Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 111, Nr. 22, 16.11.2021, (2219) Im Consultorio gibt es einen Behand- lungsplatz mit einer alten Einheit aus Brasilien, einem kleinen Steri, einem 70-kV-Röntgengerät, einem Autocla- ven, zwei Ultraschall-ZEGs, Reziprok und Apexfinder und einer komplet- ten instrumentellen und materiellen Ausstattung. Ein Luftreiniger mit HEPA-Filter sorgt in Corona-Zeiten für virenfreie Luft. Ein zweiter Be- handlungsplatz war ursprünglich als reiner Prophylaxe-Platz eingerichtet worden. Wegen des Mangels an DHs und ZMFs rüsteten wir ihn zum Kons-Arbeitsplatz hoch. Eine stets präsente einheimische Stuhlassistenz hätten wir gerne. Das Berufsbild der ZFA oder Ähnliches gibt es jedoch in dieser Form in Bolivien nicht. DA HABEN WIR NICHT MIT UNS VERHANDELN LASSEN Montags fingen wir für gewöhnlich erst um 14 Uhr mit der Nachmittags- sprechstunde an, weil man in den umliegenden Dörfern am Wochen- ende meist so ausufernd feiert, dass am Montagmorgen zunächst kaum Patienten in die Praxis kommen. Schnell waren wir ein gut eingespiel- tes Team. Jeder machte das, was er am besten konnte, und so ergänzten wir uns wunderbar. Nur zusammen mit KFO-Technikerin Sabrina konn- ten wir viele Patienten mit Interims- prothesen glücklich machen – diese sind in Bolivien die prothetische Standardversorgung. Am wichtigsten waren den Patienten in der Regel die Frontzahnfüllungen. Aber da haben wir nicht mit uns verhandeln lassen: erst die Beseitigung der Infektions- herde, dann die Ästhetik. Die meiste Zeit waren wir allerdings damit be- schäftigt, die Patienten von notwen- digen Behandlungen wie Extraktio- nen zu überzeugen. So konnten wir zehn bis 15 Personen pro Tag behandeln und hatten etwa 45 bis 60 Minuten pro Patient zur Verfügung. Es dauerte nicht lange, bis sich herumsprach, dass die deutschen Zahnärzte ihre Praxis wiedereröffnet haben. Schon kurz nach Sonnen- aufgang um 7 Uhr warteten Patien- ten von nah und fern geduldig vor dem Hoftor. Niemand kam auf die Idee, sich vorzudrängeln oder zu beanstanden, dass er vielleicht am nächsten Tag wiederkommen muss, um an der Reihe zu sein – den Schmerzpatienten wurde auch schon mal der Vortritt gewährt. Wir arbeite- ten oft bis zum Einbruch der Dunkel- heit gegen 19 Uhr. EINE FÜLLUNG KOSTET HIER 1,25 EURO Unser Therapiespektrum umfasste konservierende und chirurgische ZHK, Endodontie mit Reziprok-Gold, die Prophylaxe und eine einfache Prothe- tik. Parodontologie, Kieferorthopädie und Implantologie kamen wegen der häufig wechselnden Behandler nicht infrage. Natürlich gibt es in Bolivien Zahnärzte, aber die Bolivianer haben mehr Vertrauen in die Qualität der deutschen Kollegen. Eine zahnmedi- zinische Versorgung zu Normalprei- sen können sich die meisten zudem gar nicht leisten. Im Consultorio kos- tet beispielsweise eine Füllung oder eine Extraktion 1,25 Euro. Alles in allem waren die Arbeit und das einfache Leben mit der Gastfami- lie, die uns herzlich umsorgte, eine absolute Bereicherung. Die Arbeit war dabei nicht weniger anstrengend als daheim, aber zumindest die Bürokra- tie war auf das Mindestmaß reduziert. Die Patienten, die mit ihrer unglaub- lichen Geduld und ihren in bunte Tücher gewickelten Kindern auf dem Rücken zu uns kamen, sich klaglos behandeln ließen und sich über- schwänglich bedankend verabschie- deten, gaben uns so viel zurück. Solche Projekte leben vom sozialen Engagement – gerade auch in diesen schwierigen Zeiten. Es ist eine schöne Erfahrung, seine Komfortzone zu ver- lassen und zu lernen, wie einfaches Leben und Dankbarkeit glücklich machen. Nach unserem Einsatz stand aufgrund mangelnder Einsatzkräfte das Consultorio wieder für sechs Wochen leer. Zur großen Freude der bolivianischen Patienten haben sich jetzt durchgehend bis Mitte Februar 2022 Zahnärzte für den Einsatz ge- funden, für danach sucht der FCSM dringend weitere Freiwillige. Aufgrund vieler notwendiger Zahnextraktionen benötigen viele Patienten Zahnersatz. Daher würden wir gerne ganzjährig Zahntechniker im Team haben. Bis- her gibt es zahntechnische Beglei- tung nur zur Hälfte unserer Präsenz. Wir suchen außerdem weiter Zahn- ärzte, Zahnmedizinstudierende und Dentalhygieniker. \ SPENDEN ODER MITHELFEN! Manpower ist wertvoller als Moneypower, aber natürlich sind wir für jede Material- oder Geldspende dankbar! Kreissparkasse Ludwigsburg Konto-Nr.: 30007451 BLZ: 60450050 IBAN: DE61 6045 0050 0030 0074 51 Für Überweisungen aus dem Ausland: BIC-Code: SOLADES1LBG http://www.fcsm.org/ Kontakt: info@fcsm.org Geduldig warten die Patienten draußen im Freiluft- Wartezimmer. Wir haben die Bolivianer als sehr konsequente Maskenträger erlebt, selbst auf Feld und Straße. Überall werden peinlichst Hygiene- regeln eingehalten und viele tragen ein kleines Sprühfläschchen Alkohol um den Hals. Ein typisch bolivianisches Lächeln, ausgezeichnet von dieser besonderen Kronenart, die unter den Indigenen weit verbreitet ist. Eine so gute Zahnpflege, wie hier zu sehen, ist jedoch eher die Ausnahme. Die letzte PZR der Patientin fand vor der Pandemie statt! Viele der Behausungen im Dorf sind einfache Hütten. Unsere Unterkunft mit Küche und eigenem Bad war dagegen ein echter Luxus. GESELLSCHAFT | 93

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