Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 13

zm112, Nr. 13, 1.7.2022, (1283) krankungen oftmals eine mangelnde Compliance und/oder Adhärenz auf [Kneckt et al., 2000; Kim et al., 2013]. Insgesamt lohnt es sich, die gemeinsamen Risikofaktoren detailliert zu betrachten. Rauchen ist ein bedeutender Risikofaktor für Diabetes [Pan et al., 2015] sowie für Parodontitis [Leite et al., 2018], was sich primär durch Auswirkungen auf die Inflammation, die Regeneration und im Fall der Parodontitis auch auf den Biofilm erklären lässt [Pan et al., 2015; Leite et al., 2018]. Ein additiver Effekt, beispielsweise von Diabetes und Rauchen auf den subgingivalen Biofilm und die Schwere der Parodontitis wird jedoch kontrovers diskutiert [Rimachi Hidalgo et al., 2021; Joaquim et al., 2018]. In ähnlicher Art und Weise wirkt sich auch Adipositas aus; es ist ausführlich beschrieben, dass adipöse Patienten verstärkt sowohl an Diabetes als auch an Parodontitis erkranken [Martinez-Herrera et al., 2017; Uusitupa et al., 2019]. Bei einem gemeinsamen Vorliegen von Diabetes und Adipositas kommt es zudem zu einer weiter erhöhten parodontalen Erkrankungsschwere als bei Diabetes allein, was primär mit einer gesteigerten Inflammation im Kontext der Adipositas (unter anderem als Auswirkung von Adipokinen) begründet zu sein scheint [Zhu et al., 2014]. Auch bei Ernährungsaspekten ergeben sich gemeinsame Risikofaktoren zwischen Diabetes und Parodontitis. Insbesondere im Zusammenhang zur gesteigerten Inflammation und Geweberegeneration existieren einige Gemeinsamkeiten, so sind zum Beispiel die Nitrat- sowie die VitaminD-Zufuhr bei beiden Erkrankungen relevant, da diese direkt die Funktion des Immunsystems als auch den (Knochen-)Stoffwechsel beeinflussen [Bahadoran et al., 2021; Zuk et al., 2018]. Nicht zuletzt sind sowohl Diabetes (Typ II) als auch Parodontitis im Regelfall Erkrankungen, deren Inzidenz mit steigendem Lebensalter zunimmt; auch hier spielen Aspekte wie Inflammation, Regeneration und mikrobiologische Aspekte eine mögliche Rolle [Feres et al., 2016]. Ergänzend sind alle oben genannten Parameter – Alter, Rauchverhalten, Ernährung und Adipositas – auch mögliche Indikatoren für die Compliance der Patienten, so dass sich auch hier ein gemeinsames Risikopotenzial verbergen kann. Eine Zusammenstellung der möglichen gemeinsamen Risikofaktoren und deren Interaktion zeigt Abbildung 2. KLINISCHE ZUSAMMENHÄNGE Gegenwärtig gelten Gingivitis und Parodontitis als anerkannte Folgeerkrankung des Diabetes mellitus [Lalla und Papapanou, 2011; Jepsen et al., 2018; Mealey und Ocampo, 2007; Deschner et al., 2011]. Hieraus ergibt sich, dass jeder Diabetespatient einer gesteigerten Aufmerksamkeit in der zahnärztlich-parodontologischen Betreuung bedarf. Beide Erkrankungen stehen in einer bidirektionalen, also sich gegenseitig beeinflussenden Beziehung zueinander [Wu et al., 2020]. Patienten mit einem (unentdeckten und/oder insuffizient eingestellten) Diabetes weisen dadurch ein erhöhtes Risiko für eine parodontale Erkrankung auf und umgekehrt gilt dasselbe [Lalla und Papapanou, 2011; Jepsen et al., 2018; Nascimento et al., 2018]. Auf Grundlage einer Metaanalyse ist das Risiko für das Entstehen beziehungsweise Voranschreiten einer Parodontitis für einen Diabetiker gegenüber einem Nicht-Diabetiker um 86 Prozent höher [Nascimento et al., 2018]. Andersherum ist bei einer schweren Parodontitis das Risiko für die Entstehung eines Diabetes um 53 Prozent erhöht [Wu et al., 2020]. Insgesamt weisen dabei Patienten mit einem Diabetes eine schwerere, rascher fortschreitende parodontale Inflammation und Destruktion auf (erhöhter Attachmentverlust, Sondierungstiefen, Risiko für Zahnverlust), während eine gesteigerte parodontale Entzündung zu einer erschwerten glykämischen Einstellung des Diabetikers führen kann [Kocher et al., 2018]. Hieraus ergibt sich ein circulus vitiosus. Essenziell beim Einfluss des Diabetes auf die Parodontitis ist die Einstellgüte, das heißt die Einstellung des HbA1c-Werts beim Diabetiker [Mealey und Ocampo, 2007]. Dieser bezeichnet den Anteil von glykosyliertem Hämoglobin im Blut und ist ein Maß für die langfristige glykämische Kontrolle (vergangene vier bis sechs Wochen) einer Diabeteserkrankung. Ein HbA1c über 5,7 Prozent gilt als diabetologisch auffällig, ab 6,5 Prozent wird von einem manifesten Diabetes ausgegangen [Gillet, 2009]. Ein HbA1c-Wert von mehr als 7,0 Prozent wird mit einem hohen Risiko für eine Parodontitis(-progression) in Verbindung gebracht, wobei diese Patienten entsprechend der aktuellen Klassifikation als Grad C definiert werden [Jepsen et al., 2018]. Wie angedeutet hat das Vorliegen einer Parodontitis möglicherweise ebenfalls negative Auswirkungen auf den Verlauf der Diabetes-Erkrankung Abb. 4: Dieser Patient zeigt diverse periimplantäre Veränderungen. Neben einer parodontalen Vorerkrankung und einer unvollständigen prothetischen Versorgungssituation ist der vorliegende Diabetes Typ 2 mit einem insuffizient eingestellten HbA1c von 8,5 Prozent ein möglicher Einflussfaktor. Quelle: Gerhard Schmalz ZAHNMEDIZIN | 41

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