Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 1-2
zm 111, Nr. 01-02, 16.1.2021, (44) bereichs. Je nach Länge der Sequenz kann die Klassifizierung in der Regel bis auf Gattungs- oder sogar bis hinunter auf Speziesebene erfolgen. „NEXT GENERATION SEQUENCING“ Ungefähr seit der Jahrtausendwende wurde die bis dahin angewandte San- ger-Sequenzierung mehr und mehr durch eine neue Generation von Se- quenzierungsmethoden („Next genera- tion sequencing“, NGS) ersetzt. Vorteil der NGS-Technologie ist eine massiv parallele Erstellung von Sequenzdaten. Anders als bei der Sanger-Sequenzie- rung, bei der nur wenige Sequenzen (maximal 16) parallel gelesen werden können, sind NGS-Geräte in der Lage, mehrere Millionen von Sequenzdaten (Sequenzierungsreads) gleichzeitig aus- zulesen. Dies führt dazu, dass selbst komplexe Proben mit vielen verschie- denen Bakterienspezies schnell und umfassend charakterisiert werden kön- nen [Loman et al., 2012]. Voraussetzung für das Ablesen der gattungs- beziehungsweise spezies- spezifischen Sequenz ist die Erstellung einer sogenannten Bibliothek, die dann mit einem Sequenziergerät aus- gelesen werden kann. Der erste Schritt bei der Herstellung so einer 16S-rRNA- Bibliothek ist die Vervielfältigung (Amplifikation) des 16S-rRNA-Gen- abschnitts, der für die Identifizierung verwendet werden soll. Wie bei der Sanger-Sequenzierung wird dies über eine PCR erreicht, in der universelle Primer eingesetzt werden, die sich in einem der konservierten Bereiche des 16S-rRNA-Gens anlagern können und so die Vervielfältigung des gewünsch- ten Abschnitts von nahezu allen Bak- terienarten ermöglichen. Aufgrund des höheren Durchsatzes kann bei der NGS-Sequenzierung aber der kosten- intensive Klonierungsschritt zur Ver- einzelung der 16S-rRNA-Gene aus der Patientenprobe entfallen. Im nächsten Schritt der Bibliothekserstellung für die NSG-Sequenzierung werden spezi- fische, an die jeweilige Technologie an- gepasste Adapter eingefügt, die gleich- zeitig mit einem Index versehen sind. Dies ist eine Art molekularer Barcode, eine kurze einzigartige Abfolge von Nukleotiden, die die Zuordnung der einzelnen Sequenzierungsreads zur je- weiligen Ursprungsprobe und damit nicht nur die parallele Analyse aller Bakterien aus einer Probe, sondern auch eine parallele Untersuchung mehrerer Patientenproben ermöglicht. Je nach Durchsatz des verwendeten Systems können so bis zu 384 Patien- tenproben in einem Sequenzierungs- lauf analysiert werden (Abbildung 2). Für die Sequenzierung werden die Bibliotheken der einzelnen Proben in gleichen Anteilen gemischt und dieser Pool dann dem Sequenzierer zugeführt. Die aktuell am weitesten verbreitete Methode ist das sogenannte „paired- end sequencing“ (Illumina ® ). Hierbei werden zwar nur vergleichsweise kurze Leseweiten zwischen 150 bp und 300 bp des insgesamt 1.550 bp langen 16S-RNA-Gens erzeugt, dafür wird das amplifizierte DNA-Fragment aber von beiden Seiten (in Vorwärts- und Rück- wärtsrichtung) abgelesen. Dies kann man sich im Rahmen der Qualitäts- kontrolle bei der Auswertung zunutze machen. Da keine Sequenzierungs- technologie fehlerfrei arbeitet, können bei der Paired-end-Methode Sequenzie- rungsreads, bei denen Vorwärts- und Rückwärtssequenz nicht übereinstim- men, identifiziert und damit als fehler- behaftete Sequenzdaten von der weiteren Analyse ausgeschlossen werden. Einige Bakterienspezies unterscheiden sich in den 150–300 bp langen Gen- abschnitten nicht, daher ist mit diesen Geräten eine sichere taxonomische Klassifikation nur bis auf die Gattungs- ebene möglich. Beispielsweise ist bei Staphylokokken der Spezies aureus und epidermidis der hypervariable Ab- schnitt V4 identisch. So kann in vielen Sequenzierungsstudien, die als alleini- ges Ziel die V4-Region des 16S-RNA- Gens verwenden, zwar zwischen ver- schiedenen Gattungen unterschieden werden, nicht aber die Spezies inner- halb einer Gattung eindeutig identifi- ziert werden (Abbildung 3). In den ver- gangenen Jahren wurden zunehmend sogenannte Long-Read-Sequenzier- systeme zur Marktreife gebracht, die in der Lage sind, Sequenzen mit Leselängen von mehreren tausend Basenpaaren zu generieren. Die längere Leseweite erhöht aber auch das Risiko für potenzielle Sequenzierfehler. Diese erhöhte Fehler- rate wird zum Beispiel beim Sequel II (Pacific Biosystems ® ) durch die Bildung einer zirkulären Konsensussequenz, die durch das mehrfache Ablesen des ver- vielfältigten 16S-rRNA-Gens generiert werden kann, innerhalb der Sequen- zierung wieder bereinigt (Abbildung 4). Trotzdem ist es unabhängig von der ver- wendeten Sequenzierungstechnologie unbedingt notwendig, das Sequenzier- ergebnis durch bioinformatische Ver- fahren und eine Reihe von Kontrollen zu überprüfen. Dabei werden die ge- fundenen Gen-Sequenzen von Sequen- zierfehlern so gut wie möglich be- reinigt. Bei der Auswertung von Mikrobiomdaten ist zu beachten, dass die Effektivität der Sequenzierung tech- nischen und biologischen Variationen unterliegt. So können Sequenz- abschnitte bestimmter Bakterienarten eventuell einfacher vervielfältigt wer- den als andere, oder Plaqueproben können unterschiedlich stark mit Spei- chel verdünnt werden. Quantitative Analysen sind aus diesem Grund sehr aufwendig, weswegen Sequenzier- ergebnisse oft in Prozent der Gesamt- reads einer Probe angegeben werden, was wiederum die statistische Aus- wertung erschwert. Die meisten Abb. 4: Das Sequel-II-System von Pacific Biosystems ermöglicht mit seinen Sequenzierungsreads von mehreren Kilobasen Länge die Sequenzierung des kompletten 16S-rRNA-Gens, womit in der Regel eine taxonomische Auflösung bis hinunter zur Speziesebene erreicht werden kann. Foto: Benjamin Ehmke ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 46 | ZAHNMEDIZIN
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