Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02

zm 112, Nr. 01-02, 16.1.2022, (62) ZM-REIHE „KARRIEREN IM AUSLAND“ Willy Grossmann – vom Flüchtling zum Wegbereiter der Funktionskiefer- orthopädie in England Dominik Groß William Grossmann gehörte zu den wenigen Emigranten des deutschen Sprachraums, denen in England eine wissenschaftliche Karriere gelang. Besonders bekannt wurde er durch seine Arbeiten an der Schnittfläche von Kieferorthopädie und MKG-Chirurgie. Welche Faktoren begründeten seinen ungewöhnlichen Erfolg? W ilhelm Großmann – später William („Willy“) Gross- mann – kam am 21. August 1911 in der „Israelitischen Kultus- gemeinde in Wien“ als Sohn jüdi- scher Eltern zur Welt [Privatarchiv Grossmann; Zamet, 2007; Gross- mann, 2021a und b; Groß, 2022]. Er studierte ab 1930 Medizin in Prag und war von 1932 bis 1935 studien- begleitend als Demonstrator an der dortigen Universitätszahnklinik tätig. Hier traf er auf Karl Häupl (1893–1960) [Groß, 2020], der nach 1950 in Deutschland als Leiter der „Westdeutschen Kieferklinik“ große Bekanntheit erreichen sollte. Häupl war 1934 als ordentlicher Professor an die Deutsche Universität in Prag berufen worden, wo er der dortigen Klinik für Zahn- und Kieferkrankhei- ten vorstand. Großmann beendete im Juni 1936 das Medizinstudium mit der Promo- tion, war dann für drei Monate im Krankenhaus in Znaim, Südmähren, tätig und kehrte anschließend als Assistent an die Universitätszahn- klinik in Prag zurück. Hier durchlief er eine Weiterbildung zum „Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheil- kunde“, die er im Juli 1938 abschlie- ßen konnte. Noch im selben Monat avancierte Großmann an Häupls Kli- nik zum „Ersten Assistenten“, wobei er sich vor allem in den Bereichen Kieferorthopädie und Oralchirurgie betätigte. Spätestens in dieser Zeit fanden Häupl und Großmann zu einer engen fachlichen Zusammen- arbeit, die noch viele Jahre später Bestand haben sollte. AUS GROßMANN WIRD GROSSMANN Doch nach dem Einmarsch der deut- schen Wehrmacht ins „Sudetenland“ im Oktober 1938 sah sich Großmann als „rassisch“ verfolgter Jude zur Emigration gezwungen. Er teilte das Schicksal der Vertreibung und Ver- folgung mit einer vierstelligen Zahl europäischer Zahnärzte jüdischer Herkunft [Groß, 2018; Groß et al., 2018; Groß, 2019; Groß/Krischel, 2020]. Zum Jahreswechsel 1938/39 konnte er mit finanzieller Unterstüt- zung eines tschechischen Flüchtlings- fonds nach Großbritannien fliehen [Zamet, 2007]. Dort nannte er sich fortan William Grossmann. Zunächst konnte er nur unbezahlte Tätigkeiten ausüben: So arbeitete er im Januar 1939 als Volontär am „Orthodontic Department“ des „Eastman Dental Hospital“ in London; bald darauf kam ein Volontariat am „Dental Department“ des „West London Hospital“ in London-Hammersmith hinzu. Erst 1941 wurde Grossmanns fachliche Qualifikation vom „General Medical Council“ (GMC) anerkannt. Im selben Jahr bemühte er sich um die Aufnahme in das „Royal Army Medical Corps“. Da es zu diesem Zeit- punkt in der British Army einen aus- geprägten Mangel an Fachchirurgen gab, hatte seine Bewerbung Erfolg. Er konnte zwar keine kieferchirurgische Weiterbildung nachweisen, besaß jedoch Vorkenntnisse in der Oral- chirurgie und war zudem willens, sein operatives Wissen auszubauen. In der Army war Grossmann zu- nächst als „resident medical officer“ an der „School of Artillery“ in Lark- hill tätig, um sich hier in die plas- tische und MKG-chirurgische Tätig- Wilhelm Großmann alias William Grossmann Foto: Privatarchiv Grossmann 64 | GESELLSCHAFT

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