Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 4

zm 111, Nr. 4, 16.2.2021, (286) wobei 46 Prozent der Patienten eine komplette und drei Prozent eine par- tielle Remission erreichen. Ohne Gabe einer Chemotherapie liegt die mittlere Überlebenszeit bei drei Mo- naten. Eine simultane ART wird mit einer besseren Überlebensrate assozi- iert. Bisherige Studien konnten eine mittlere Überlebenszeit von lediglich 14 Monaten und eine Fünf-Jahres- Überlebensrate von 31 Prozent nach- weisen [Castillo und Reagan, 2011]. Durch eine primäre konsolidierende Hochdosischemotherapie mit an- schließender autologer Stammzell- transplantation konnte in einer kleinen Fallserie mit vier Patienten eine anhaltende Remission erreicht werden [Onkopedia, 2019]. DIAGNOSTIK Spezifische Antikörper gegen das HI- Virus entwickeln sich typischerweise zwei bis zehn Wochen nach der In- fektion. Innerhalb der ersten Wochen ist die Ansteckungsfähigkeit aufgrund der hohen Viruslast besonders hoch, stagniert im Latenzstadium und steigt mit zunehmender Immun- defizienz wieder an. Innerhalb der ersten zwei Erkrankungsjahre ist die Rate der AIDS-Erkrankungen gering und steigt in den darauffolgenden Jahren pro Jahr um sechs Prozent an [RKI, 2018]. Die HIV-Diagnostik erfolgt in einem zweistufigen Testverfahren mit einem Such- und einem Bestätigungstest. Bei dem Suchtest werden Antikörper gegen das Virus gemessen. Dieser ist durchschnittlich 22 Tage nach Expo- sition positiv – jedoch sollte aufgrund der oben genannten variablen Zeit bis zur Antikörperbildung ein Sicher- heitsfenster von zwölf Wochen einge- halten werden. Bei dem Bestätigungs- test handelt es sich meist um einen Immunoblot, der die Bindungsspezi- fität der Antikörper an bestimmte virale Proteine mit einer hohen Spe- zifität untersucht. Neben der HIV- Diagnostik sollte nach Stellung einer Erstdiagnose der Erkrankung außer- dem der Serostatus weiterer übertrag- barer Erkrankungen wie Tuberkulose, Hepatitis A, B und C und Syphilis ge- testet werden. Insbesondere im Rah- men einer Immunschwäche ist das Risiko erhöht, an einer offenen Tuberkulose zu erkranken. Handelt es sich beim Übertragungsweg um eine Weitergabe durch Sexualkontakte, sollte auch auf andere sexuell über- tragbare Erkrankungen wie Infektio- nen mit dem Humanen Papilloma- virus, Chlamydien und Gonokokken getestet werden [RKI, 2018]. THERAPIE Die Indikation einer antiretroviralen Therapie wird anhand des Krank- heitsstadiums, der CD4-Zellzahl und der Viruslast gestellt [Deutsche AIDS- Gesellschaft, 2014]. Bei den gängigen Medikamenten zur Therapie des HI- Virus handelt es sich um Inhibitoren viraler Enzyme. Sie werden entspre- chend ihres Angriffspunkts an der Zielzelle in fünf Gruppen unterteilt [RKI, 2018]. Ziel der Therapie ist es, die durch das Virus induzierte Ent- stehung des Immundefekts und die damit einhergehenden Komplikatio- nen zu verhindern [RKI, 2018]. Seit Einführung der ART konnten die Viruslast, die Morbidität und die Mortalität der Patienten mit HIV- Erkrankung deutlich gesenkt werden. Der Mortalitätsindex sank von ur- sprünglich 97,4 Prozent im Jahr 1993 auf 19,8 Prozent im Jahr 2001 [Goncalves et al., 2013]. Zum aktuel- len Zeitpunkt wissen etwa 78 bis 85 Prozent der Patienten um ihren Sta- tus, etwa 61 bis 73 Prozent erhalten eine ART und 54 bis 65 Prozent der Patienten mit HIV-Erkrankung haben eine virale Suppression unterhalb der Nachweisgrenze. Trotz der Fort- schritte in der antiretroviralen Thera- pie konnte bisher keine Lösung für die Heilung der Erkrankung gefunden werden [Lorosa et al., 2019]. Dass etwa zehn bis zwölf Prozent der Patienten in Deutschland gegen ein oder meh- rere antiretrovirale Medikamente re- sistente Erreger aufweisen, erschwert die effektive Therapie betroffener Per- sonen [Deutsche AIDS-Gesellschaft, 2014]. Es konnte gezeigt werden, dass das LGE als Gingivaerkrankung fungaler Ursache einen signifikant prädiktiven Wert von 70 Prozent für eine Immun- suppression und unter HIV-Erkran- kung einer CD4-Zellzahl von unter 200 Zellen/mm 3 besitzt. Entsprechend nimmt die frühe Diagnose eines LGE einen hohen Stellenwert in der Früh- diagnose einer HIV-Erkrankung ein. Trotz der Assoziation der unterschied- lichen Formen mit einer Immun- defizienz ist bisher unklar, ob eine antiretrovirale Therapie einen Ein- fluss auf die klinischen Faktoren der gingivalen und parodontalen Erkran- kungen bei HIV-infizierten Patienten besitzt [Goncalves et al., 2013]. Ge- zeigt werden konnte, dass orale Ma- nifestationen unter einer adäquaten ART seltener vorkommen [Tappuni und Fleming, 2001]. IN DER ZAHNARZTPRAXIS Studien haben ergeben, dass – trotz der hohen Relevanz der oralen Ge- sundheit bei HIV-Infizierten – viele Patienten heutzutage noch keine adä- quate zahnärztliche Therapie erhalten [Lorosa et al., 2019]. Anhand einer Studie konnte zwar festgestellt wer- den, dass die Studierenden die grund- legenden Kenntnisse über die wich- tigsten oralen Manifestationen einer HIV-Erkrankung kannten und wuss- ten, dass Schutzmaßnahmen getrof- fen werden sollten, jedoch auch zahl- reiche Unklarheiten bestanden. Zu diesen zählen einerseits die Form und Auswertung der HIV-Testung ebenso wie die Beziehung zu anderen infek- tiösen Erkrankungen wie Hepatitis, zahlreiche andere Formen der oralen Manifestation und das Wissen da- rum, welche Körperflüssigkeiten in- fektiöses Material darstellen [Lorosa et al., 2019]. Grundsätzlich gilt, dass nach Be- handlung eines HIV-Infizierten die routinemäßigen Hygienemaßnahmen PD DR. DR. PEER W. KÄMMERER, MA, FEBOMFS Leitender Oberarzt und stellvertretender Klinikdirektor Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer und Gesichtschirurgie – plastische Operationen Universitätsmedizin Mainz Augustusplatz 2, 55131 Mainz peer.kaemmerer@unimedizin-mainz.de Foto: privat 56 | ZAHNMEDIZIN

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