Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 9

zm 111, Nr. 9, 1.5.2021, (780) DIE KLINISCH-ETHISCHE FALLDISKUSSION Schmerzbehandlung einer Corona-Leugnerin Freitagvormittag stellt sich Frau O. vor, die in unregelmäßigen Abständen zu Dr. P. in die Praxis kommt. Sie erzählt dem Personal, dass sie seit einigen Tagen Schmerzen im Bereich der Backenzähne hat. Ihre rechte Wange sei zudem leicht geschwollen. Trotz Pandemie und eines unübersehbaren Schildes „Bitte Mundschutz tragen“ trägt die Patientin keinerlei Maske. D ie Mitarbeiterin erläutert O., dass der Wartebereich schon sehr voll sei und sich im Ein- klang mit dem derzeit gültigen Hy- gienekonzept niemand mehr hinein setzen dürfe. Sie bittet O., sich die Hände zu desinfizieren und vor der Praxistür zu warten, bis ein Platz im Wartezimmer frei wird. O. lehnt dies genauso lautstark ab wie den angebotenen Mund-Nasen-Schutz. Es müsse doch reichen, wenn sie „zur Not“ mit einem Tuch Nase und Mund bedecken würde. Auf keinen Fall könne sie so lange stehen, und vom Desinfektionsmittel bekomme sie einen schlimmen Hautausschlag. Darüber hinaus sei diese ganze „Corona-Panikmache“ übertrieben. Sie kenne niemanden, der diese ver- meintliche Erkrankung gehabt habe, und habe auch keine Lust, sich „von der Panik anstecken“ zu lassen. Die Assistentin informiert daraufhin P., die ihrerseits versucht – nun mit entsprechendem Nachdruck –, O. von den notwendigen Hygienemaß- nahmen zu überzeugen. Allerdings verweigert O. diese weiterhin und be- steht auf einer schnellen Schmerz- behandlung. P. vermutet nach Prü- fung ihrer Dokumentation, dass die Beschwerden von O. mit einer vor wenigen Monaten durchgeführten endodontischen Therapie zusammen- hängen könnten, und sieht den drin- genden Behandlungsbedarf. Anderer- seits ist ihr die konsequente Um- setzung des Hygienekonzepts sehr wichtig, um die Patienten, ihre Mit- arbeiterinnen und sich selbst vor Infektionen zu schützen. Gleichwohl ist sich P. unsicher, wie sie mit O. umgehen soll. Es stellen sich für sie mehrere Fragen: 1. Dürfte sie O. eine Schmerz- behandlung aufgrund von deren Verhalten verweigern? 2. Was wiegt schwerer, eine mög- liche Gefährdung der anderen Patienten sowie des eigenen Personals oder die Beschwerden einer einzelnen Person? 3. Macht sie sich rechtlich wie ethisch angreifbar, wenn sie O. ohne Einhaltung der Hygiene- maßnahmen innerhalb der Praxis warten lässt und schließlich mög- licherweise mit Kompromissen im Infektionsschutz behandelt? \ OBERFELDARZT DR. ANDRÉ MÜLLERSCHÖN Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg Werner-Heisenberg-Weg 39, 85579 Neubiberg andremuellerschoen@bundeswehr.org Foto: privat OBERSTARZT PROF. DR. RALF VOLLMUTH Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Zeppelinstr. 127/128, 14471 Potsdam vollmuth@ak-ethik.de Foto: Bayer Foto: AdobeStock_kittyfly 14 | PRAXIS

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