Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17

zm112, Nr. 17, 1.9.2022, (1655) Zeit: im wilhelminischen Deutschland und der Weimarer Republik. Das ursprüngliche „Kino der Attraktionen“ mit Streifen von 1 bis 3 Minuten Länge wich langsam dem „Kino des Erzählens“, das längere Geschichten schätzte, für Produktionsfirmen attraktiv wurde und bis heute gängige Berufsbilder wie Filmregisseur und Filmschauspieler schuf [Toeplitz, 1979; Balázs, 1980]. Das Medizinfach wuchs in diesen Jahren über ein rein chirurgisches Handeln hinaus und integrierte erstmals konservierende und präventive Aspekte, die Verbreitung der Leitungsanästhesie (ab 1905) und die Einführung der Röntgendiagnostik (ab etwa 1920) stellten weitere Modernisierungsschritte dar [Hoffmann-Axthelm, 1985]. Zwar wurde nach dem Ersten Weltkrieg die noch junge akademische Disziplin durch die Promotionserlaubnis aufgewertet, gleichzeitig existierte jedoch ein Dualismus von Zahnärzten und Dentisten [Groß, 2006]. VON „FRÄULEIN ZAHNARZT“ GIBT ES NOCH 4 MINUTEN Davon bot der Stummfilm seinen Zuschauern fast nichts. Erhalten sind nur sehr wenige deutsche Kurzfilme mit dentalen Motiven (Tab. 1). Keine Ausnahme, denn weltweit sind 80 Prozent aller „silent movies“ nicht archiviert oder zerstört worden [Nowell-Smith, 1998]. Leider ist auch „Fräulein Zahnarzt“ (1919) nur fragmentarisch erhalten, das erste Werk mit einer Filmzahnärztin. Zugänglich ist dagegen ein früher Streifen, der in 3 Minuten eine vollständige Zahnbehandlung vorführt: „Beim Zahnarzt“ aus 1907. Die Fachbezeichnung lautet „Tonbild“, weil der handgekurbelte Projektor mit einem Grammofon, auf dem eine Schellack-Platte lief, synchronisiert werden musste. Die Zuschauer blickten durch eine starre Kamera in einen Salon (Abb. 1). Der Behandler trägt Berufsoberbekleidung und verfügt über einen Zahnarztstuhl, eine Fußtretbohrmaschine, ein Tray und eine Art Speigefäß sowie eine Haushälterin, nicht aber über eine Assistenz. Er schaut dem schmerzgeplagten Patienten kurz in den Mund, nimmt kurz entschlossen die Zange und zieht zügig den ersten Zahn. Dann wird es merkwürdig: Der Behandler inspiziert nochmals das Operationsgebiet, lacht und entfernt rasch einen zweiten Zahn – jetzt offenbar den richtigen. Am Ende zahlt der erleichterte Schmerzpatient das Honorar und verlässt das „Atelier“. Ein weiteres, kurz nach dem Ersten Weltkrieg entstandenes Werk führt vollends in den Bereich des Slapsticks. Der Protagonist von „Emil hat Zahnschmerzen“ (1921) unternimmt erfolglos eine Selbsttherapie seiner Beschwerden mit Wärme. Notgedrungen muss er sich einem teuflisch grinsenden Zahnarzt anvertrauen, der umgehend zur Kneifzange greift. Der weitere Vorgang bleibt für die Betrachter optisch verborgen, obwohl die Kamera bereits schwenken und zoomen konnte. Um eine komische Situation zu erzeugen, zieht der Zahnarzt erneut den falschen Zahn. Es folgen Handgreiflichkeiten von Seiten des Patienten, der die Bezahlung verweigert und seinen Peiniger auf die Straße jagt. DER KOMISCHE ZAHNARZT KOMMT AUS HOLLYWOOD Nur diese zwei deutschen Stummfilme zum Thema sind heute verfügbar. Vor allem der zweite etablierte die aus Hollywood kommende Figur des „komischen“ Zahnarztes im deutschen Lichtspiel. Als fachliches Motiv dominierte die Extraktion ohne Anästhesie, damals eine international übliche Darstellung der Zahnheilkunde [Gierok/Mirza/Karenberg, im Druck]. Die Fokussierung auf das Chirurgische erklärt sich aus den Rahmenbedingungen: Die sensationshungrigen Zuschauer weideten sich am Schicksal der geplagten Mitmenschen und wurden dank drastischer Schauwerte und derber Situationskomik trefflich unterhalten. NS-ZEIT (1933–1945) Anfang der 1930er-Jahre änderte sich vieles. Die Nationalsozialisten gaben nicht nur beim Film den Ton an, sondern auch in den gleichgeschalteten medizinischen Verbänden. Das berufsständische Nebeneinander existierte weiterhin, die Zahl der Dentisten (1933: 18.000) überstieg die der Zahnärzte (10.000) deutlich [Rinnen/ Westemeier/Groß, 2020]. Fachliche Innovationen betrafen mit Panorama-Aufnahmen und dem Werkstoff Paladon für die Prothetik vor allem Röntgen- und Zahntechnik. NS-Filme werden heute gemeinhin mit Propaganda verbunden, tatsächlich spielte für die nationalsozialistische Filmpolitik quantitativ die in den UFA-Studios am Fließband produzierte „leichte Unterhaltung“ fernSPIELFILME MIT ZAHNARZT-MOTIV (1907–1932) (*ZAHNÄRZTIN) Nr. 1–1 1–2 1–3 1–4 1–5 1–6 1–7 Tab. 1, Quelle: Karenberg Titel Beim Zahnarzt Zahnarzt wider Willen (verschollen) Karlchen beim Zahnarzt (verschollen) Fräulein Zahnarzt* (verschollen) Wenn Zahnarzt Krause spazieren geht (verschollen) Emil hat Zahnschmerzen Weekend im Paradies (verschollen) Jahr 1907 1917 1919 1919 1921 1921 1931 Regisseur ? ? Emil Albes Joe May (Animierter Film) Albert Lastmann Robert Land DR. MED. DENT. ANDREAS PETZKE Zahnarztpraxis Josef-Schregel-Straße 31, 52349 Düren GESELLSCHAFT | 93

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