnmediziner halbjährlich ein, jene mit er- höhtem Kariesrisiko alle drei Monate [American Academy of Pediatric Dentistry, 2014 und 2018]. In den ersten drei Lebensjahren erhielten nur die Kinder mit erhöhtem Karies- risiko einen Fluoridlack (Fluoridin N5, VOCO GmbH). Ab einem Alter von drei Jahren erhielten auch die Kinder mit geringem und mäßigem Kariesrisiko zweimal jährlich einen Fluoridlack. Die Hochrisikokinder über drei Jahre bekamen den Lack vierteljährlich aufgetragen. Das Team um die Privatdozentin Dr. Yvonne Wagner eva- luierte das Programm, indem es die teilnehmenden Kinder im Alter von drei und von fünf Jahren wiedereinbestellte und mit denen aus derselben Geburtskohorte verglich, die nicht am Präventionsprogramm teilnahmen. Die Ergebnisse dieser beiden Evaluationen sind bereits 2016 und 2017 im Journal „Clinical Oral Investigations“ publiziert worden [Wagner und Heinrich-Weltzien, 2016 und 2017]. MATERIAL UND METHODE Für die vorliegende Studie bestellten die Wissenschaftler alle 289 Familien erneut ein, die an der letzten Evaluierung teil- genommen hatten, als die Kinder fünf Jahre alt waren. Dies entsprach 24 Prozent der ursprünglichen Geburtskohorte. Von den eingeladenen Familien erschienen 227, knapp 20 Prozent der Geburtskohorte Juli 2009 bis Oktober 2010. 127 Familien gehörten zur Präventionsgruppe, 100 bildeten die Kontrollgruppe. Zwei Zahnärzte untersuchten die Kinder nach erfolgter Zahn- reinigung. Sie wussten nicht, ob die Kinder der Präventions- oder der Kontrollgruppe angehörten. Die Untersuchung er- folgte mit Mundspiegel und einer WHO-Sonde ohne die Anfertigung von Röntgenbildern. Die Untersucher ermittelten die dmfs/DMFS-Werte auf D1 Basis (Karies im Zahnschmelz, Oberfläche noch intakt) nach WHO-Kriterien [WHO Oral health surveys, 2013]. Bei Kindern mit vorzeitigem Milch- zahnverlust nahmen die Behandler Alginatabdrücke und stellten kieferorthopädische Studienmodelle aus Gips her. Die Modelle werteten zwei Kieferorthopäden aus, die eben- falls nicht wussten, aus welcher Patientengruppe die Gips- modelle stammten. Die Kieferorthopäden maßen das inzi- sale Segment des Zahnbogens (zwischen den Distalflächen der lateralen Inzisiven) und die lateralen Segmente von den Distalflächen des lateralen Schneidezahns bis zur Mesial- fläche des ersten Molaren. ERGEBNISSE Die achtjährigen Kinder der Präventionsgruppe hatten eine signifikant niedrigere Kariesprävalenz und -erfahrung ver- glichen mit der Kontrollgruppe. Bezogen die Forscher noch Angaben zum sozialökonomischen Status mit in die Aus- wertung ein, so zeigte sich, dass Kinder mit niedrigem sozial- ökonomischem Status die meiste Karieserfahrung sowohl in der Präventions- als auch in der Kontrollgruppe hatten. Der Anteil der Kinder mit niedrigem sozialökonomischen Status war in beiden Gruppen etwa gleich. Die kieferorthopädische Auswertung ergab eine höhere Prä- valenz von vorzeitigem Zahnverlust in der Kontrollgruppe (41 Prozent) gegenüber der Präventionsgruppe (7,9 Prozent). Der Anstieg dieser Prävalenz war für beide Gruppen im Ver- gleich zu früheren Untersuchungen im Alter von drei und fünf Jahren exponentiell, mit einer signifikant höheren Zahl 0 2 4 6 Plaztmangel [mm] * * * OK (PG) OK (KG) UK (PG) UK (KG) Abb. 1: Aus m aß des Platz m a n gels i n der Präve n tio n sgruppe (PG) u n d Ko n trollgruppe (KG) ei n er Geburte n kohorte vo n 8- u n d 9-jährige n Patie n te n m it vorzeitige m Milchzah n verlust ( n =51) i m Oberkiefer (PG 0,2 ± 3,3 vs. KG 4,2 ± 4,5 mm ) sowie U n terkiefer (PG 0,5 ± 1,5 vs. KG 2,3 ± 4,2 mm ). Ki n der der Ko n trollgruppe wiese n i m Oberkiefer ei n e n sig n ifika n t höhere n Platzverlust auf als Ki n der i n der Präve n tio n s- gruppe. Statistisch sig n ifika n te U n terschiede si n d m it * p ≤ 0.05 m arkiert; MW ± SEM. Grafik: Isabel Knaup Ausmaß des Platzmangels ZAHNMEDIZIN | 55

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