Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 8

zm112, Nr. 8, 16.4.2022, (772) \ In extrem starken Verdünnungen können Substanzen nicht pharmakologisch wirken [Singh und Ernst, 2008]. \ Die Homöopathie reicht nicht über einen unspezifischen PlaceboEffekt hinaus [Singh und Ernst, 2008]. \ Es fehlt nicht nur seit Langem ein wissenschaftlicher Nachweis für einen Nutzen der Homöopathie [Ernst, 2002]. Hinzu kommt, dass auch neuere HomöopathieStudien häufig die Einhaltung wissenschaftlicher Basis-Standards vermissen lassen, selbst vor Manipulationen wird nicht zurückgeschreckt [Gartlehner et al., 2022; Bartens, 2022]. \ Wenn bei schweren Erkrankungen eine Therapie gemäß dem aktuellen Wissensstand zugunsten der Homöopathie vermieden wird, kann dies für die Betroffenen gefährlich werden [zm, 2022a]. \ Die Zuordnungen von einzelnen Patienten zu bestimmten homöopathischen Patientenporträts beruhen auf ideologischen Vorstellungen, die wissenschaftlich nicht fundiert sind [Staehle, 2013a]. Derartige Kritiken lassen Vertreter der Homöopathie bis heute nicht gerne gelten. So behauptete etwa der Homöopath Jürgen de Laporte, das Besondere der Homöopathie, das sie von anderen Medizinrichtungen unterscheide, sei die „sehr genaue Wahrnehmung des Menschen“ [Bosch, 2022]. Was ist nun unter einer „genauen Wahrnehmung des Menschen“ und der daraus resultierenden individuellen Behandlung „des Einzelmenschen in seiner Einzigartigkeit“ [Volkmer, 2013] zu verstehen? In der bis heute als Goldstandard geltenden klassischen Homöopathie unterscheidet man zwischen einem homöopathischen Arzneiprofil, das das „Wesen“ der Arznei beschreibt (Arzneiporträt) und einem homöopathischen Persönlichkeitsprofil, das das Bild charakteristischer Symptome unter Einbeziehung einer besonderen Konstitutionsund Physiognomiebetrachtung (Persönlichkeitsporträt des Patienten) darstellt. Um das Arzneiporträt mit dem Persönlichkeitsporträt in Einklang zu bringen, muss der Homöopath vielerlei Zuordnungen von körperlichen Merkmalen und Charaktereigenschaften seiner Patienten vornehmen. Selbst in modernen Lehrbüchern werden nach wie vor homöopathische Persönlichkeitsporträts definiert, die keine differenzierte Berücksichtigung des aktuellen Wissensstands erkennen lassen. So findet sich in einem Werk aus dem Jahr 2008 mit dem Titel „Kursbuch Homöopathie“ eine ungewöhnliche Zuordnung von Menschen in drei sogenannte „Diathese-Gruppen“. Zur ersten Gruppe gehören Menschen mit „lymphatischer Diathese“. Sie werden unter anderem als „schwächlich, nachgiebig, unbeholfen und arbeitsscheu“ bezeichnet und sind angeblich die geborenen „Diener“. Zur zweiten Gruppe gehören Menschen mit „lithämischer Diathese“. Sie sind unter anderem „stark, getrieben, unzufrieden und fleißig“, was sie zu „Anführern“ prädestinieren soll. Zur dritten Gruppe zählen schließlich Menschen mit „destruktiver Diathese“. Ihnen weist man unter anderem „Entartung“ sowie „prahlerische, asoziale und unberechenbare“ Eigenschaften zu, es handele sich um „Verführer“ [Teut, 2008]. Empirische Studien, die solche Einteilungen stützen könnten, werden allerdings nicht präsentiert. In einem 2018 publizierten Werk über Homöopathie in der Kinderund Jugendmedizin werden solche Zuordnungen sogar auf Säuglinge und Kleinkinder übertragen, wobei unter anderem die Kopfgröße und Gesichtsform eine besondere Rolle spielen. Anhand von drei homöopathischen Arzneimitteln (Calcium carbonicum entsprechend einer „lymphatischen Diathese“, Calcium phosphoricum entsprechend einer „lithämischen Diathese“ und Calcium fluoricum entsprechend einer „destruktiven Diathese“) werden Kindern bestimmte Wesensmerkmale auf den Weg gegeben. Besonders auffällige Eigenschaften hat das Calciumfluoricum-Kind mit einem großen Kopf, der „oft fast quadratisch“ ist. Es hat einen destruktiven Charakter. In dem Lehrbuch wird behauptet, man könne bei einem solchen Kind bereits eine Prognose für sein späteres Leben geben: „Im Geist und Gemütsbereich sehen wir das Übertriebene und Abb. 1: „Sanierungsergebnis“ nach „ganzheitlicher“ Behandlungsmethode: a: Ein 37-jähriger Patient hatte über unklare Beschwerden in der linken Gesichtshälfte geklagt. Die Rö-Übersichtsaufnahme zeigt einen elongierten Zahn 18, ansonsten fielen keine relevanten pathologischen Befunde auf, die die Schmerzen hätten erklären können. b: Die intakten Restaurationen wurden auf der Grundlage kinesiologischer Testungen von einem alternativmedizinisch orientierten Zahnarzt ausgetauscht, im Anschluss daran wurden die vitalen Zähne 25 und 26 wegen befürchteter „Störfelder“ extrahiert. In regio ehemals 25, 26 und 28 wurde eine großflächige Knochenausfräsung vorgenommen. Eine Besserung der Beschwerden nach diesen Interventionen zeichnete sich nicht ab, weshalb dem Patienten nunmehr weitere Extraktionen und Knochenausfräsungen angeraten wurden. Da er davor zurückschreckte, suchte er schließlich das Heidelberger Universitätsklinikum auf. Zusätzlich zur nicht therapierten Grunderkrankung (siehe unten) lagen nun auch erhebliche iatrogen erzeugte zahnmedizinische Schäden vor. a b

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