Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11

zm112, Nr. 11, 1.6.2022, (1079) naus war dort die eingesetzte Phagendosis aufgrund der Inaktivierung der Phagen geringer als geplant [Jault, 2019]. In einer kürzlich veröffentlichten Studie von Leitner und Kollegen konnte bei der Therapie von Harnwegsinfektionen weder die Unterlegenheit der Phagenbehandlung zum SOC (standard of care) noch die Überlegenheit zum Placebo gezeigt werden. In diesem Fall führte vermutlich bereits die vorgeschaltete intravesikale Spülung der Blase zur entscheidenden Erregereradikation [Leitner, 2021]. In Deutschland ist die Phagentherapie derzeit nur im Rahmen von individuellen Heilversuchen (copassionate use) bei austherapierten Patienten möglich, die an lebensbedrohlichen Infektionen leiden. Da aber erkannt wurde, dass die Entwicklung von alternativen und ergänzenden Therapiemöglichkeiten bei der Behandlung von Infektionen dringend benötigt wird, ist in diesem Zusammenhang 2017 die erste wissenschaftliche Studie zur Behandlung von P.-aeruginosa-Infektionen der Lunge (CF, Bronchiektasen) gestartet, gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Unter Beteiligung vom Leibniz-Institut DSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH, von Fraunhofer ITEM, der Charité-Universitätsmedizin Berlin sowie der Charité Research Organisation GmbH (CRO) hat das Projekt Phage4Cure die Entwicklung, GMP-Herstellung (GMP – „Good Manufacturing Practice“ sichert hohe Qualität von Arzneimitteln) und klinische Prüfung eines inhalativen Prüfarzneimittel-Phagencocktails zum Ziel. Das Konsortium steht dabei in engem Austausch mit der zuständigen Bundesbehörde Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), um Qualitätsstandards abzustimmen, die analytisch und bioverfahrenstechnisch möglich und biomedizinisch rational sind. Das Fraunhofer ITEM entwickelte dabei eine Produktionsplattform, die die Herstellung von den durch die DSMZ ausgewählten Phagen mit nur minimalen Prozessanpassungen ermöglichte und einen unter ökonomischen Gesichtspunkten maximalen Aufreinigungsgrad erzielte. Sicherheitspharmakologische und toxikologische präklinische Untersuchungen konnten kürzlich vom Fraunhofer ITEM (Hannover) und der Charité ohne die Beobachtung von Nebenwirkungen abgeschlossen werden. Derzeit werden die Unterlagen für die Zulassung der Phagenprüfarzneimittel zur klinischen Prüfung vorbereitet, die unter der Voraussetzung eines positiven Votums Ende 2022 an der Charité Research Organisation an Probanden beginnen soll [Dannheim, 2021]. Als Alternative zur klassischen Zulassung von Phagen-Arzneimitteln wurde über die magistrale Zubereitung von Phagen in Belgien eine regulatorische Grundlage für die geregelte Phagenanwendung etabliert [Pirnay, 2018]. Der Ansatz basiert auf dem „compounding pharmacy“-Konzept in den USA. Seit 2018 können basierend darauf Patienten mit individuell auf ihre Bedürfnisse in spezialisierten Einrichtungen hergestellten Phagen behandelt werden, ohne dass die eingesetzten Phagen unter strengen GMP-Bedingungen hergestellt wurden. Voraussetzung dabei ist die Erstellung eines Zertifikats der Phagenbestandteile durch das wissenschaftliche Gesundheitsinstitut. Unter Berücksichtigung bestimmter Richtlinien können in Apotheken dann auf den Patienten zugeschnittene Phagen-Präparate auf ärztliche Verordnung hergestellt werden. Inspiriert davon wurde 2019 das Projekt PhagoFlow zusammen vom Bundeswehrkrankenhaus Berlin, von Fraunhofer ITEM und der DSMZ, ermöglicht durch die Förderung des Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), gestartet. Ziel in diesem Projekt ist es, die infrastrukturellen Voraussetzungen für die magistrale Zubereitung von Phagen in Deutschland unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben zu überprüfen. Dabei sollen für klinisch relevante Bakterien wie P. aeruginosa, S. aureus und E. coli Phagen zur Therapie von Wundinfektionen an den Extremitäten zum Einsatz gebracht werden. Zunächst wurden geeignete PhagenWirtszell-Kombinationen von der DSMZ ausgewählt. Am Fraunhofer ITEM wird derzeit ein verfahrenstechnisch vereinfachtes Herstellungsverfahren entwickelt, das GMP-Anforderungen erfüllen muss, die für magistrale Zubereitungen notwendig sind. Die Vermehrung der Phagen erfolgt in Einwegkultivierungsbeuteln (USP = upstream prozessing), gefolgt von einer Aufarbeitungssequenz (DSP = downstream prozessing) zur Abtrennung von prozessbedingten Verunreinigungen (zum Beispiel Proteine, DNA und Membranbestandteile (Endotoxine) der Wirtsbakterien) (Abbildung 3). Vor der Abgabe der PhagenWirkkomponenten an den klinischen Partner erfolgt die Freigabeanalytik, die die Identitätsprüfung, die Quantifizierung und die Ermittlung des Bioburden (Gesamtkeimzahl) und des pH-Wertes umfasst, sowie die prozessbedingten Verunreinigungen adressiert. Noch in diesem Jahr sollen in der Klinikapotheke des Bundeswehrkrankenhauses Berlin erste magistrale Phagencocktails als Defekturarzneimittel für patientenspezifische Therapien formuliert werden. In Analogie zum Antibiogramm in der Antibiotikatherapie wird dazu in einem Phagogramm ermittelt, für welche Phagen das jeweilige Bakterienisolat eines Patienten empfindlich ist. Die Projektpartner rechnen mit neuen Erkenntnissen und Impulsen aus Phagoflow für qualitative Anforderungen an Phagenpräparate über den unmittelbaren Projektrahmen hinaus. Langfristiges Ziel ist es, die Integration der personalisierten Phagentherapie in den Klinikalltag zu ermöglichen [Dannheim, 2021]. Neben der nach westlichen Ansprüchen wissenschaftlich bestätigten Wirksamkeit der Phagentherapie fehlt CME AUF ZM-ONLINE Ansteckende Heilung: Phagentherapie als Ausweg aus der Antibiotikakrise? Für eine erfolgreich gelöste Fortbildung erhalten Sie zwei CME-Punkte der BZÄK/DGZMK. ZAHNMEDIZIN | 53

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