Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 1-2

zm 111, Nr. 01-02, 16.1.2021, (20) mit den zm. „Ich beschäftige mich schon seit über zehn Jahren mit der Gendermedizin und möchte dies nicht als reines Frauenthema abtun“, erklärt Groß, die auch in der Ärztekammer Nordrhein den Vorsitz im Ausschuss „EHealth und KI“ führt. Ihr Ansatz: „Es geht eben nicht nur um Frauen- medizin. Gendermedizin ist immer ein Thema für Männer und für Frauen mit den jeweiligen Unterschiedlichkeiten von Symptomatik bis Behandlung im Blick – für mich ein wichtiger Schritt in Richtung individualisierte, also auf den einzelnen Menschen herunter- gebrochene Medizin.“ Groß sieht – wie Steffens – bei den neuen DiGAs die Gefahr, dass die bis- herigen Erkenntnisse der analogen Stu- dienwelt eins zu eins auf die digitale Welt übertragen werden. Die neuen Anwendungen betrachtet sie als einen „Riesen-Feldversuch, bei dem man wie in Watte fasst“: Ärztinnen und Ärzte, die eine DiGA verschreiben wollen, sei nicht bekannt, wie diese bei Frauen oder bei Männern wirke. Den App-Ent- wicklern fehle die nötige Sensibilität für das Thema. Das sei ein Beratungs- problem, das dringend aufgegriffen werden müsse, so Groß. „Je eher, desto besser, und am besten noch, bevor weitere Apps konfiguriert werden.“ Doch was ist konkret zu tun? Groß fordert, bei der künftigen Evaluation der DiGAs unbedingt Aspekte der Gen- dermedizin mit einfließen zu lassen. Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte müsse es auch sein, diese Aspekte beim Ver- schreiben im Blick zu haben – wobei ihnen aber auch entsprechende Infor- mationen der Hersteller zur Verfügung stehen müssten, die bislang völlig fehlen. Und Firmen, die die Apps entwickeln und programmieren, soll- ten den Gender Bias von Anfang an berücksichtigen. IST DIE BASIS SCHIEF, IST AUCH DAS ERGEBNIS SCHIEF Auf ein Grundproblem bei der Anwen- dung von Künstlicher Intelligenz in der Medizin kommt Brigitte Strahwald von der Pettenkofer School of Public Health an der Ludwig-Maximilians- Universität München zu sprechen: „Wenn die Grundlage schief ist, ist auch das Ergebnis schief“, sagt sie im zm-Gespräch. Schon bei der Gewinnung von Daten können Ver- zerrungen auftreten. Bezogen auf die DiGAs bedeute das, es fehle der Blick auf Risiken, Grenzen oder Nebenwir- kungen. Zwar gebe es für medizinische Studien inzwischen Vorgaben, dass Probanden geschlechtergerecht auf- geteilt werden sollen. Im konkreten Umgang mit Daten in KI-Systemen sehe dies jedoch anders aus. Strahwald sieht das Problem der Ver- zerrung allerdings nicht nur auf den Genderaspekt bei Apps beschränkt. „Das ist nur ein Punkt von vielen. Es geht zum Beispiel auch um weitere Aspekte wie ethnische Besonderheiten oder Alter“, sagt sie. Ihre Forderung: „Wir brauchen Fördertöpfe für eine bessere Entwicklung, und wir müssen über wissenschaftliche Standards reden.“ pr Foto: J. Rolfes Dr. Christiane Groß, Präsidentin des Deutschen Ärztinnen- bundes Foto: privat Brigitte Strahwald, Pettenkofer School of Public Health an der Ludwig- Maximilians- Universität München BEREITS ZUGELASSENE DIGAS \ Invirto: Therapie gegen Angst für Menschen mit einer Agoraphobie, Panikstörung oder sozialen Phobie \ Kalmeda: Therapie gegen chronische Tinnitusbelastung \ somnio: dient der Behandlung von Ein- und Durchschlafstörungen \ Velibra: Therapie gegen generali- sierte Angst- und Panikstörungen \ Vivira: unterstützt die Behandlung von Rücken-, Knie- und Hüft- schmerzen \ zanadio: unterstützt bei der Gewichts- reduktion und der Veränderung von Gewohnheiten, bei der Bewegung, bei der Ernährung sowie bei weiteren Verhaltensweisen DIE APP AUF REZEPT Seit Oktober 2020 können Ärzte Apps auf Rezept verschreiben. Die Kosten werden von den gesetzlichen Kranken- kassen übernommen. Grundlage dafür ist das Digitale-Versorgung-Gesetz. Geregelt ist dort, dass Versicherte einen Anspruch auf Medizinprodukte niedriger Risikoklassen haben, deren Hauptfunktion auf digitalen Techno- logien beruht – sogenannte Digitale Gesundheitsanwendungen. Diese Apps müssen vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte geprüft und dort in einem Leistungs- verzeichnis gelistet sein. In diesem Verzeichnis können sich Ärzte über zugelassene DiGAs und über Fachinformationen der Hersteller informieren. Die Bundesärztekammer, die Kassen- ärztliche Bundesvereinigung (KBV) und das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) haben vor Kurzem eine Handreichung zu den Apps im klinischen Alltag herausgegeben. Die Publikation bietet einen Überblick über Nutzen und Risiken der Apps und erklärt, wie man gute von schlechten Gesundheits-Apps unterscheiden kann. Mehr dazu unter: https://www.aezq. de/gesundheitsapps 22 | GESELLSCHAFT

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