Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 1-2

zm 111, Nr. 01-02, 16.1.2021, (36) ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikations- medien durchführen. [...] Damit ist es Ärzten beispielsweise untersagt, therapeutische Empfehlungen unter den genannten Rahmenbedingungen abzugeben.“ Ein Eisenpräparat auf Basis eines Kontakts über Social Media zu verschreiben, ohne die betreffende Person selbst untersucht zu haben, wäre also eine unzulässige Fern- behandlung. Die Frage „Welche Rolle spielt Eisen für unsere Gesundheit?“ zu beantworten, ist hingegen un- problematisch. Auch @smile_expert Ridder hat einen Blick in die Berufsordnung geworfen, bevor er in den sozialen Medien aktiv wurde. Vor Fernbehandlungsverstößen müsse man sich tatsächlich in Acht nehmen, berichtet er: „Ich erhalte hunderte von spezifischen Fragen zu Krankheitsbildern und manchmal schicken mir Leute sogar Röntgen- bilder zu. Ich antworte dann, dass ich dazu nichts sagen kann, und gebe ihnen den Rat, sich an eine Praxis zu wenden.“ DER SCHMALE GRAT ZWISCHEN EXPERTE UND INFLUENCER Johanna Schäwel macht auf ein wei- teres Risiko aufmerksam: die Gefahr der Selbstoffenbarung. „Wenn ich online eine Frage stelle, lässt das Rückschlüsse auf mich als Person und meinen gesundheitlichen Zustand zu. Auf horizontaler Ebene, also anderen aus der Community gegenüber, kann ich mich durch einen Nickname oder ein falsches Foto schützen. Auf verti- kaler Ebene, also Internetdiensten und -anbietern gegenüber, funktio- niert das nicht so einfach. Ihnen gegenüber nehme ich dafür in Kauf, dass diese Information über mich ge- speichert wird.“ Dabei sei es egal, ob man eine Suchmaschine befrage oder sich über Social Media an einen Ex- perten wende. Daten würden immer getrackt. Medienkompetenz bedeutet auch, Werbung in Posts zu erkennen. Es ist kein Geheimnis, dass ein erfolgreicher Kanal Firmen und Marken anzieht. Das gilt auch für TikTok. Über Koope- rationen mit beliebten Creatoren wollen Unternehmen ihre Produkte bekannter machen. Es gibt zahlreiche Influencer-Agenturen, die dieses Geschäft professionalisiert haben, und viele Stars, die davon gut leben können. Mit wachsendem Erfolg hat sich auch der TikTok-Kanal von Benjamin Winters verändert. Als @thebentist stellt er nun häufiger Produkte vor als noch vor einigen Monaten. Dazu er- klärt sich der Zahnarzt nach eigener Aussage aber nur bereit, wenn „die Marken, mit denen ich zusammen- arbeite, mit meinen Werten als Person und als Heilberufler übereinstimmen. Wenn das nicht gegeben ist, lehne ich Angebote auch ab.“ In letzter Zeit sieht man Winters in seinen TikToks immer wieder mit einem Energydrink – was viele Peers aus der Zahnmedizin kri- tisch sehen dürften. In Deutschland unterliegt Werbung in den sozialen Medien laut Rundfunk- staatsvertrag (RStV) und Telemedien- gesetz (TMG) der Kennzeichnungs- pflicht. Das heißt, es muss an geeigne- ten Stellen durch einen Texthinweis oder Einblendungen deutlich gemacht werden, dass es sich um Werbung oder um eine Kooperation handelt. Für An- gehörige der Heilberufe, die auf TikTok in dieser Funktion auftreten, stellt sich indes grundsätzlich die Frage, ob kom- merzielle Werbepartnerschaften dazu im Widerspruch stehen. EIN TÜRÖFFNER ZUR JUNGEN ZIELGRUPPE Mit dieser Überlegung war Henrik Ridder schon oft konfrontiert. Er werde immer wieder von Herstellern kosmetischer Produkte wie Bleaching-Kits oder DIY- Zahnspangen kontaktiert, berichtet er. „Dafür mache ich jedoch keine Wer- bung, weil diese Produkte meinem Selbstverständnis als angehender Zahnmediziner widersprechen. Ich sehe es so wie Benjamin Winters: Wenn ich für ein Produkt werbe, muss ich es so gut finden, dass ich es ohne Gegenleistung Freunden emp- fehlen würde.“ Das treffe aktuell auf verschiedene Arbeitsmaterialien zu, die er in seinen praktischen Kursen verwende. Wie wirksam ist TikTok als Kommu- nikationsplattform für Gesundheits- organisationen und Heilberufe? Aus im September 2020 veröffentlichten Zahlen geht hervor, dass mehr als 100 Millionen Menschen in Europa TikTok nutzen, davon 5,5 Millionen in Deutschland. Knapp zwei Drittel der Community hierzulande sind zwischen 16 und 24 Jahren alt, nur 15 Prozent älter als 35. Pro Tag verbringen sie im Durchschnitt 50 Minuten auf TikTok. Tendenz steigend – TikTok wird in den App Stores am häufigsten herunterge- laden. In der Wissenskommunikation auf TikTok liegt offenbar Potenzial, denn junge Menschen verbringen hier viel Zeit – und tauschen sich ohnehin über gesundheitsrelevante Themen aus. Fotos: screenshot zm Wissen ohne Vorwissen: TikTok arbeitet mit mehreren Hundert Content-Creators zusammen, etwa mit dem Allgemeinarzt Dr. Felix Berndt (@doc_felix mit 412.000 Followern, r.) und der Gynäkologin Dr. Sheila de Liz (mit dem Urologen Volker Wittkamp @doktorsex mit 531.000 Followern). 38 | GESELLSCHAFT

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