Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 111, Nr. 22, 16.11.2021, (2154) LERNEN VOM FORMENREICHTUM DER NATUR Transparente Zähne Holm Reuver, Jan Reuver Legt man einen vorbehandelten Zahn in Methylsalicylatflüssigkeit, geschieht etwas Erstaunliches: Die opaken Oberflächen und das Dentin werden wie von Zauberhand langsam transparent und geben einen faszinierenden Blick in das Innere des Zahnes frei. Zum Vorschein kommt das zwar zahntypische, aber immer individuell geformte Wurzelkanalsystem, gegebenenfalls mitsamt seiner Wurzelfüllung. Diese Transparenz bietet einzigartige Informationen. D as Durchsichtigmachen von tierischem Gewebe im Allge- meinen geht zurück auf die Anatomen R. Krause und Werner Spalteholtz mit Veröffentlichungen im Jahr 1909 und in den Folgejahren. Schon Spalteholz verwendete als Me- dium zum Transparentmachen das Öl der Wintergrünpflanze, weil dessen Lichtbrechungsindex (1,538) mit dem von tierischem Gewebe (1,538 bis 1,577) gut übereinstimmt. Heute wird Methylsalicylat, der Hauptbestandteil des Wintergrünöls, synthetisch durch Veresterung von Salicylsäure mit Me- thanol hergestellt. Paul Adloff, Zahnarzt und Anthropo- loge, war der Erste, der einzelne Zähne mit unterschiedlichen Füll- materialien der Pulpahohlräume als transparente Präparate untersuchte (1913). Später wurde mit der Methode des Transparentmachens die Wurzel- kanaltopografie der einzelnen Zahn- gruppen erkundet, danach auch die Blutgefäßversorgung der Pulpa. Au- ßerdem gab es Bestrebungen, Wurzel- kanalbehandlungen an transparenten Zahnpräparaten zu Ausbildungszwe- cken durchzuführen und im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen kam die Methode bei Leakagestudien zum Einsatz. Die eigentliche Stärke des Trans- parentmachens von Zähnen ist die dreidimensionale Erfassung der kom- plexen Hohlraumsysteme, verbunden mit einer hohen Auflösung. Diese Vorteile ließen sich früher jedoch nur eingeschränkt nutzen, weil die Präparate für die Auswertung in der Flüssigkeit liegen müssen, mit der die Durchsichtigkeit erreicht wird. Dazu legte man die Präparate in eine Petri- schale mit Methylsalicylat und foto- grafierte von oben. Die Positionierung der Präparate ist hierbei aber nur ein- geschränkt möglich. Eine deutliche Verbesserung der foto- grafischen Auswertung ist seit einigen Jahren durch die Entwicklung einer neuen Aufnahmetechnik möglich. Dabei wird das Präparat an eine Drehachse montiert, die durch den Deckel eines gläsernen Gefäßes ge- führt wird. Das Achsenende mit dem daran befestigten Zahn befindet sich in dem mit Methylsalicylat gefüllten Gefäß. Die Achse lässt sich am ande- ren Ende von außen anfassen und drehen, wodurch das Untersuchungs- objekt präzise in die gewünschte Stel- lung rotiert und von allen Seiten fotografiert werden kann. Die Foto- grafie findet dabei nicht mehr von oben statt, sondern horizontal, so dass die Kamera in Standard-Position auf einem Stativ montiert ist. Die Präpa- rate können nach Wunsch von schräg vorne beleuchtet oder von hinten durchleuchtet werden und es lässt sich ein beliebiger Hintergrund wäh- len. Die Entwicklung von Kameras, Alle Fotos: Holm Reuver Abb. 1: Das transparente Präparat ist an einer Kanüle befestigt, die durch den abnehmbaren Deckel einer Glasküvette geführt ist. Dadurch lässt sich das Präparat von außen drehen und von jeder beliebigen Seite fotografieren. Die Beleuchtung erfolgt hier von beiden Seiten bei dunklem Hintergrund. 28 | ZAHNMEDIZIN

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