Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 1-2

zm 111, Nr. 01-02, 16.1.2021, (63) Nach der Rechtsprechung des Bundes- arbeitsgerichts ist ein solcher Anspruch des Arbeitnehmers – anders als ein Anspruch im Sinne des Entgeltfort- zahlungsgesetzes – jedoch unter gewis- sen Voraussetzungen abdingbar (vgl. BAG, Urteil vom 7. Februar 2007 – 5 AZR 270/06 –, ZUM 2007, 507). Dies entspricht also genau der Situa- tion unseres Fragestellers, der sich mit dem – grundsätzlich zulässigen – Ansinnen seines Arbeitgebers konfron- tiert sieht, vertraglich auf § 616 S. 1 BGB zu verzichten. DAS INTERESSE DES ARBEITGEBERS Der Arbeitgeber hat ein nicht unerheb- liches finanzielles Interesse an einer solchen Vereinbarung. Denn aufgrund der akuten Infektionszahlen steigt sein Risiko quarantänebedingter Abwesen- heit seiner Beschäftigten, was für ihn grundsätzlich bedeutet: voller Lohn ohne Arbeit. Ferner kann der Arbeit- geber den Arbeitnehmer auch noch auf eine Alternative hinweisen. § 56 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetz sieht vor: „Wer aufgrund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonsti- ger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbs- tätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstaus- fall erleidet, erhält eine Entschädigung in Geld.“ Das heißt, der Arbeitnehmer könnte sich sein Geld für die Quarantänezeit auch vom Staat holen. Doch hier lauert eine große Gefahr für den Arbeit- nehmer. Denn er hat nur Anspruch im Sinne des § 56 Abs. 1 S. 1, wenn ein Anspruch gegen den Arbeitgeber im Sinne des § 616 S. 1 BGB nicht besteht. In diesem Sinne urteilte schon der Bundesgerichtshof zum Vorläufer des Infektionsschutzgesetzes (BGH, Urteil vom 30. November 1978 – III ZR 43/77 –, BGHZ 73, 16). Bei einer nachträglichen vertraglichen Abbedingung des Anspruchs des Arbeitnehmers im Sinne des § 616 S. 1 BGB, wie ihn ja der Arbeitgeber vom Fragesteller verlangt, könnte daher der Eindruck entstehen, dass durch den Vertrag der Arbeitgeber ge- zielt auf Kosten des Staates entlastet werden soll. Denn warum sollte sich der Arbeitnehmer ansonsten auf eine solche Verschlechterung seines Arbeits- vertrags einlassen, wenn nicht sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer stillschweigend von einem Anspruch des Arbeitnehmers nach dem Infek- tionsschutzgesetz ausgehen würden? LEIDER NUR NACHTEILE FÜR DEN ARBEITNEHMER Eine solche Konstellation, in der ein unbeteiligter Dritter durch eine ver- tragliche Vereinbarung zwischen zwei Parteien gezielt belastet werden soll, wird juristisch als unzulässiger Vertrag zulasten Dritter bezeichnet und ist un- wirksam (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 – IV ZR 121/17 –, NJW 2018, 2958). Der Staat könnte sich daher gegenüber dem Arbeitnehmer auf den Standpunkt stellen, dass die vertragliche Vereinbarung mit dem Arbeitgeber unwirksam ist. Er würde dann Zahlungen im Sinne des § 56 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetz mit dem Hinweis auf den gegen den Arbeitgeber bestehenden Anspruch des Arbeitnehmers im Sinne des § 616 S. 1 BGB verweigern. Wendet sich der Arbeitnehmer anschließend an den Arbeitgeber, ver- weigert dieser unter Hinweis auf den unterschriebenen Vertrag jedoch eben- falls die Zahlung. Der Arbeitnehmer wird dann gezwungen, seinen Zah- lungsanspruch gegen den Staat oder Arbeitgeber auf dem Klageweg geltend zu machen. Ausgang ungewiss, denn es gilt das alte Sprichwort: Vor Gericht und auf hoher See sind wir alle in Gottes Hand. FAZIT Ein Arbeitnehmer sollte das Ansinnen seines Arbeitgebers auf (nachträg- lichen) vertraglichen Ausschluss des § 616 S. 1 BGB aus den genannten Gründen zurückweisen. Auch wäre die Geltendmachung eines Anspruchs des Arbeitnehmers nach dem Infektions- schutzgesetz ohnehin mit erheblichem Mehraufwand verbunden, da er zu- nächst die zuständige Behörde heraus- finden und dort alle relevanten Unter- lagen einreichen müsste. Ob er dann auch zeitnah sein Geld bekommt, darf ebenfalls bezweifelt werden. Abschließend glaube ich, dass einige Praxisinhaber nicht ausreichend aufge- klärt sind, ansonsten würden sie so etwas wohl nicht anbieten. Daher rate ich dringend davon ab. Ich gehe da- von aus, dass sie ja sowieso das Gehalt weiterzahlen würden, wenn der Mit- arbeiter es nicht bekommen sollte, denn ansonsten bliebe er oder sie nach Gesundung sicher nicht mehr allzu lange in dieser Praxis. In diesem Sinne ... Ihr Christian Henrici zusammen mit Dr. Sören Pansa, Mitglied im Praxisflüsterer-Team Henrici@opti-hc.de, www.opti-hc.de CHRISTIAN HENRICI – DER PRAXISFLÜSTERER Mit der Erfahrung aus mehr als 3.200 umfassenden zahnärztlichen deutschlandweiten Mandaten in knapp fünfzehn Jahren beantwortet der Praxisexperte und Haupt- gesellschafter der „OPTI health consulting GmbH“ Fragen von Mandanten und Lesern zum Unternehmen Zahnarztpraxis. Der Einblick in seinen „Praxis“-Alltag soll Lösungs- ansätze aufzeigen, um Problemen in der Praxis so früh wie möglich begegnen zu können. Oder besser – um diese gar nicht erst entstehen zu lassen. PRAXIS | 65

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