Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 8

zm 111, Nr. 8, 16.4.2021, (740) (VDZM) und anderweitig, erlaube ich mir eine redaktionell begrenzte Aus- wahl kritischer Annotationen. FORSCHUNGSSTAND NUR EINE MOMENTAUFNAHME Die Beurteilung der NS-Aufarbeitung durch BZÄK, KZBV und die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde e. V. (DGZMK) als „die erste umfassende historisch-kritische Darstellung der Geschichte der Zahn- ärzteschaft und ihrer Organisationen in den Jahren 1933 bis 1945 sowie in der Nachkriegszeit“ 3 auf der Berliner Pressekonferenz erzeugte einen unzu- treffenden Eindruck; die Attribute „umfassend“ und „historisch-kritisch“, insbesondere hinsichtlich des An- spruchs einer substanziellen Dar- stellung der „Nachkriegszeit“ waren zu hoch gegriffen; sie bedürfen der Relativierung. Die inkriminierte Fest- stellung entspricht der Sichtweise euphemistischer Standesoptik. Wenn sich hinter dem Adjektiv erst- mals „umfassend“ keine klammheim- liche „Schlussstrich-Mentalität“ ver- birgt, dann kann es sich allenfalls auf den aktuellen Forschungsstand als erweiterungsbedürftige Moment- aufnahme beziehen. Zu ihrer Zeit je- weils erstmals „umfassend“ waren be- reits die Inhalte der umfangreichen Buchpublikationen zu diesem Thema von Dr. Wolfgang Kirchhoff 4 1987, Dr. Norbert Guggenbichler 5 1988 und Dr. Wolfgang Kirchhoff / Prof. Dr. Caris-Petra Heidel 6 2016. Die Projekt-Ergebnisse wären umfas- sender gewesen, hätte die Standes- politik der Vor- und Nachkriegszeit mit ihrem gesundheitspolitischen Einfluss auf die Versorgungsrealität „historisch-kritisch“ stärker im Vor- dergrund gestanden. Auf die NS-Zeit bezogen fehlen Forschungsergebnisse über „Arisierungen“ von und Zwangs- arbeit in Zahnarztpraxen/Laborato- rien. Für den Hochschulbereich feh- len die systematische Darstellung der politischen Agitation und die Ein- flussnahme der Studentenschaft auf die Ideologisierung des Unterrichts und die Vertreibung von Hochschul- lehrern. Die Mitwirkung von Schul- zahnärzten innerhalb der Verbrechens- struktur der Gesundheitsämter bedarf weiterer Aufklärung. Die im Fall des „Zentralblatts“ vorliegende kritische Aufarbeitung der Fachpresse hinsicht- lich rassenhygienischer, sozialdarwi- nistischer und kriegsvorbereitender Inhalte bedarf der Ausweitung auf das gesamte zahnmedizinische Schrift- tum dieser Zeit. Unbearbeitet blieb die internationale ökonomische Be- deutung des Goldraubs in den Kon- zentrationslagern. Es fehlen kritische Studien über die epidemiologische und soziale Bedeutung der gemein- sam von den Eliten des NS-Systems 3 Dokumentation der Ergebnisse des Forschungsprojekts „Zahnmedizin und Zahnärzte im Nationalsozialismus“. Pressekonferenz am 28.11.2019 in Berlin. S. 1; 4 Kirchhoff W (Hg). Zahnmedizin und Faschismus. Marburg 1987; 5 Guggenbichler N. Zahnmedizin unter dem Hakenkreuz. Frankfurt 1988. 6 Kirchhoff W / Heidel CP. „…total fertig mit dem Nationalsozialismus“? Die unendliche Geschichte der Zahnmedizin im Nationalsozialismus. Frankfurt 2016; s. Rezension Thieme V. Die weißen Flecken in der braunen Geschichte der Zahnmedizin. In: zm 107, Nr. 21, 1.11.2017, (2518); s. Rezension ACW. „..total fertig mit dem Nationalsozialismus“? In: Der Hessische Zahnarzt. Heft 1–2. Jan./Febr. 2020. S. 94; Foto: zm Die Serie „Täter und Verfolgte im ‚Dritten Reich‘“ lief in den zm im gesamten Jahr 2020, hier das Titelbild vom Start der Serie in der zm 1-2/2020. Vorgestellt wurden jeweils eine Täter- und eine Verfolgtenbiografie. 82 | GESELLSCHAFT

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