Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 8

zm 111, Nr. 8, 16.4.2021, (744) bericht (zm 23-24/2020) – betont, dass unsere Forschung nicht abge- schlossen ist und es einige offene Fragen gibt, die nur mit weiteren Fördermitteln zu klären wären. Als konkrete Beispiele habe ich die Themenfelder Zwangssterilisatio- nen (bei Trägern von LKG-Spalten) und Zwangsarbeit unter zahnärzt- licher Verantwortung genannt. Ohnehin – jetzt referiere ich eine wissenschaftliche Binsenweisheit – ist es das Wesen von Forschung, stets neue, weiterführende Fragen aufzuwerfen. Ich habe bis heute noch kein Projekt geleitet, das nach Ende der Laufzeit keine Forschungsdesiderate aufgedeckt hätte. \ Beim Lesen des Kommentars habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Schlussfolgerungen von Dr. Kirchhoff vornehmlich auf der präsentierten Reihe zur NS-Zahn- medizin in der zm basieren. Das ist aber nur ein Ausschnitt unserer Forschungsergebnisse. Neben der zm-Reihe gibt es eine zweite NS-Reihe in der „Deutschen Zahnärztlichen Zeitschrift“ und parallel dazu in der englischspra- chigen „DZZ International“: Dabei handelt es sich um insgesamt elf deutsch- und elf englischsprachige Beiträge zur Rolle der DGZMK und ihrer Protagonisten, von denen bis März erst ein deutscher und zwei englische Aufsätze veröffentlicht werden konnten. Sie sind jedoch alle bereits eingereicht. Außerdem haben wir eine dritte Reihe in der Fachzeitschrift „Der MKG-Chirurg“ etabliert, die sich dem Fach Kieferchirurgie und den Kieferchirurgen widmet (und damit auch dem Thema der Zwangssterilisation). Sie umfasst weitere neun Aufsätze – auch diese sind bereits alle verfasst. Publikationsstart war im April 2021. Und selbst das ist nicht alles: Als Forscher muss es unser eigentlicher Anspruch sein, weltweit und in der Wissenschaftssprache Englisch zu publizieren. Einige Ergebnisse erschienen – und erscheinen – daher in internationalen medizin- historischen Fachzeitschriften (zum Beispiel in Medical History, Journal of the History of Medicine and Allied Sciences, Endeavour, Sudhoffs Archiv). Sie richten sich an Fachhistoriker und unterscheiden sich schon deshalb methodisch und thematisch von den eingangs genannten Beiträgen. Doch auch zahnärztliche Journals sind dabei (British Dental Journal und Journal of Craniomaxillofacial Surgery). Last, not least erscheint im Herbst der erste Band meines dreiteiligen Zahnärzte-Lexikons mit quellen- basierten Beiträgen (darunter auch die genannten Zahnärzte Loos und Pieper). DIE ERGEBNISSE KÖNNEN SICH SEHEN LASSEN Kurz und gut: Mein Vorschlag wäre, das Urteil über den geleisteten Um- fang unserer Forschung zurückzustel- len, bis alle eingereichten Arbeiten publiziert sind. Übrigens war unser Gesamtbudget mit 90.000 Euro wesentlich geringer als bei jedem anderen Aufarbeitungsprojekt, das ich kenne, und diese Summe war zudem noch auf die Erforschung der Täter (Aachen) und der Opfer (Düs- seldorf) aufzuteilen. In vielen Projek- ten erreichen die Mittel den drei- bis vierfachen Umfang. Auch im Hin- blick auf dieses Budget bin ich der Ansicht, dass sich unsere Forschungs- ergebnisse sehen lassen können. Erlauben Sie mir einen weiteren Aspekt anzusprechen: Dr. Kirchhoff hat sich auch zu Dr. Peter Engel, Dr. Wolfgang Eßer und Prof. Roland Frankenberger geäußert. Hier würde ich gern meinen Eindruck dazugesel- len. Die drei Genannten waren als Vertreter der Förderinstitutionen Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Kassenzahnärztliche Bundesvereini- gung (KZBV) und Deutsche Gesell- schaft für Zahn-, Mund- und Kiefer- heilkunde (DGZMK) mitentschei- dend dafür, dass das Projekt zustande kam und reibungslos verlief. Hierin sehe ich ein wirkliches historisches Verdienst und eine standespolitische Zäsur. Ich persönlich habe auch keine Ver- anlassung, dies zu relativieren: Es gab nicht den leisesten Versuch der Einflussnahme auf unsere Forschung oder Publikationen. Die Genannten sind auch nicht verantwortlich für Versäumnisse und Fehler der Vergan- genheit und ich habe bei keiner unse- rer informellen oder öffentlichen Zusammenkünfte erlebt, dass diese Versäumnisse beschönigt wurden. Und für die politische Vergangenheit des Freien Verbands Deutscher Zahn- ärzte (FVDZ) – die ich in der Presse- konferenz sehr wohl thematisiert habe – sind sie nicht zuständig. Meine positive Einschätzung stützt sich übrigens nicht nur auf persönli- che Eindrücke, sondern auch auf Fak- ten: BZÄK und KZBV haben sich zum Beispiel zu Projektbeginn entschie- den, den hochdotierten Herbert- Lewin-Preis (NS-Aufarbeitungspreis in Medizin) mitzutragen, und die DGZMK hat zwischenzeitlich einen eigenen Aufarbeitungspreis und eine jährliche Gedächtnisvorlesung im Rahmen des Zahnärztetags beschlos- sen – beides musste bedingt durch COVID-19 leider von 2020 auf 2021 verschoben werden. Ich teile übrigens voll und ganz die Ansicht von Dr. Kirchhoff, dass es richtig und wichtig wäre, eine zahnärztliche Deklaration nach dem Vorbild der Nürnberger Erklärung zu verfassen und zu verlesen. Ich halte dies auch keineswegs für unwahr- scheinlich. Schon vor diesem Hinter- grund hoffe ich, mit Dr. Wolfgang Kirchhoff im Gespräch zu bleiben. Wir beschreiten schlussendlich beide denselben Weg – und er ist noch nicht ganz zu Ende ... \ PROF. DR. DR. DR. DOMINIK GROß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de Foto: privat 86 | GESELLSCHAFT

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