Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14

zm112, Nr. 14, 16.7.2022, (1379) Grundsätzlich muss hier eine Therapieentscheidung zwischen Lückenschluss oder Lückenöffnung getroffen werden. Der Patient ist dabei vorab über alle möglichen Behandlungsalternativen, deren Vor- und Nachteile sowie die Risiken aufzuklären und in die Entscheidung einzubeziehen. KONZEPT LÜCKENSCHLUSS Bei der Wahl des kieferorthopädischen Lückenschlusses muss unter Berücksichtigung dentaler und skelettaler Parameter die Verankerungssituation analysiert und eine Verankerungsstrategie durch den Kieferorthopäden festgelegt werden. Der Begriff „Verankerung“ wurde bereits im 19. Jahrhundert von Edward H. Angle geprägt [Angle, 1887] und beschreibt nach heutigem Verständnis das Abfangen beziehungsweise den kontrollierten Einsatz reaktiver Kräfte in der Transversal-, Vertikalund Sagittalebene. Bei der Bewegung eines Zahnes oder mehrerer Zähne während des Lückenschlusses entstehen schwer abschätzbare reaktive Kräfte und Momente, die als unerwünschte Nebenwirkung zu Komplikationen und einem verlängerten Behandlungsverlauf führen können. Des Weiteren können eine unzureichende desmodontale Verankerung (Restbezahnung, parodontaler Zustand, Wurzelanzahl und -morphologie) [Diedrich, 1993] oder der Wunsch des Patienten nach einer mitarbeitsunabhängigen Therapievariante eine skelettale (= stationäre) Verankerung indizieren. Mithilfe der für diesen Zweck entwickelten temporären Gaumenimplantate (Orthosystem, Straumann, Basel, Schweiz) kann diesen Anforderungen an eine stationäre Verankerungsapparatur Rechnung getragen werden. Die Insertion erfolgt atraumatisch in einem kurzen Eingriff, paramedian in Höhe der ersten Prämolaren im anterioren Gaumen, um einer möglichen transversalen Wachstumsstörung der Maxilla beim noch wachsenden Patienten vorzubeugen [Asscherich et al., 2005] und eine erhöhte Primärstabilität zu erzielen [Bernhart et al., 2000]. Die Evaluation der Knochendicke im Insertionsgebiet erfolgt mithilfe des Fernröntgenseitenbildes [Wehrbein et al., 1999]. Bereits bei einer Länge und einem Durchmesser von circa 4 mm ist das Gaumenimplantat rotationsund positionsstabil [Wehrbein et al., 2009] und kann durch eine nachgewiesene Osseointegration bereits nach einer dreimonatigen Einheilphase für dentale Bewegungen belastet werden [Wehrbein et al., 1998]. Eine Reihe von Verankerungsaufgaben wird durch eine individuelle Planung der Suprakonstruktion umgesetzt – diese ermöglicht neben dem einseitigen oder dem beidseitigen Lückenschluss durch Mesialisierung auch die Distalisation für eine Lückenöffnung im Front- oder im Seitenzahnbereich, die Intrusion und Extrusion sowie die Einordnung stark verlagerter und retinierter Zähne. Nach entsprechender oralchirurgischer Schulung kann die Insertion beim niedergelassenen Kollegen erfolgen. INTERDISZIPLINÄRES VORGEHEN Der ästhetischen Weiterversorgung des Patienten bei einem geplanten Lückenschluss im Frontzahnbereich muss besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Hier ist es ratsam, dass der Kieferorthopäde und der Zahnarzt sich frühzeitig austauschen, um ein ästhetisches Gesamtkonzept festzulegen. Gerade bei der Nichtanlage von Zähnen sind mögliche Mikrosymptome zu berücksichtigen, wie bei der Aplasie eines seitlichen Schneidezahns die Hypoplasie des gegenüberliegenden seitlichen Schneidezahns (Abbildungen 1b und 1c). Neben ästhetischen Gesichtspunkten muss die Planung und Umsetzung von Kompositaufbauten und Veneers auch funktionellen Anforderungen folgen und ein harmonischer Gingivaverlauf als Behandlungsziel angestrebt werden. Hier kann der Kieferorthopäde durch entsprechende Zahnbewegungen wie Intrusion, Extrusion und Torque gezielt vorgehen [Rosa et al., 2010], während der Zahnarzt mithilfe der Gingivektomie die gingivale Ästhetik formen kann. Neben konservierenden Maßnahmen muss bei veränderten Okklusionsverhältnissen eventuell auch eine Abb. 5: Ansicht intraoral (a: rechts, b: frontal, c: links) a b c ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. ZAHNMEDIZIN | 33

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