Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 8

zm112, Nr. 8, 16.4.2022, (759) ein zweizeitiges Verfahren gewählt: Der erste Schritt umfasste eine ossäre Genioplastik mit Rotation und Translation des Kinns nach rechts mit Einstellung zur Gesichtsmitte. Im gleichen Eingriff erfolgte dann die basale Augmentation der Mandibula links mit einem patientenspezifischen Implantat (PSI) aus Poly-Ether-EtherKeton (PEEK) zur Korrektur des knöchernen Defizits. Aufgrund der Komplexität der Verlagerung und zur Planung des PSI wurde die CAD/CAMTechnik verwendet. Zur Verlagerung und zur Fixierung des Kinns in der neuen Position wurden eine Schnittund Bohrschablone zur intraoperativen Kennzeichnung der Osteotomielinien und eine individuelle Osteosyntheseplatte geplant. Die Größe und die Ausdehnung des PSI zur Augmentation wurde festgelegt durch die Differenz der Projektion der rechten auf die linke Mandibula-Hälfte, mit zusätzlicher anteriorer Fassung des neupositionierten Kinns. Schnittschablone, Osteosyntheseplatte und PSI wurden im 3-D-Druckverfahren produziert und nach Sterilisation intraoperativ eingebracht (Abbildung 2). Im zweiten Schritt erfolgte sechs Monate nach der ersten Operation zur weiteren Augmentation und Konturierung des Weichgewebes, insbesondere in der Wangenregion, ein autologer Fettgewebetransfer (Lipofilling). Hierzu wurden vorab 60 ml reines Fettgewebe aus der Bauch- und der lateralen Oberschenkelregion entnommen (Liposuction) (Abbildung 3). Mit den verschiedenen Verfahrenstechniken konnte eine nahezu vollständige Gesichtssymmetrie erreicht werden. Die Patientin ist sehr zufrieden mit dem Ergebnis, das seit über einem Jahr stabil ist. (Abbildung 4). DISKUSSION Die hemifaziale Mikrosomie ist – nach den Lippen-Kiefer-Gaumenspalten – die zweithäufigste angeborene Fehlbildung des Gesichts und tritt mit einer Häufigkeit von einem Fall pro 5.600 bis 20.000 Geburten auf [Gorlin und Hennekam, 2001]. Ursächlich für das phänotypisch durchaus sehr heterogene Krankheitsbild wird eine Duplikation eines Chromosoms diskutiert, das auch als Onkogen bei dem bösartigen, embryonalen Tumor des Kleinhirns (Medulloblastom) nachweisbar ist [Zielinski et al., 2014]. Als Synonyme werden häufig okulo-aurikulo-vertebrale Dysplasie und das Goldenhar-Syndrom verwendet, wobei diese Termini bevorzugt werden, wenn zusätzliche Fehlbildungen im Bereich der Ohren und der Augen bestehen. In diesen Fällen kommen interdisziplinäre Behandlungskonzepte zum Tragen. Von der hemifazialen Mikrosomie abzugrenzen ist die progressive faziale Hemiatrophie, die auch als ParryRomberg-Syndrom bekannt ist. Dieses Krankheitsbild entwickelt sich erst später, im Laufe der ersten und der zweiten Lebensdekade, besonders bei Abb. 2: Virtuelle Planung (oben) und intraoperative Umsetzung (unten). Bohr- und Schnittschablone (links), individuelle Osteosyntheseplatte zur Fixierung des Kinns in der neuen Position (Mitte), PSI zur Augmentation der Mandibula (rechts) PROF. DR. DR. JAN RUSTEMEYER Klinikdirektor Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und Plastische Operationen St.-Jürgen-Str. 1, 28205 Bremen jan.rustemeyer@klinikum-bremen-mitte.de Foto: privat Foto: KLS Martin GmbH (Tuttlingen), Jan Rustemeyer ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange-fordert werden.

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