Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 9

zm 111, Nr. 9, 1.5.2021, (846) zusatz 1:200.000 injiziert (Abbildung 4a). Anschließend folgte die margi- nale Schnittführung von 27 bis 23 mit jeweils zwei vertikalen Ent- lastungsschnitten. Nach Bildung des Mukoperiostlappens und Darstellung des Nervus infraorbitalis erfolgte die Abtragung der fibrösen Dysplasie unter Schonung der Zahnwurzeln und des Nervus infraorbitalis (Abbil- dungen 4b und 4c). Die Weisheits- zähne 28, 38 und 48 wurden eben- falls entfernt. Bei Zahn 28 kam es dabei zu einer Mund-Antrum-Verbin- dung, die plastisch gedeckt wurde. Das entnommene Hartgewebe wurde zur histopathologischen Beurteilung ins Knochentumor-Referenzzentrum und DÖSAK-Referenzregister nach Basel (Prof. Dr. Baumhoer) geschickt. Histologisch (Abbildung 5) zeigte sich eine monomorphe fibro-ossäre Läsion bestehend aus einem reifen und fibroblastären Spindelzellstroma und neu gebildeten Geflechtknochenbälk- chen. Die Matrix zeigte Zeichen der lamellären Ausreifung und stellen- weise Osteoblasten auf ihrer Ober- fläche als Zeichen eines bereits be- gonnenen reaktiven Remodellings. Im Kontext der Bildgebung wurde die Diagnose einer kraniofazialen fibrö- sen Dysplasie gestellt. Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos: Motorik und Sensibilität im Operationsfeld waren intakt, die Durchblutung und die Wundheilung ungestört. Nach der Abschwellung war eine Asymmetrie der Gesichtskonturen nicht mehr auffällig. Es wurden re- gelmäßige Kontrolluntersuchungen in unserer Ambulanz sowie ein augenärztlicher und radiologischer Recall empfohlen. DISKUSSION Die fibröse Dysplasie ist eine gut- artige, selbstlimitierende Knochen- veränderung, die erstmals durch Lichtenstein 1938 beschrieben wurde [Lichtenstein, 1938]. Es handelt sich nicht um eine Neoplasie, sondern vielmehr um eine Entwicklungs- störung. Pathogenetisch liegt eine Mutation im GNAS1-Gen vor. Diese führt zu einer Steigerung der c-AMP- Synthese, die die Differenzierung und Proliferation der Osteoblasten be- einflusst. Unreifer Faserknochen er- setzt dadurch den Lamellenknochen und bildet feinschichtiges Osteoid [Weinstein, 2006]. Betroffen sind vor- wiegend Kinder und junge Erwachsene (Diagnose in 75 Prozent der Fälle vor dem 30. Lebensjahr, höchste Inzidenz zwischen dem 3. und dem 15. Lebens- jahr, Prävalenz circa 1:30.000). Es liegt keine Prädilektion bezüglich des Geschlechts vor [Hart et al., 2007]. Grundsätzlich kann eine monosto- tische Form, die einen Knochen befällt, von einer polyostotischen Form, die mehrere Knochen befällt, unterschieden werden. Während sich die monostotische Form eher in ge- hobenen Altersgruppen findet, wird die polyostotische Form häufiger be- reits bei Kindern unter zehn Jahren diagnostiziert [White und Pharoah, 2009]. Typische Lokalisationen sind in erster Linie die Rippen, das Becken, der Femur und der Gesichtsschädel [Anitha et al., 2015]. Die monosto- tische Form kommt annähernd zwei- mal häufiger im hinteren Oberkiefer als im Unterkiefer vor [Menon et al., 2013]. Auch wenn die fibröse Dysplasie üblicherweise sporadisch ist, sind Assoziationen mit dem McCune- Albright-Syndrom (insbesondere bei der polyostotischen Form in fünf Pro- zent der Fälle) bekannt [Leschka et al., 2013]. Bei diesen Patienten liegen zusätzlich Café-au-lait-Flecken der Haut, eine Pubertas praecox und weitere Endokrinopathien vor. Der Cherubismus beim Kleinkind mit beidseitigem Befall von Ober- und Unterkiefer ist eine weitere Entität aus dieser Erkrankungsgruppe. Die fibröse Dysplasie ist häufig ein Zufallsbefund. Bei asymptomatischen lokalisierten Manifestationen ist für gewöhnlich keine Therapie erforder- lich, da die fibröse Dysplasie nach der Pubertät üblicherweise selbst- limitierend ist und kein weiterer Befundprogress auftritt [Kuznetsov et al., 2008]. Insbesondere bei der kra- niofazialen Lokalisation können sich jedoch Symptome wie Schwellungen, Gesichtsdeformationen, Augenmoti- litätsstörungen, Seh- und Hörminde- rungen, Störungen des Geruchssinns oder Atemwegseinschränkungen er- geben [Lee et al., 2012]. Eine maligne Entartung (Osteosarkom, Fibrosarkom, malignes fibröses Histiozytom) ist in seltenen Fällen (< 1 Prozent) möglich Abb. 4a und 4b: Intraoperativer Situs vor (a) und nach marginaler Schnittführung beziehungsweise Darstellung der fibrösen Dysplasie (b) PROF. DR. MED. DANIEL BAUMHOER Knochentumor-Referenzzentrum und DÖSAK Referenzregister am Institut für Medizinische Genetik und Pathologie, Universitätsspital Basel Schönbeinstr. 40, CH-4031 Basel Foto: privat Fotos: MKG Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen Abb. 4c: Abtragung der fibrösen Dysplasie unter Schonung der Zahnwurzeln und des N. infraorbitalis mit anschließender Hartgewebsmodellierung 80 | ZAHNMEDIZIN

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