Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 110, Nr. 22, 16.11.2020, (2200) 3. Bridging des Vitamin-K-Antagonisten mit Heparin ohne „echte Indikation“ In diesem speziellen Fall sind keine lokalen Auffälligkeiten berichtet worden. Ein Wundverschluss ist erfolgt, so dass eine systemische Ursache vermutet werden kann. Systemisch auffällig ist die überlappende Antikoagulation – in diesem Fall die gleichzeitige gerinnungshemmende Restwirkung des Vitamin-K-Antagonisten und des niedermolekularen Heparins. Diese Phase ist bezüglich der Auswirkung auf das Gerinnungssystem besonders schwer zu kontrollieren und damit für eine Operation ungünstig. Laut der AWMF-Leitlinien sind bei einem INR-Wert von 2,0 bis 3,5 Extraktionen sowie unkomplizierte Osteotomien möglich. Bei einem INR-Wert zwischen 1,6 und 1,9 können umfangreiche chirurgische Sanierungen durchgeführt werden. Nichtsdestotrotz muss aufgrund der langen biologischen Eliminationshalbwertszeit von Vitamin-K-Antagonisten immer mit vermehrter Nachblutung gerechnet werden. WIE HÄTTE MAN DAS EREIGNIS VERMEIDEN KÖNNEN? Die hier erfolgte hausärztliche Rücksprache ist zu begrüßen, entbindet den Zahnarzt jedoch nicht von der Mitbeurteilung der Gerinnungssituation. Laut der S3-Leitlinie „Zahnärztliche Chirurgie unter oraler Antikoagulation / Thrombozyten- aggregationshemmung“ besteht für Vitamin-K-Antagonisten die folgende Empfehlung: „Typische zahnärztlich-chirurgische Eingriffe wie Zahn- extraktionen, Osteotomien, Implantationen oder umschriebene Weichgewebseingriffe sollen unter laufender Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten ohne ein Bridging stattfinden.“ Durch den niedrigen INR Wert von 1,58 (Ziel INR 2–3) kann ein kardiales Risiko entstehen. Nun muss nach Rücksprache mit dem Hausarzt das gegebenenfalls erhöhte kardiale Risiko akzeptiert werden. Demnach wäre die Extraktion erfolgt und die Markumarisierung zeitnah zum Beispiel am nächsten Tag ohne Heparingabe weitergeführt worden. Im Fall einer vorliegenden Rhythmusstörung ist eine kurze „Markumarpause“ wissenschaftlich vertretbar. In diesem Fall hat der Hausarzt bereits mit der überlappen- den Substitution mit Heparin (Bridging) begonnen. Zusätz- lich müssen deshalb die Folgen eines Bridging abgeschätzt werden. Ist nach Einschätzung des Hausarztes und des Zahnarztes, wie in diesem Fall, aufgrund des hohen kardia- len Risikos ein Bridging nötig, sollte der Eingriff verschoben werden, bis die Markumarwirkung nahezu vollständig ab- geklungen ist und man unter der kontrollierbaren Heparin- wirkung operieren kann. Operationen in der Überlappungs- phase mit Restwirkung des Vitamin-K-Antagonisten und Wirkung des Heparins sind in den meisten Fällen unkon- trollierbar und sollten nur im Notfall unter fachärztlicher Behandlung stattfinden. FAZIT Der Zahnarzt, der chirurgische Maßnahmen unter Antiko- agulation betreibt, muss die internistische Anamnese des Pa- tienten einschätzen können. Ein INR von 1,58 ist bei einem Patienten mit Vorhofflimmern zu Zahnextraktionen und kleinen Osteotomien tolerierbar. Die Absprache mit dem Hausarzt stellt nur einen Teil der Sorgfalt für eine solche Be- handlung dar. Die Einschätzung des aktuellen, individuellen und lokalen Blutungsrisikos obliegt dem Operateur. Ange- sichts der gegenwärtigen S3-Leitlinie überrascht die Häufig- keit, mit der Hausärzte immer noch die Cumaringabe auf Heparin umstellen (Bridging). CIRS DENT – JEDER ZAHN ZÄHLT! SO KANN ICH MITMACHEN „CIRS dent – Jeder Zahn zählt!“ (CIRS: Critical Incident Reporting System) ist ein Online-Berichts- und Lernsystem von Zahnärzten für Zahnärzte. Auf der Website www. cirsdent-jzz.de können dort angemeldete Kolleginnen und Kollegen auf freiwilliger Basis, anonym und sanktionsfrei über unerwünschte Ereignisse aus ihrem Praxisalltag berichten, sich informieren und austauschen. Ziel ist es, so aus eigenen Erfahrungen und denen anderer Zahnärzte zu lernen. Damit leistet jeder Teilnehmer einen aktiven Beitrag zur Verbesserung der Patientensicherheit. 6.019 Zahnärzte haben sich bereits registriert und rund 176 Berichte eingestellt. Machen auch Sie mit – es lohnt sich! Zur Anforderung eines neuen Registrierungsschlüssels, etwa im Fall eines Verlusts, können sich Praxisinhaber an ihre zuständige Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) oder an cirsdent@kzbv.de wenden. Privatzahnärztlich tätige Kollegen und die Leiter universitärer zahnärztlicher Einrichtungen erhalten die Registrierungsschlüssel von ihrer (Landes-)Zahnärztekammer. Die Mitglieder der Bundeswehr erhalten ihre Registrierungsschlüssel von ihren Standortleitern. BLUTGERINNUNGSHEMMUNG \ Niedermolekulare Heparine (NMH) erreichen ihre antikoagulierende Eigenschaft durch eine Hemmwirkung auf den Faktor Xa. \ Thrombin wird im Unterschied zu den Vitamin-K- Antagonisten je nach NMH nur in geringem Maß inhibiert und die aPTT in therapeutischen Dosen nur unwesentlich beeinflusst. \ Das Monitoring der niedermolekularen Heparine kann deshalb nicht über den INR-Wert oder die aPTT erfolgen, sondern – nur wenn erforderlich – über die Anti-Faktor-Xa-Aktivität. 66 | ZAHNMEDIZIN

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