Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 110, Nr. 22, 16.11.2020, (2175) Röntgenbilder oder klinische Fotos) hat enormes Potenzial zur Qualitätsverbesserung und Zeit- einsparung [Miller & Brown, 2019]. b) Die Sprachverarbeitung durch Maschinen erlaubt eine sprach- basierte, semi-automatische Dokumentation sowie die sinn- volle Systematisierung und Ver- knüpfung bereits archivierter und neu hinzukommender Informa- tionen in Patientenakten; selbst die Interaktion von Maschinen mit Patienten ist heute bereits durch Sprache möglich (zum Beispiel Onko-Bots oder Pflege- roboter) [Bhavaraju, 2018; Avati et al., 2018]. c) In der Chirurgie sind Operations- roboter bereits relativ weit ver- breitet; auch in der Zahnmedizin kann theoretisch heute schon robotergestützt operiert werden. So ist beispielsweise eine voll- automatische Implantation durch einen autonom agierenden Roboter heute bereits technisch möglich – hier ist es aber vor allem der Preis einer solchen Prozedur, der einen routinemäßigen Einsatz unwahrscheinlich macht [Wu et al., 2019]. d) Simulationssysteme werden heute in der Pharmaforschung bereits standardmäßig zur Identifikation neuer Wirkstoffe eingesetzt und die Simulation von physiologischen Vorgängen des stomatognathen Systems unter Rückgriff auf Scan- und andere Erfassungssysteme ist bereits heute Teil des digitalen Workflows in Chirurgie oder Pro- thetik [Schwendicke et al., 2020]. Die Erwartungen an KI-Anwendungen sind heute so hoch wie selten zuvor (Abbildung 2). Allerdings hat das Feld der KI schon diverse Höhen und Tiefen erlebt: Auf jede Euphorie folgte bisher stets Ernüchterung. Wie weiter unten dargelegt, sind in der medizi- nischen KI-Anwendung noch zahl- reiche Fragen offen. Diese sollten rasch und systematisch beantwortet werden: Nur belastbare, robuste, vertrauens- würdige KI-Anwendungen werden es schaffen, aus der aktuellen Euphorie eine lang anhaltende Akzeptanz dieser neuen Technologie zu schöpfen. MASCHINELLES LERNEN Eine zentrale technische Komponente vieler der geschilderten KI-Anwendun- gen ist das sogenannte Maschinelle Lernen (ML). Beim ML ist es nicht der menschliche Programmierer, der der Maschine die Regeln vorgibt. Statt- dessen lernt die Maschine selbst, sich Regeln aus vorhanden Daten abzulei- ten. Dies erfolgt folgendermaßen: ! Bestimmten Datenobjekten, zum Beispiel Bildern, werden durch einen Menschen (den sogenannten Annotator) bestimmte Informatio- nen zugeordnet. Dies würden bei Bilddaten beispielsweise Bild- informationen sein („Auf diesem Bild ist ein Bus zu sehen.“). Diese Form des Maschinellen Lernens, in der Beispiele und dazugehörige Antworten zum Lernen genutzt werden, bezeichnen wir als über- wachtes Lernen („supervised lear- ning“). Anders als bei der Annota- tion von Fotos aus der Alltagswelt (wo Busse, Ampeln oder Hydranten identifiziert werden müssen) gilt es bei medizinischen Annotationen zu beachten, dass Expertenwissen notwendig ist. Medizinische Anno- tationen sind daher oft teurer und auch schwieriger (Ein einzelner An- notator kann mit hoher Sicherheit eine Ampel detektieren, hat aber bei der Detektion von Pathologien auf Bildern gewisse Grenzen.). ! Aus den zwei „Hauptzutaten“ (1) Datensatz (also beispielsweise Tausende von Bildern mit Bussen, Katzen und Hunden) und (2) Informationen (zum Beispiel Bildinformationen) können Maschinen nun in einem iterativen Prozess statische Muster in den Daten verstehen und abstrahieren lernen. Hierbei lernen die Maschinen schrittweise aus ihren eigenen Fehlern: Der Algorithmus generiert zunächst zu einem Datenpunkt (Bild) eine (gegebenen- falls zufällige) Information (zum Beispiel Bus). Nun wird das Ergeb- nis mit der wahren Information des Datenpunkts abgeglichen. Aus der Übereinstimmung oder der Nicht-Übereinstimmung und über zahlreiche Wiederholungsschritte („Epochen“) wird der Algorithmus iterativ und schrittweise optimiert, so dass am Ende des Trainings- prozesses die Fehlerquote mini- miert wird. ! Am Ende sollte ein so trainierter Algorithmus in der Lage sein, auch auf bisher nicht gesehenen Datensätzen selbstständig korrekt die zugehörigen Informationen zu generieren. Abb. 1: Vier unabhängige Entwicklungen beschleunigen die Anwendungsmöglichkeiten und -potenziale von KI-Anwendungen in der Medizin und Zahnmedizin. Quelle: Falk Schwendicke Beschleuniger von KI-Anwendungen DR. MED. ROBERT A. GAUDIN Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin Hindenburgdamm 30, 12203 Berlin Foto: Charité Daten Hardware Software Omics- Technologie ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. ZAHNMEDIZIN | 41

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