Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 6

zm 111, Nr. 6, 16.3.2021, (511) 1967 traf sie eine folgenreiche Ent- scheidung: Sie wurde (zunächst un- bezahlte) Gastassistentin in der Poli- klinik für Zahnerhaltung und Paro- dontologie der Universitätszahnkli- nik Bonn. Im März 1968 wurde sie dort als angestellte Assistentin über- nommen. Die Klinik wurde geleitet von Ernst Sauerwein (1916–1992), 12 einem Schüler von Gustav Korkhaus (1895–1978). 13 Sie besaß eine lange Tradition in der Schulzahnpflege: Der jüdische Hochschullehrer Alfred Kantorowicz (1880–1962) 14 hatte nach seiner Berufung nach Bonn (1918) das „Bonner System der Jugendzahn- pflege“ 15 entwickelt. Doch nach der Machtübernahme der Nationalsozia- listen (1933) 16 wurde Kantorowicz seines Amtes enthoben und sein Behandlungskonzept zerschlagen. Er floh in die Türkei und kehrte erst in der Nachkriegszeit nach Bonn zurück, um an „seiner“ ehemaligen Zahnkli- nik als Emeritus Lehrverpflichtungen wahrzunehmen. In dieser Zeitphase lernten sich Sauerwein und Kantoro- wicz kennen; Sauerwein nannte letz- teren später seinen „geistigen Lehrer im akademischen Sinne“. 17 DIE ERSTE KINDERABTEILUNG IN DER BUNDESREPUBLIK Sauerwein betraute die erfahrene Praktikerin Gentz 1968 mit dem Auf- und Ausbau einer „Kinder-Abteilung“. Fritz Haun spricht von der „ersten selbstständigen Kinderabteilung“ 18 in der Bundesrepublik; diese wurde „aus dem Fundus der Zahnerhaltung und Parodontologie“ ausgestattet. 19 Zudem wurde Gentz beauftragt, eine Spezial- vorlesung zu entwickeln. Besagte Maßnahmen erscheinen aus heutiger Sicht wenig bemerkenswert. Ende der 1960er-Jahre hatte die Kinderzahn- heilkunde jedoch kaum eine Lobby; auch waren Zahnärztinnen in verant- wortlichen universitären Positionen weiterhin Ausnahmen. 20 Haun, zeitweise in besagter Abteilung als Assistent tätig, weiß zu berichten, dass Sauerwein die Kinderzahnheil- kunde „gegen mancherlei Wider- stände“ etabliert hatte, weshalb er die beiden dort tätigen Assistenten bisweilen scherzhaft als seine „Luxus- knaben“ bezeichnet habe. 21 Tatsäch- lich stand die Kinder- und Behinder- tenbehandlung in dem Ruf, finanziell wenig lukrativ zu sein. Gentz etablierte in Bonn einen „Kin- derbehandlungsnachmittag“ inner- halb des Kurses Zahnerhaltung II, der auch der Therapie von Kindern mit Handicap diente. 22 Besagter Unter- richt wurde, wie geplant, „durch eine attraktive, souveräne Kinderzahnheil- kunde-Vorlesung mit wechselnden eigenen Fällen“ flankiert. 23 Dabei be- zog Gentz auch Schnittflächenfächer wie die Logopädie in ihren Unterricht mit ein. 24 Daneben führte sie Zahn- behandlungen in Vollnarkose durch. Außerdem etablierte sie „schon in den frühen 70er-Jahren zur Versorgung der Frontzahntraumafälle neben der bewährten Versorgung mit KFO-Ring und Phosphatzement die damals noch auf den Schmelz angewendete Ätzung und Versorgung mit Kunst- stoff“. Dies sprach sich rasch herum und bescherte der Kinderabteilung bald „eine Vielzahl von Kindern und Jugendlichen mit Frontzahntrauma- fällen“. 25 EINE BRANDREDE FÜR EINE BESSERE VERSORGUNG Daneben trat Gentz regelmäßig mit Publikationen an die Fachöffentlich- keit. Sie verfasste Beiträge zu den Be- darfen in der Kinderzahnheilkunde (auch auf Schwedisch) 26 und zur Be- handlung von chronisch kranken Kin- dern beziehungsweise von Kindern mit Handicaps 27 . Spezifische Arbeiten beschäftigten sich mit Empfehlungen zur Zahnpflege und Zahnfleischmas- sage während der Schwangerschaft, 28 den klinischen Erfahrungen mit einer spezifischen Kinderkarteikarte 29 und der Rolle der Zahnarzthelferin in der Kinderbehandlung 30 . Die größte Be- kanntheit erlangte ihr 145-seitiges Buch „Ärztlicher Rat zur Verhütung von Zahnerkrankungen bei Kindern und Erwachsenen“; zu dieser 1976 erschienenen Monografie verfasste Sauerwein das Vorwort. 31 Doch Gentz unterstrich ihre Pionier- rolle auch durch berufspolitische 12 Haun (2016b); 13 Groß (2018d); 14 Groß (2018c); 15 Hoffmann-Axthelm (1983), 101; 16 Groß/Krischel (2020); 17 Sauerwein (1980); 18 Haun (2016a); 19 Haun (2000), 114; 20 Groß (1998); Groß (2009); Groß/Schäfer (2011); Groß (2019), 63–87; 21 Haun (2016b); Haun (2000), 114; 22 Schiffner (2008); Schiffner (2009); 23 Haun (2008b), 7; 24 Haun (2000), 114; Pionierinnen Teil 4; 25 Haun (2016a); 26 Gentz (1971); Gentz (1975d und e); 27 Gentz (1974b); Gentz (1975b und c); 28 Gentz (1975a); 29 Gentz (1969); 30 Gentz (1974a); 31 Gentz (1976); DIE NEUE ZM-REIHE „PIONIERINNEN DER ZAHNMEDIZIN“ Dorothea Dausch-Neumann (zm 8/2021) Foto: Deutscher Zahn- ärzte-Kalender 16 (1957), 120 Gisela Schützmannsky (zm 7/2021) Foto: Deutscher Zahnärzte-Kalender 39 (1980), 65 Anna-Luise Gentz (zm 6/2021) Foto: Deutscher Zahnärzte-Kalender 39 (1980), 65 Herta Byloff-Clar (zm 5/2021, S. 40–43) Foto: Byloff (2020) Elsbeth von Schnizer (zm 4/2021, S. 46–49) Foto: BArch, NS 44/121, Bl. 69 Maria Schug-Kösters (zm 3/2021, S. 44–48) Foto: Deutscher Zahnärzte-Kalender 13 (1954), 70 GESELLSCHAFT | 65

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