Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 1-2

zm 111, Nr. 01-02, 16.1.2021, (46) ERKENNTNISSE DER PARODON- TALEN MIKROBIOMFORSCHUNG Erste Berichte von NGS-Studien über die Diversität des oralen Mikrobioms auf Speziesebene übertrafen die bis- herigen Erkenntnisse aus den Sanger- Sequenzierungsstudien um mehrere Zehnerpotenzen [Duncan, 2005]. Schnell wurde klar, dass die NGS- Sequenzierung – wie alle anderen Me- thoden, die technisch vervielfältigte DNA für die Auswertung verwenden – Sequenzierfehler produziert und dass die bisherigen bioinformatischen Methoden zur Datenaufbereitung (so- genannte bioinformatische Pipelines) diese Sequenzierfehler nur unzurei- chend von echten Sequenzen unter- scheiden konnten. Deswegen wurden Datenbanken entwickelt, die diese neu gefundenen Sequenzen überprüfen, bevor sie in die Referenzdatenbanken aufgenommen werden. Das Human Oral Microbiome Project hat sich zur Aufgabe gemacht, eine taxonomische Datenbank für orale Bakterien anzu- legen [Dewhirst et al., 2010]. Diese Datenbank ist über eine Internetseite (HOMD.org ) frei zugänglich und dort können bereits taxonomisch eingeord- nete und noch nicht eingeordnete Gensequenzen heruntergeladen wer- den. Unlängst wurde diese Datenbank durch nasopharyngeale Bakterien erweitert und heißt jetzt eHOMD (ex- panded human oral microbiome data- base). Es existieren jedoch auch univer- selle Datenbanken mit Annotationen oraler sowie nicht oraler Bakterien [Balvo č iute und Huson, 2017]. Mithilfe von Querschnittstudien wur- den orale Mikrobiome von Menschen mit Parodontitis und parodontal ge- sunden Menschen miteinander ver- glichen [Abusleme et al., 2013]. Es zeigte sich, dass die bakterielle Artenvielfalt (Richness) innerhalb der Mikrobiome mit höherem Erkrankungsgrad an- steigt. Die relative Häufigkeit einiger Spezies und die Äquitabilität (Even- ness) nehmen dagegen ab, so dass Mikrobiome parodontal erkrankter Menschen mehr und mehr von ein- zelnen Arten dominiert werden. Diese Parodontitis-Mikrobiome, die unter anderem auch die bereits bekannten parodontalpathogenen Bakterien be- inhalten, sind zwischen Individuen mit Parodontitis ähnlich. Gesunde Pa- tienten zeigen dahingegen ausgeprägte Unterschiede zueinander auf und be- sitzen eine sehr individuelle Mikro- biomsignatur. Interessanterweise sind diese Unterschiede bei Menschen, die im gleichen Haushalt leben und ähnliche Lebensgewohnheiten haben, geringer [Kort et al., 2014]. Diese Studien haben auch die Sicht auf die Pathogenese parodontaler Erkran- kungen erweitert. So wird nicht mehr von einer spezifischen oder exogenen Infektion mit parodontalpathogenen Bakterien ausgegangen, sondern viel- mehr von einer Dysbiose, das heißt von einem Ungleichgewicht in der jeweiligen oralen Flora aufgrund ver- änderter Umweltbedingungen [Lamont und Hajishengallis, 2015]. Die vormals parodontalpathogenen Erreger werden nun vielmehr als Pathobionten be- zeichnet, deren Selektionsvorteil im oralen Mikrobiom darin besteht, beispielsweise besonders gut mit ent- zündlichen Veränderungen im Wirts- organismus zurechtzukommen oder diese für die Verbreitung der eigenen Spezies zu benutzen. Vereinfacht gesagt kann beispielsweise Porphyromonas gingivalis die Blutung und erhöhte Sul- kusfließrate einer leichten gingivalen Entzündung nutzen, indem die Serum- proteine verstoffwechselt werden. Aus dieser verbesserten Situation heraus kann die Bakterienspezies einen größe- ren Raum im oralen Mikrobiom ein- nehmen und wird dann seinerseits eine stärkere Entzündungsreaktion im Wirt induzieren. Diese geht erneut mit verstärkter Blutung einher, was wieder- um die Lebensbedingungen von Por- phyromonas gingivalis zum Schaden des Patienten weiter „verbessert“. WIE VERÄNDERT DIE PARODONTITISTHERAPIE DAS PARODONTALE MIKROBIOM? Mit dem neuen Wissen aus dem Next Generation Sequencing kann auch der Einfluss der Parodontitistherapie auf ein dysbiotisches Mikrobiom anders bewertet werden. Wurden bislang nur die Veränderungen einzelner, mit der Krankheit assoziierter Bakterien erfasst, liegt nun der Fokus auf den Verände- rungen des gesamten ökologischen Systems am Parodontium, respektive der Mundhöhle. Bei Patienten mit Stadium-II/III-Paro- dontitis wurden innerhalb der Indivi- duen sowohl dysbiotische als auch eu- biotische (mit Gesundheit vereinbare) Mikrobiome gefunden. So waren interessanterweise intraorale Bereiche, die einem geringeren mechanischen Abb. 6: Boxplots der Diversitätsindizes vor (rot) und zwei Monate nach der Parodontitistherapie (türkis) mit Antibiotika oder Placebo Quelle: Quelle: Daniel Hagenfeld Boxplots der Diversitätsindizes vor und nach der Parodontitistherapie 48 | ZAHNMEDIZIN

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