Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 9

zm 111, Nr. 9, 1.5.2021, (825) Gruppe mittleren Alters (50 bis 59 Jahre). Faktoren wie die Wahrnehmung der COVID-19-Pandemie als finanzielle Bedrohung, eine systemische Immun- schwächekrankheit, das Geschlecht und das Alter haben somit Einfluss auf den psychischen Status der Zahn- ärzte (Abbildungen 1 und 2). DISKUSSION UND SCHLUSSFOLGERUNG Mit 732 teilnehmenden Zahnärzten wies die Befragung eine statistisch signifikante Stichprobengröße auf. Die soziodemografischen Angaben zeigten eine analoge Geschlechter- verteilung im Vergleich zur Zahn- ärztepopulation in Deutschland (60 bis 70 Prozent weiblich). Die Mehr- heit war jünger als 50 Jahre und arbeitete in Zahnarztpraxen. Dies entspricht auch dem gemeldeten Durchschnittsalter (48 Jahre) und den beruflichen Merkmalen der Zahnärzte in Deutschland. Darüber hinaus fand sich eine Raucherquote von unter 10 Prozent. Dies steht im Einklang mit Angaben aus vorher- gehenden Studien zum Raucher- verhalten innerhalb der zahnmedizi- nischen Berufe (5 bis 8 Prozent). Herz- Kreislauf-Erkrankungen wiesen mit einer Rate von 13,9 Prozent die häu- figsten systemischen Erkrankungen bei den teilnehmenden Zahnärzten auf, was den Raten der deutschen Bevölkerung (10 bis 13 Prozent) ent- spricht. In der Untersuchung zeigten sich insgesamt milde psychologische Aus- wirkungen der COVID-19-Pandemie auf deutsche Zahnärzte in Bezug auf Stresslevel, Angstzustände, Depressio- nen, Intrusion, Vermeidung und Übererregung. Entsprechend den unterschiedlichen Inzidenzraten von COVID-19-Erkrankten in den Bun- desländern zeigten sich in mehreren Regionen (wie den südlichen Bundes- ländern) größere psychologische Aus- wirkungen. Ähnlich wie bei anderen internationalen psychologischen Untersuchungen zeigten Frauen in dieser Studie eine signifikant höhere psychische Belastung als Männer. Dieser Effekt kann als Folge unter- schiedlicher Bewältigungsstrategien erklärt werden. Die Untersuchung er- gab auch, dass Probanden in einer ehelichen oder eheähnlichen Bezie- hung oder mit Kindern weniger psy- chisch belastet sind als andere Grup- pen. Dies wurde bereits in anderen internationalen Studien beschrieben und könnte dadurch erklärt werden, dass familiäre Beziehungen soziale Unterstützung in schwierigen Situa- tionen ermöglichen und somit die psychische Belastung verringern. In der Umfrage zeigte sich ein wich- tiger Zusammenhang zwischen der Altersgruppe und psychischen Belas- tung von Zahnärzten. So hatten die Befragten der jüngsten Altersgruppe (18 bis 49 Jahre) und der Gruppe über 60 Jahre insgesamt mildere DASS-21- und IES-R-Werte als die Gruppe mittleren Alters (50 bis 59 Jahre). Ein Grund für die erhöhte psychische Belastung innerhalb der mittleren Altersgruppe könnte sein, dass diese laut Robert Koch-Institut ein erhöh- tes Risiko für eine schwere Erkran- kung aufweisen und gleichzeitig un- ternehmerische Verantwortung tragen. Außerdem könnten Ältere weitere gesundheitsbedingte alters- abhängige Risikofaktoren haben, die die Wahrscheinlichkeit einer Infek- tion mit SARS-CoV-2 und einer ge- fährlichen, gesundheitlichen Kom- plikation erhöhen können. Interes- santerweise zeigte die älteste Alters- gruppe noch mildere DASS-21- und IES-R-Werte als die jüngsten Teil- nehmer. Dies war eher unerwartet, da COVID-19-Infektionen in dieser Altersgruppe die höchste Morbidität und Mortalität aufweisen. Dazu lässt sich spekulieren, dass Menschen über 60 in ihrer Vergangenheit zahl- reiche schwierige Lebensereignisse wie vergangene Pandemien (HIV) oder Finanzkrisen erlebt haben, die ihre psychologische Widerstands- fähigkeit erhöht haben könnten. In dieser Untersuchung zeigten Zahn- ärzte mit chronischen Leber- oder Immunerkrankungen eine signifikant höhere psychische Belastung. Dies entspricht auch den Ergebnissen anderer Länder, in denen chronisch erkrankte Mitarbeiter der Gesund- heitsberufe signifikant höhere Stress- und Angstwerte aufwiesen. Zusätzlich hatten Zahnärzte, die in Zahnarzt- praxen arbeiten, signifikant höhere Stress-, Übererregungs- und Intru- sionswerte als ihre Kollegen aus Uni- versitätskliniken. Diese Beobachtung könnte durch ver- schiedene Aspekte erklärt werden: Während die Arbeitszeit an Universi- tätskliniken normalerweise in Lehre, Forschung und Patientenbehandlung unterteilt ist, sind Zahnarztpraxen hauptsächlich auf die Patientenbe- handlung ausgerichtet. Dies erhöht das Infektionsrisiko in Zahnarztpra- xen und führt somit zu einer höhe- ren psychologischen Belastung ihrer Mitarbeiter. Ein anderer Faktor könnte die finan- zielle Unsicherheit sein, die viele Praxen in der Pandemie belastet. Teil- nehmer, die die Pandemie als finan- zielle Bedrohung empfanden, zeigten in allen Bereichen eine signifikant höhere psychologische Belastung. Die Kenntnisse über die psychische Verfassung von Zahnärzten als extrem exponierte Berufsgruppe während der COVID-19-Pandemie sind entschei- dend, um negative Auswirkungen frühzeitig zu erfassen und rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass insbesondere Zahnärztinnen so- wie Zahnärzte im Alter zwischen 50 und 59 Jahren, die systemisch er- krankt sind und in einer Zahnarztpra- xis arbeiten, während der aktuellen Pandemie eine erhöhte psychologi- sche Belastung aufweisen. \ DR. JONAS CONRAD, M. SC. Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Arnold-Heller-Str. 3, 24105 Kiel conrad@konspar.uni-kiel.de Foto: privat PRAXIS | 59

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