Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 13

zm112, Nr. 13, 1.7.2022, (1279) Beide Typen weisen ein relevantes Risiko für die Entwicklung von Parodontalerkrankungen auf und sind deshalb für die zahnmedizinische Betreuung von besonderer Bedeutsamkeit [Lalla und Papapanou, 2011]. Dabei existieren hinsichtlich Mundgesundheitsaspekten und Diabetes mellitus diverse immunologische und klinische Ähnlichkeiten sowie ein gemeinsamer Risikokomplex [Lalla und Papapanou, 2011; Preshaw et al., 2012]. Darüber hinaus sind die oralen Auswirkungen des Diabetes keineswegs auf die Parodontalerkrankungen limitiert; vielmehr bestehen mögliche Assoziationen mit verschiedenen Erkrankungen der Mundhöhle – einschließlich Karies, Mundschleimhautveränderungen oder endodontischen Krankheitsbildern [MauriObradors et al., 2017]. Eine besondere Relevanz für die zahnärztliche Praxis gewinnt das Thema durch einige nationale und globale Entwicklungen. Zum einen existiert ein demografischer Wandel, bei dem die Zahl der alternden, alten sowie damit einhergehend multimorbiden (und multi-medizierten) Individuen in der Bevölkerung und somit auch in der Zahnarztpraxis ansteigt. Darüber hinaus bleiben zahlreiche Diabetesfälle lange unerkannt, was eine hohe Dunkelziffer an unentdecktem und damit nicht therapiertem Diabetes im Patientengut bedeutet [Kolb und Martin, 2017; Cho et al., 2018]. Hinzu kommt die hohe Prävalenz oraler Erkrankungen; so sind dentale und parodontale Erkrankungen ein enormes weltweites Gesundheitsproblem [Peres et al., 2019]. Selbst in Deutschland zeigen die Daten der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie, dass immer noch drei Viertel der jüngeren Senioren parodontal behandlungsbedürftig sind [Jordan und Micheelis, 2016]. In diesem Gesamtkontext sieht sich das zahnärztliche Team mit einer Vielzahl an Herausforderungen konfrontiert, die bei der Betreuung von (un-)bekannten Diabetespatienten in der Praxis berücksichtigt werden müssen. Dieser Beitrag – bestehend aus zwei Teilen – soll dabei helfen, eine sichere und strukturierte Betreuung von Diabetikern in der Praxis zu ermöglichen. Hierfür werden im ersten Teil Grundlagen der Interaktion zwischen oralen Erkrankungen (besonders Parodontitis) und Diabetes dargestellt. Darauf aufbauend werden im zweiten Teil klinische Herausforderungen und Konzepte dargestellt, sowie die Möglichkeit der Diabetesfrüherkennung in der Zahnarztpraxis illustriert. Insgesamt soll so ein möglichst vollständiges Bild dieser Patientengruppe gezeichnet werden, um zukünftig den Anforderungen dieser Patienten in der zahnärztlichen Betreuung möglichst vollumfänglich gerecht zu werden. VON DER VERMUTUNG ZUR BIDIREKTIONALITÄT Das Thema Mundgesundheit, insbesondere Parodontitis und Diabetes ist keineswegs neu. Eine der ersten, im PubMed auffindbaren Arbeiten hierzu stammt aus dem Jahr 1946, wo Glickman erstmalig im Journal of Dental Research einen Zusammenhang zwischen Parodontium und dem Blutzucker in einem experimentellen Diabetesmodell aufzeigte [Glickman, 1946]. In den darauffolgenden Jahren wurde das Thema mehrfach aus unterschiedlichen Gesichtspunkten aufgegriffen: So erfolgten unter anderem erste Untersuchungen zum Glykogengehalt der Gingiva bei Diabetes [Cohen und Fosdick, 1950] und ebenso die Evaluation röntgenologischer und mikrobiologischer Aspekte [Stahl, 1948]. Zudem gab es eine intensive Auseinandersetzung mit einem möglichen Zusammenspiel zwischen der damals so ausgewiesenen juvenilen Parodontitis und Diabetes [de Naranjo und Pierangeli, 1951]. Auch im deutschsprachigen Raum wurde das Thema bereits 1951 adressiert, wobei eine Arbeit von Focke mit dem Titel „Parodontosis in Diabetes“ mögliche Zusammenhänge beider Erkrankungen in der Deutschen Zahnärztlichen Zeitschrift diskutierte [Focke, 1951]. Wenngleich die ersten Studien methodisch noch limitiert waren, ist das Thema seit mehr als 70 Jahren in der nationalen und internationalen Literatur präsent. VERSCHIEDENE TYPEN DES DIABETES MELLITUS Typ Pathogenese Patientengruppen Häufigkeit Tab. 1, Quelle: Gerhard Schmalz Typ I Autoimmun Manifestation bereits im jungen Lebensalter 3 bis 5 % Typ II Insulinresistenz Vorwiegend ältere Patienten mit Risikofaktoren > 90 % Gestationsdiabetes Abnehmende Insulinempfindlichkeit in der Schwangerschaft Schwangere, Beginn häufig 24. bis 28. Schwangerschaftswoche < 5 % Sonstige Heterogen Heterogen, ggf. in Kombination mit anderen Erkrankungen (z. B. Cushing-Syndrom) < 5 % PD DR. GERHARD SCHMALZ Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, Funktionsbereich Oral Health Medicine, Universität Leipzig Liebigstr. 12, Haus 1, 04103 Leipzig Foto: privat ZAHNMEDIZIN | 37

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