Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 15-16

zm112, Nr. 15-16, 16.8.2022, (1524) Der von dem US-amerikanischen Psychologen Edward Lee Thorndike eingeführte Terminus beschreibt einen kognitiven Verzerrungseffekt. Dabei werden faktisch nur teilweise zusammenhängende oder auch völlig unabhängige Eigenschaften einer Person irrtümlich als korrelierend wahrgenommen. Einzelne Attribute einer Person erzeugen einen ersten positiven Eindruck. Dieser Effekt ist so nachhaltig, dass er die weitere Wahrnehmung der Person bestimmt. Der negative Gegenentwurf ist der sogenannte „(devils) horns effect“ oder „Teufelshörner-Effekt“. Dabei werden unattraktive Merkmale oder Attribute einer Person mit einer negativen Zuschreibung assoziiert, also mit Lastern oder moralischem Fehlverhalten [Aquino, 2020:435; Pflug, 2020:146; Synnott, 1993:74]. Die Professorin für Globale Ethik an der Universität Birmingham, Heather Widdows, warf in ihrer 2018 publizierten Monografie „Perfect Me: Beauty as an Ethical Ideal“ sogar die These auf, dass die zunehmende gesellschaftliche Obsession für das äußere Erscheinungsbild dazu führt, dass eine mangelhafte Attraktivität einer Person als individuelles „Schönheitsversagen“ gewertet und moralisch verurteilt werden könnte. Die Folge: Die Betroffenen leiden unter ihrer „moralischen Schmach“, wenn sie sich nicht den geltenden ästhetischen Idealen ihrer Kulturgemeinschaft unterwerfen. Das „Schönheitsversagen“ führe in letzter Konsequenz zu einer „Pathologisierung von Hässlichkeit“. Aber ist eine Person wirklich krank, wenn sie nicht dem geltenden Schönheitsideal entspricht [Aquino, 2020:435; Widdows, 2018]? IST HÄSSLICHKEIT EINE KRANKHEIT? Legt man das bio-psycho-soziale Modell von Gesundheit und Krankheit zugrunde, an dem sich auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) orientiert, könnte man durchaus zu dem Schluss kommen, dass keine schönen, geraden Zähne zu haben, nicht nur einen ästhetischen Mangel darstellt, sondern unter Umständen auch als krankhaft einzustufen ist. Bei der WHO heißt es: „Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheit und Gebrechen“ [Lippke/Renneberg, 2019]. Für die Prävention, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation von Krankheiten ergibt sich daraus ein ganzheitlicher Ansatz, bei dem nicht nur biologische Faktoren des Patienten zu berücksichtigen sind. Auch soziokulturelle Aspekte – wie Sozialstatus, Möglichkeit zur sozialen Teilhabe – und psychologische Faktoren sind relevant [von Känel et al., 2020, UNIA 2022]. Wenn ein Patient den Zustand seines Gebisses als so prekär empfindet, dass er sich dauerhaft unwohl fühlt, kann dies bei ihm einen Leidensdruck auslösen. Fehlende Frontzähne, deutliche Verfärbungen oder Zahnfehlstellungen können die gesellschaftliche Teilhabe oder den beruflichen Erfolg möglicherweise tatsächlich negativ beeinflussen, ohne dass eine Funktionseinschränkung des Kauapparats vorliegt. Wo jedoch durch einen zahnmedizinischen Eingriff soziales und psychisches Leiden gelindert werden sollten und wo der Patient mehr von einer Stärkung seines Selbstbewusstseins oder seiner psychischen Gesundheit profitieren könnte, muss stets im individuellen Zahnarzt-Patienten-Gespräch eruiert werden. In diesem Zusammenhang erfolgt die Indikationsstellung nicht wertfrei. Als Grundlage des zahnärztlichen Handelns ist sie nicht nur ein „Instrument empirisch, final und kausal begründeter TherapieQuelle: IDZ, 2016 DR. MATTHIS KRISCHEL Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf matthis.krischel@hhu.de Foto: privat 74 | GESELLSCHAFT

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