Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 110, Nr. 22, 16.11.2020, (2199) DER BESONDERE FALL AUS CIRSDENT – JEDER ZAHN ZÄHLT! Mehrtägige Nachblutungen nach Entfernung eines Wurzelrests In der S3-Leitlinie „Zahnärztliche Chirurgie unter oraler Antikoagulation / Thrombozytenaggregationshemmung“ wird empfohlen, dass „typische zahnärztlich-chirurgische Eingriffe wie Zahnextraktionen, Osteotomien, Implantationen oder umschriebene Weichgewebseingriffe [...] unter laufender Therapie mit Vitamin-K- Antagonisten ohne ein Bridging stattfinden“ sollen. Doch was ist zu tun, wenn der Hausarzt bereits mit dem Bridging begonnen hat? Im vorliegenden Fall hat sich der Zahnarzt für den Eingriff entschieden. WAS IST PASSIERT? In Vorbereitung auf die chirurgische Entfernung eines Wur- zelrests in regio 43 und eines Sequesters in regio 26 wurde der Patient gebeten, seine Blutgerinnungswerte hausärztlich einstellen zu lassen, da er einen Vitamin-K-Antagonisten einnimmt. Der behandelnde Zahnarzt erbat dabei einen Quick-Wert von >20 Prozent und einen INR-Wert von <3. Anamnestisch leidet der Patient unter Hypertonie, Diabetes Typ II und Herzrhythmusstörungen. Er trägt einen Herz- schrittmacher und erlitt vor Jahren einen Herzinfarkt. Am Tag des Eingriffs lag der Quick-Wert bei 51 Prozent, der INR-Wert bei 1,58. Dem Patienten wurden vom Hausarzt zusätzlich Spritzen mit niedermolekularem Heparin (NMH) verordnet, da der Vitamin-K-Antagonist einige Tage vorher abgesetzt wurde. Die Wurzelrest- und die Sequesterentfernung gelangen komplikationslos, die Wunden wurden vernäht und der Patient konnte die Praxis um 9 Uhr verlassen. Die Blutung sistierte zu diesem Zeitpunkt vollständig. Der Patient wurde angewiesen, die Operationsbereiche intermittierend zu kühlen. Gegen 18 Uhr betrat der Patient mit starken Nachblutungen die Praxis. Beide Wunden wurden nochmals vernäht. Er wurde angewiesen, weiter zu kühlen und weiche Kost zu sich zu nehmen. Am Folgetag waren die Wunden unauffällig, es gab keine weiteren Nachblutungen. In der darauffolgenden Nacht traten erneut Nachblutungen auf, bei Wiedervorstellung in der Praxis am anderen Morgen stand die Blutung jedoch, es erfolgte keine weitere Therapie. Im Laufe des dritten post- operativen Tages traten wieder Blutungen auf, woraufhin der Patient in eine chirurgische Praxis überwiesen wurde. Dort wurden die Wunden nochmals freigelegt, gesäubert und erneut vernäht. Erst einige Tage später und nach mehr- maligen Nachblutungen kamen die Blutungen endgültig zum Stillstand. WAS KÖNNTE ZU DIESEM EREIGNIS GEFÜHRT HABEN? Nachblutungsereignisse können lokale oder systemische Ursachen haben. Beide Aspekte muss der behandelnde Zahnarzt berücksichtigen. Mögliche lokale Ursachen können sein: 1. Belassen von entzündlichem Granulationsgewebe 2. starke Weichgewebsmobilisation bei der Nahttechnik (unnötige Periostschlitzung) 3. unzureichende Naht bei ausgeprägtem Operations- gebiet 4. unmittelbar nach der OP durch unzureichende Blutstillung oder Gefäßblutung aus Knochen beziehungsweise Gingiva 5. etwa zwei bis sechs Stunden nach der OP durch reaktive Hyperämie nach Abklingen der Wirkung des Vasokonstriktors 6. etwa 72 Stunden nach Operation durch entzünd- lichen oder iatrogenen Zerfall des Koagulums in der Alveole Mögliche systemische Ursachen können sein: 1. unzureichende Schmerz- und Blutdruckkontrolle, die zu Blutdruckspitzen führen kann 2. Überlappende Antikoagulation mit Heparin und Vitamin-K-Antagonist kann zu unkontrollierbarer (Über-)Dosierung führen. Foto: Peer W. Kämmerer Abb. 1: Traumatischer postoperativer Einbiss mit Entwicklung eines massiven Hämatoms der Unterlippe bei einem antikoagulierten, dementen Patienten, der eine beidseitige Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior erhalten hatte. ZAHNMEDIZIN | 65

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