Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 110, Nr. 22, 16.11.2020, (2193) empfehlen. Dann trinkt man roten Neuchâteller, Cortaillod, der etwas schäumt, der Schaum bildet einen Stern mitten im Glase; auch recht gut. Endlich Veltliner (Valtellina), der beste Wein in der Schweiz. Daneben war zu meiner Zeit der petit Bourgogne und Macon und Beaujolais recht gut und teuer“ [Engels, 1982]. Zur Rechtfertigung seiner Leidenschaft schrieb er Julie Bebel, der Frau von August Bebel, dem Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie, einmal: „Ich freue mich, daß ich diese jugendlichen Torheiten noch so mitmachen kann, man wird doch schließlich an so vielen Ecken und Enden alt, daß man wahrhaftig froh sein kann, wenn einem das Lachen noch nicht abhanden gekommen ist“ [Engels, 1982]. Aber das Alter forderte schließlich seinen Tribut: 1892 hindert ihn sein Alkoholkonsum eine Reise nach Deutschland anzutreten und Engels musste sich vier Wochen ausruhen und abstinent leben. Die Trinkfreudigkeit und das Rauchen dürften auch zu seinem Krebs von Oesophagus und Larynx beigetragen haben, an dem er am 5. August 1895 in London verstarb. Ein weiteres Leiden von Engels war Rheumatismus, der bei ihm den rechten Arm und drei Finger der rechten Hand be- fallen hatte. Besonders beeinträchtigte ihn ein Augenleiden beim Arbeiten. Ende der 1880er-Jahre schrieb er in zahl- reichen Briefen, dass er durch das Leiden lange Zeit nicht mehr als zwei Stunden hatte arbeiten können [MEGA II/ 14]. Im Januar 1889 schrieb Engels an den sozialdemokratischen Politiker Karl Kautsky: „Ich sehe voraus, daß ich günstigsten- falls noch sehr lange meine Augen werde schonen müssen, um wieder in Ordnung zu kommen. Damit ist wenigstens auf Jahre hinaus die Möglichkeit ausgeschlossen, daß ich selbst das Manuskript des IV. Buchs ‚ Kapital‘ jemanden dik- tiere“ [Engels, 1982]. „MIT DEN SCHEUßLICHSTEN ZAHNSCHMERZEN GEPLAGT“ Der starke Alkoholkonsum und das Rauchen waren der Zahngesundheit nicht förderlich. In zahlreichen Briefen berichtet Engels immer wieder von schrecklichen Zahn- schmerzen, die ihn von seiner Arbeit abgehalten haben. Wie er die Zunft der Zahnärzte sah, zeigt ein englisch ver- fasster Eintrag für ein Album von Marx Tochter Jenny von 1868: „Auffassung vom Glück – Château Margaux 1848 = ein Rotwein, zugleich Wiederkehr der Revolution“ „Auffassung vom Unglück – zum Zahnarzt gehen zu müssen“ Ein Fahndungssteckbrief aus dem Jahr 1848 benennt neben biografischen und körperlichen Merkmalen auch den Zahn- status des jungen Engels, „Zähne: gut“ [Bleuel, 1984]. Im Januar 1851 schrieb Engels von Manchester an Marx in London: „[Ich] habe mit dem Proudhon noch weiter nichts anfangen können, weil ich seit 4 Tagen mit den scheuß- lichsten Zahnschmerzen geplagt gewesen bin, die mich total unfähig machten, irgend etwas zu tun.“ Die Zahn- schmerzen hinderten ihn, die neueste Publikation des fran- zösischen Sozialisten Pierre Joseph Proudhon (1809–1865) durchzuarbeiten. Wie Engels seiner Schwester Marie Blank im Dezember des Jahres mitteilte, wurde er erneut von „so fatale[n] Zahnschmerzen“ heimgesucht. Im Mai 1857 schlägt das Zahnleiden erneut zu: „Jedenfalls bin ich seit 4 Wochen mit meinem Gesicht in einem fort beschäftigt gewesen, erst Zahnschmerzen, dann geschwol- lene Backe, dann wieder Zahnschmerzen, jetzt endlich die Blüte des Ganzen in einer Furunkel.“ Marx rät Engels: „Wegen des Zahnwehs rate ich Dir, zu demselben Mittel die Zuflucht zu nehmen wie ich nach anderthalbjährlichem Bedenken. Den Schuft auszuziehen. Ich glaubte immer, mein Zahnweh sei rheumatisch.“ Gegenüber Marx Frau Jenny muss Engels im April 1858 zum wiederholten Mal um Nachsicht bitten, denn: „Ich habe auch vorige Woche an Zahnschmerzen laboriert, die mich seit Sonntag verlassen hatten, heute abend aber mit wachsender Heftigkeit zurückgekommen sind“. Vereinbart war, dass Engels für Marx einen Beitrag in der „New York Tribune“ verfassen sollten, den Jenny dann abschreiben und der dann unter Marx Namen erscheinen sollte. Im Dezember 1867 – Marx erster Band des „Kapitals“ war zuvor herausgekommen– musste sich Engels erneut ent- schuldigen: „Würde ich Ihnen bereits jetzt diverse Artikel geschickt haben, wenn ich nicht Sonntag von einer Zahn- schmerz-Grippen-Halsentzündung mit obligatem Fieber be- fallen worden wäre, die mich aufs Sofa warf.“ Engels wollte eigentlich anonym Rezensionen zum „Kapital“ Band eins verfassen, die dann der Hannoveraner Gynäkologe Ludwig Kugelmann (1828–1902) an Zeitungen verschicken sollte. Kurz vor seinem Tod gibt Engels selbst in einem Brief von 12. April 1895 an seinen Bruder Hermann Engels Auskunft über seinen Zahnstatus: „Vorigen Montag hab‘ ich zum ers- tenmal in meinem Leben einem Zahnarzt 10/6 d. bezahlt dafür, daß er mir zwei alte Stummeln herausgenommen hat. Jetzt hab‘ ich nur noch 17 Zähne, alle vorne, soweit komplett, aber nichts dahinter. Werde doch vielleicht ein Gebiß einlegen müssen!“ \ Ab dem 28. November wird das Museum Industriekultur Engelshaus in Wuppertal-Barmen nach seiner Renovierung wieder zu besichtigen sein: ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. KAY LUTZE Historiker, M.A. GESELLSCHAFT | 59

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