Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 7

zm112, Nr. 7, 1.4.2022, (656) DIE PROFESSIONALISIERUNG DER ZAHNMEDIZIN IN DEUTSCHLAND Vom Zahnbrecher zum Spezialisten für Mundgesundheit Matthis Krischel, Julia Nebe Die Zahnmedizin, wie wir sie heute kennen, ist das Ergebnis eines schwierigen Professionalisierungsprozesses. Der Beruf hatte anfangs ein geringes Sozialprestige und wies nur ansatzweise Anzeichen einer Profession auf. Die Verwissenschaftlichung erfolgte schrittweise – von zahnärztlichen Instituten über den Dualismus zwischen Zahnärzten und Dentisten bis hin zu einer echten Akademisierung mit Promotions- und Habilitationsrecht. Ein Blick auf das Fach von den Anfängen bis heute. Bis ins 19. Jahrhundert übten vor allem Bader und Barbiere, Wundärzte und Handwerkschirurgen das Handwerk des Zahnreißers oder Zahnbrechers aus. Ein zentrales Problem war, dass unter den rein handwerklich ausgebildeten Zahnbehandlern auch zahlreiche Quacksalber und Dilettanten ihr Unwesen trieben, denn eine geregelte Ausbildung gab es zunächst nicht. Die vor allem internistisch ausgerichteten Ärzte beschäftigten sich nur am Rande mit Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten und betrachteten insbesondere das Zähneziehen als „schlichtweg jenseits ihrer Zuständigkeit“ [Groß, 2019a, 4]. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren es hauptsächlich „alle Wundärzte der ersten und zweiten Abteilung – und teilweise auch der dritten“ [Groß, 2006a, 18], die sich dem Geschäft des Extrahierens und dem Ausbrennen von Zähnen widmeten. Selbst das handwerkliche Geschick eines Hühneraugenoperateurs war ausreichend, um mit in die Riege all derer aufgenommen zu werden, die zur Zahnbehandlung zugelassen waren. Wie sonst wäre der gemeinsame Eintrag des erwähnten Operateurs in die Rubrik der Zahnärzte im Berliner Adresskalender von 1818 zu erklären? ZÄHNE EXTRAHIEREN IST WIE HÜHNERAUGEN OPERIEREN Mit dem niedrigen Sozialprestige ging auch eine geringe pekuniäre Entlohnung einher: So wurde das Ziehen eines Zahnes im mittleren Drittel des 19. Jahrhunderts etwa so entlohnt wie ein kurzer Krankenbesuch durch einen Arzt oder das Setzen von Blutegeln. Mit steigender Qualifikation konnte aber auch mehr Geld verlangt werden. Das Ausbrennen und Plombieren eines Zahnes wurde schon etwa dreimal so gut bezahlt und eine Hasenschartenoperation noch einmal um ein Vielfaches besser [Groß, 2019a, 7; Groß, 1999, 362]. Das „Preußische Medizinalreglement“ von 1825 und dessen Ergänzungen von 1835/36 stellen einen wichtigen Schritt hin zur Regulierung und damit auch Professionalisierung der Zahnheilkunde im deutschen Raum dar. Zu seinen wichtigsten Aspekten gehörte, dass nur noch die Person zur zahnärztlichen Prüfung zugelassen werden durfte, die „entweder schon Arzt oder Wundarzt ist, und zugleich den nöthigen Nachweis über die erlangten, einem Zahnarzt insbesondere nöthigen technischen und mechanischen Fertigkeiten beizubringen vermag, oder der, wenn er nicht Arzt oder Wundarzt ist, außer diesem Nachweis nicht wenigstens noch Zeugnisse über den fleißigen Besuch der Vorlesungen über Anatomie, allgemeine und spezielle Chirurgie, Operationslehre, Arzneimittellehre und chirurgische Klinik beibringen kann“ [Groß, 2015b, 88]. Zudem wurde die Tertiareife als einheitliche schulische Vorbildung obligatorisch [Groß, 2019b, 16; Reckow, 1927, 8–11]. Der Zahnarzt wurde nun erstmals in einem Atemzug mit den akademisch und gesellschaftlich ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. Außerdem haben die Autoren eine zweite Version dieses Textes mit umfangreicheren Literaturangaben erstellt. Quelle: Ausstellung „In aller Munde“ in Wolfsburg, Geschichte des Zahnarztberufs, zm 20/2020 66 | GESELLSCHAFT

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