Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 15-16

zm 111, Nr. 15-16, 16.8.2021, (1450) noch immer unter Schock – zu Fuß in einen höher gelegenen Ortsteil zu einem Freund läuft. „Der hat mich dann nach Hause zu meiner Frau gebracht, die mich zwischen- zeitlich als vermisst gemeldet hatte. Es war ja alles tot. Es gab kein Fest- netz und kein Mobilfunknetz.” Die spätere Praxisbegehung beendet jäh die Pläne des Zahnarztes, noch bis zum 70. Geburtstag “durchzuhal- ten“. Überall steht zentimeterhoch brauner Schlamm, Lager und Buch- haltung sind komplett zerstört, die Einrichtung Schrott. So bitter es sei, der Sachschaden an der Einrichtung ist für ihn nicht das Hauptproblem, betont Jung, denn hier wird aller Voraussicht nach die Versicherung voll greifen. „Aber die Praxis lässt sich natürlich nicht mehr verkaufen, wenn sie – auf gut deutsch gesagt – einmal abgesoffen ist.” Jetzt aufwendig zu sanieren, um wenig später eine Nachfolge zu suchen, kommt für Jung nicht in- frage. ALLES KOMPLETT ZERSTÖRT, DIE EINRICHTUNG SCHROTT Sein größtes Problem: Er muss klären, was mit seinen Angestellten passiert. Bei komplettem Verdienstausfall könn- ten er und seine Frau es sich nicht leis- ten, die Personalkosten einfach weiter zu zahlen. Es sei jedoch noch völlig of- fen, ob eine außerordentliche Kündi- gung wegen höherer Gewalt arbeits- rechtlich Bestand habe (siehe Kasten). Gleichzeitig sei mit der kompletten Zerstörung weiterer Praxen im Kreis Ahrweiler der lokale Arbeitsmarkt für ZFA völlig am Boden. Immerhin: Das Praxisgebäude Bau- jahr 1982 – das zum Teil seiner Frau gehört – steht noch. Es hielt nicht nur in der Hochwassernacht den Flu- ten stand, sondern ist auch nach Ein- schätzung von Statikern des Techni- schen Hilfswerks nicht einsturzge- fährdet. Fünf Nachbarhäuser mussten abgerissen werden. Und auch der Stress, jetzt Fragen zur Abwicklung der Praxis klären sowie den Rückbau der Einrichtung organisieren zu müs- sen, hat etwas Gutes. Es ist eine Ab- lenkung von den traumatischen Ge- schehnissen. „Der Schock sitzt tief”, sagt Jung. Manchmal habe er nachts Albträume. mg HINTERGRUND Nordrhein In Nordrhein sind bisher 100 Zahnarztpraxen von insgesamt 5.600 betroffen. Die Schäden reichen von Stromausfall bis zur völligen Zerstörung der Räum- lichkeiten, Inneneinrichtung und Geräte. Bei manchen Praxen ist nur der Keller vollgelaufen, es gibt jedoch auch viele Fälle, in denen die Praxis komplett über- schwemmt wurde oder wo das Haus schlichtweg nicht mehr existiert. Bei einem Viertel wird bisher von einem Totalschaden ausgegangen. Im schlimmsten Fall ist auch das Wohnhaus beschädigt. Wichtige Zufahrtsstraßen sind zerstört, der ÖPNV ist unterbrochen, so dass etliche Praxen nicht erreichbar sind. Vielfach können keine Patientendaten abgerechnet werden, weil die Elektrik ausgefallen ist. In einigen Orten ist das Trinkwasser nicht nutzbar, so dass die Inhaber allein deshalb Ausfälle von drei bis vier Tagen zu beklagen haben. Betroffen sind besonders Stolberg, Bad Münstereifel, Erftstadt (Ortsteil Bles- sum), Teile von Oberhausen, Mülheim und Mettmann. Viele Zahnärzte und Zahnärztinnen sind gegen diese Naturkatastrophe nicht versichert oder aber die Versicherung zahlt nicht. Rheinland-Pfalz In Rheinland-Pfalz sind nur Praxen der Bezirkszahnärztekammern Koblenz (44 von 60) und Trier (16 von 44) betroffen. Jeweils vier Praxen wurden komplett zerstört, teilweise stehen noch Gutachten zur Gebäudesicherheit aus. In min- destens einem Fall muss das Gebäude abgerissen werden. Oft sind die Keller vollgelaufen und Kompressoren, Amalgamabscheider und Patientenkarteien beschädigt. Viele Praxen waren zudem behandlungsunfähig, weil sie auf den Wiederanschluss von Strom und Wasser – oder eine Räumung der Zufahrts- wege – warten mussten. Viele Zahnärzte praktizieren wieder mit einzelnen Zim- mern, andere müssen noch auf die Gutachten der Versicherungen warten. ck/mg Für den 67-Jährigen Werner Jung kommt es nicht infrage, die zerstörte Praxis zu sanieren und noch einmal wiederzueröffnen. Mit dem Hochwasser fand sein Traum, bis zum 70. Geburtstag zu praktizieren, ein jähes Ende. Seine Elementarschadenversicherung ersetzt ihm aller Voraussicht nach den Sachschaden. Doch vor allem sorgt sich Jung darum, was mit seinen Angestellten passiert. 48 | PRAXIS

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