Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 1-2

zm 111, Nr. 01-02, 16.1.2021, (42) FORTBILDUNG MIKROBIOM Das parodontalpathogene Mikrobiom bei Parodontitispatienten Daniel Hagenfeld, Karola Prior, Benjamin Ehmke Die Interventionen der Parodontitistherapie beruhen auf langjährig bestätigten klinischen Studienergebnissen. Was sich jedoch im Einzelnen auf der Ebene mikrobieller Interaktionen in subgingivalen Arealen und im Parodont abspielt, konnte wegen limitierter molekularbiologischer Methoden bislang nicht wissenschaftlich untersucht werden. Mit dem Next Generation Sequencing steht nun eine Technologie zur Verfügung, die uns immer tiefere Einblicke in die Wirkmechanismen der Bakterien in dentalen Biofilmen ermöglicht. Die neuen Erkenntnisse lassen interessante therapeutische Optionen für die Zukunft erkennen. D ie ersten mikroskopischen Be- obachtungen oraler Bakterien aus dem zahnadhärenten Bio- film wurden durch van Leeuwenhoek publiziert – dieses Ereignis wird allge- mein als die erste orale mikrobiolo- gische Untersuchung anerkannt [van Leeuwenhoek, 1726]. Seit dieser Zeit hat die orale Mikrobiologie zunächst Phasen des „Reduktionismus“ durch- laufen, das heißt, ein System ist ver- standen, wenn man isoliert die kleinste erklärende Einheit findet, von der aus generalisiert wird. Dieser reduktionis- tische Ansatz geht auf den Verursacher der Tuberkulose zurück, bei dem das Vorkommen des Bakteriums Myco- bacterium tuberculosis kausal eine Aus- lösung der Erkrankung Tuberkulose zur Folge hatte [Koch, 1882]. So ging man zunächst davon aus, dass mikrobiolo- gisch verursachte orale Krankheiten wie Parodontitis oder Karies den Koch‘schen Postulaten folgen. In den 1970er- und 1980er-Jahren wurden zunehmend Bakterien aus an Parodon- titis erkrankten Menschen isoliert und kultiviert. Bakterien wie Aggregati- bacter actinomycetemcomitans und Porphyromonas gingivalis wurden auf Basis dieser Untersuchungen für die Entstehung von Parodontitis verant- wortlich gemacht. Ab den 1990er-Jahren ermöglichten molekularbiologische Nachweismetho- den, beispielsweise die Polymerase- Kettenreaktion (PCR) oder die DNA- DNA-Checkerboard-Hybridisierung, den kulturunabhängigen Bakterien- nachweis [Socransky et al., 1998]. Da das Genom beziehungsweise charakte- ristische Genomabschnitte vieler Bak- terien entschlüsselt waren, konnten in einer PCR-Analyse technisch einfach und schnell Genabschnitte verviel- fältigt werden, anhand derer die in der Probe vorhandenen Bakterien identifiziert wurden. Aufgrund der hohen Sensitivität und Spezifität der molekularbiologischen Nachweise wurden potenziell paro- dontalpathogene Bakterien auch bei gesunden Individuen gefunden. Hier- aus wuchs – im Widerspruch zu den Koch’schen Postulaten – die Erkennt- nis, dass auch gesunde Patienten mit diesen Bakterien besiedelt sind und nicht zwangsläufig erkranken müssen. Dieses Wissen verlangt nach der Um- setzung einer „holistischen“ Denk- weise, das heißt, dass ein System ver- standen ist, wenn dessen Einbettung in ein höheres Ganzes erfolgt ist. Dem Prinzip des „Holismus“ folgend konn- ten so neue Konzepte wie die Inter- aktion zwischen Spezies, mikrobieller Gemeinschaft, Biofilmen und poly- mikrobiellen Erkrankungen entwickelt werden. Um die Interaktion von intra- oralen Bakterien zu verstehen, ist es je- doch notwendig, das gesamte orale Abb. 1: Nach dem Zellaufschluss kann die bakterielle DNA an magnetische Partikel gebunden und so mithilfe eines Magneten schonend von anderen Zell- bestandteilen, die in der flüssigen Phase verbleiben, getrennt werden. Foto: Benjamin Ehmke 44 | ZAHNMEDIZIN

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