Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 1-2

zm 111, Nr. 01-02, 16.1.2021, (47) Einfluss durch die Mundhygiene aus- gesetzt waren, häufiger mit dysbioti- schen Mikrobiomen besiedelt. In Plaqueproben von interdentalen und subgingivalen Entnahmestellen waren dysbiotische Mikrobiome einander ähnlicher als an supragingival bukka- len Stellen, die durch die regelmäßige tägliche Mundhygiene besser und ein- facher erreicht wurden [Hagenfeld et al., 2019]. In Patienten mit Stadium-III/IV-Paro- dontitis nahm, verglichen mit der Aus- gangsuntersuchung, die Artenvielfalt in subgingivalen Proben acht Wochen nach ausschließlich mechanischer Pa- rodontitistherapie mit Schallscalern und Gracey-Küretten nur leicht ab (Placebogruppe, Abbildung 6). Im Ge- gensatz dazu konnten in dieser Studie bei Patienten, die zusätzlich zur me- chanischen Therapie eine systemische Antibiotikabehandlung über sieben Tage mit 400 mg Metronidazol und 500 mg Amoxicillin erhielten, signi- fikante Mikrobiomveränderungen nach acht Wochen gefunden werden [Hagenfeld et al., 2018]. Die Richness im subgingivalen Mikrobiom war sig- nifikant gegenüber dem Ausgangs- befund und der Kontrollgruppe redu- ziert (Antibiotikagruppe, Abbildung 6), was mit einer abnehmenden Artenviel- falt interpretiert werden kann. Weiter zeigte sich die deutliche Reduktion der Bakteriengenera, die potenziell paro- dontalpathogene Bakterien wie Por- phyromonas ssp. und Tannerella ssp. enthalten. Gleichzeitig wurde ein An- stieg von unter anderem Actinomyce- ten ssp. gefunden, die eher bei paro- dontal gesunden Patienten zu den dominierenden Gattungen gehören. Die Evenness stieg an, was im Sinne einer gleichmäßigeren Häufigkeits- verteilung der Bakteriengenera im sub- gingivalen Mikrobiom interpretiert werden kann. Zusätzlich zeigte eine deutlich stärkere Veränderung der Beta- Diversität in der Antibiotikagruppe, dass sich in dieser Gruppe mehr Mi- krobiome in ihrer Zusammensetzung signifikant von den Ausgangsmikro- biomen unterschieden. Sind die Mikrobiomveränderungen nach Paro- dontitistherapie mit adjuvanter syste- mischer Antibiose auch stärker ausge- prägt, lassen sich diese aber ebenfalls in der ausschließlich mit mechanischer Therapie behandelten Gruppe erken- nen. Diese Mikrobiomveränderungen waren in beiden Behandlungsgruppen mit einer, in der Antibiotikagruppe zwar ausgeprägteren, aber auch in der Scalinggruppe gleichsam deutlichen und klinisch relevanten Verbesserung der klinischen Parameter verbunden. Zudem konnte in einer weiteren Studie herausgefunden werden, dass die Zu- sammensetzung des Ausgangsmikro- bioms vor der Therapie einen größeren Einfluss auf die Verbesserung der klini- schen Parameter nach der Therapie hatte als die Tatsache, ob ein Antibio- tikum oder eine Placebo-Medikation verabreicht wurde [Bizzarro et al., 2016]. Interessanterweise waren die mikrobiellen Effekte der Parodontitis- therapie bei aktiven Rauchern weit- gehend identisch zu den beobachteten Ergebnissen bei Nichtrauchern. Raucher zeigen aber oft Krankheitsrezidive und die mechanische Parodontitistherapie ist weniger erfolgreich als bei Nicht- rauchern [Hagenfeld et al., 2020]. Raucher zeigten eine schnellere Reko- lonisation mit dysbiotischer Mikroflora als Nichtraucher [Joshi et al., 2014]. Die antimikrobielle mechanische The- rapie könnte – gegebenenfalls ergänzt durch eine siebentägige systemische Antibiose – somit eine Chance für das Parodontium des Patienten darstellen, eine Phase der mikrobiell ungestörten posttherapeutischen parodontalen Reparation einzugehen. Die unaus- weichliche Neubesiedlung nach Ende der Antibiotikatherapie würde dann bei entsprechend prädisponierten Patienten nicht wieder erneut eine dysbiotische Entwicklung nehmen, sondern zu einer Rebiose führen. PERSPEKTIVEN DES NGS IN DER PARODONTOLOGIE Bislang wird im Bereich der Zahn- medizin das NGS nur zu wissen- schaftlichen Zwecken durchgeführt. Wenngleich die Aufbereitung der Mi- krobiomproben im Labor kein Pro- blem darstellt, erschweren der schon oben erwähnte Engpass bei der bio- informatorischen Aufbereitung und die bislang fehlende Standardisierung auf diesem Gebiet einen Einsatz in der Patientenroutine. Jedoch ist fest davon auszugehen, dass das NGS in die zahn- ärztliche Diagnostikroutine Einzug halten wird. Im Sinne einer personali- sierten Medizin könnten mit der NGS- Technologie bereits Patienten mit dys- biotischem Mikrobiom identifiziert werden, bevor diese die eigentlichen klinischen Krankheitssymptome, Taschensondierungstiefen und Attach- mentverluste, zeigen. Dies würde es ermöglichen mit der Parodontitis- therapie früher und weniger invasiv zu beginnen. Eine weitere Behandlungsmöglichkeit bestünde in der Transplantation eines eubiotischen Mikrobioms in Patienten mit dysbiotischem Mikrobiom [Pozhit- kov et al., 2015]. Die Therapieoption wird in der Inneren Medizin schon verschiedentlich angewendet. Beides, früherer Behandlungsbeginn und/oder Mikrobiomtransplantation, könnten dazu führen, dass das Auftreten der Parodontitis bis in ein höheres Lebens- alter verzögert wird. Möglicherweise kann künftig die Bestimmung des Gra- des der Dysbiose für die Findung von Parametern zum Festlegen der Behand- lungsfrequenz in der primären und in der sekundären Prophylaxe genutzt werden. Dies würde im Sinne einer individualisierten personalisierten Medizin Über- und Untertherapie ver- meiden. Zuletzt könnte eine Mikrobiomauswer- tung vor dem Einsatz adjuvanter Anti- biotika in der Parodontitistherapie in Zukunft dabei helfen, diejenigen Pa- tienten zu identifizieren, die von der Antibiose klinisch relevant profitieren. Hierdurch würde der ungerechtfertigte Einsatz von Antibiotika in der Zahn- medizin weiter reduziert werden. Viele dieser Überlegungen sind Gegenstand der aktuellen Forschung und die kom- menden Jahre werden zeigen, welche Erkenntnisse für die klinische Routine relevant sein werden. \ CME AUF ZM-ONLINE Parodontalpathogenes Mikrobiom bei Parodontitispatienten Für eine erfolgreich gelöste Fortbildung erhalten Sie 2 CME-Punkte der BZÄK/DGZMK. ZAHNMEDIZIN | 49

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