Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 19

zm112, Nr. 19, 1.10.2022, (1868) für 2022 in Deutschland bei 4.900 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner bei den Frauen und 9.700 bei den Männern [Krebs in Deutschland für 2017/2018, Deutsches Krebsregister, Robert-Koch-Institut]. Die Erkrankung tritt meist zwischen dem 50. und dem 75. Lebensjahr auf. Bei allen Tumorerkrankungen sollte die Rehabilitation des Patienten mindestens den gleichen Stellenwert einnehmen wie die eigentliche Tumorbehandlung. Die Rehabilitation der Mundhöhle mit ihren vielen funktionellen Aspekten zeigt das in besonderem Maß. Es geht um die Wiederherstellung der Kaufähigkeit, der Ästhetik, der damit verbundenen gesteigerten Lebensqualität und nicht zuletzt um die positiven Effekte, die ein funktionell suffizientes Kauorgan auf die Allgemeingesundheit hat. In Deutschland besteht die Möglichkeit, einen implantatgetragenen Zahnersatz mit einer vorliegenden Ausnahmeindikation für besonders schwere Fälle, zum Beispiel Tumorpatienten, über Paragraf 28 SGB V zulasten der Solidargemeinschaft zu beantragen. Im vorliegenden Patientenfall wurde eine Suprakonstruktion auf Implantaten bewilligt. Für den Zahnersatz auf den Teleskopzähnen 23, 24 und 25 erhielt der Patient den herkömmlichen Festzuschuss mit Eigenanteil. Ohne die Bewilligung der Implantate wäre eine Teleskopprothese auf den Zähnen 23, 24, 25 die Regelversorgung gewesen. Rein zahngetragene Teleskopprothesen zeigen bei günstiger Pfeilerverteilung eine Fünfjahresüberlebensrate von 95,3 Prozent [Wöstmann et al., 2007] – eine günstige Pfeilerverteilung lag im vorliegenden Patientenfall leider nicht vor. Sind die Restzähne erhaltungswürdig und ist die Pfeilerverteilung ungünstig, so können gemischt zahnund implantatgetragene Teleskopprothesen über eine Pfeilerzahnvermehrung Abhilfe schaffen [Rammelsberg et al., 2014]. Diese Hybrid- beziehungsweise Verbundprothesen zeigen mit 92 Prozent eine bessere Fünfjahresüberlebensrate als rein implantatgetragene Teleskopprothesen mit 85 Prozent [Rammelsberg et al., 2014]. Die Überlebensraten hängen maßgeblich mit der Anzahl und der Position der Pfeiler und der damit verbundenen polygonalen Abstützung zusammen [Hug et al., 2006; Mitrani et al., 2003]. Alternativ zu Teleskopen kann eine Verankerung auf Implantaten auch über einen Steg, Kugelköpfe oder Locator erfolgen [Schwarz et al., 2014]. Bei Vorliegen eines moderaten oder schweren Alveolarkammverlusts aufgrund Resorption oder Tumoroperation kann ein ungünstiges Verhältnis zwischen Implantathöhe und Höhe des Zahnersatzes die Folge sein [Bueno-Samper et al., 2010]. In solchen Fällen empfiehlt sich die primäre Verblockung der Implantate über einen Steg [Straioto et al., 2006]. Hierbei kann eine Dreijahresüberlebensrate von 95,2 Prozent erreicht werden [Rodriguez et al., 2000]. Verschraubte Titanstege stellen eine rigide Primärverbindung der Implantate dar, gewährleisten einen Rotationsschutz und bewirken dadurch einen festen Halt der Prothese, ähnlich einem festsitzenden implantatgetragenen Zahnersatz [Krennmair et al., 2007]. Durch ein im distalen Bereich des Steges angebrachtes Geschiebe kann die Retention zusätzlich verbessert, die Hebelwirkung bei Belastung des Freiendes reduziert und bei Retentionsverlust durch Aktivierung (Austausch der Matrize) die Retention wiederhergestellt werden [Bueno-Samper et al., 2010; Krennmair et al., 2007]. Gleichzeitig kann bei günstiger Kraftverteilung sogar die gaumenfreie Gestaltung einer Oberkieferprothese möglich sein, was die Sprachbildung sowie das Geschmacksempfinden erhöhen kann und so zu mehr Patientenkomfort beiträgt Abb. 3: Bei der Gerüstanprobe imponierte abermals der ausgedehnte Höhenverlust der Kieferkämme. Foto: Olivia Höfer FAZIT FÜR DIE PRAXIS \ Bei Patienten mit Tumoren der Mundhöhle ist eine Beantragung von implantatgetragenem Zahnersatz über die Ausnahmeindikation § 28 SGB V möglich. \ Bestehen ausgedehnte Kieferkammdefekte durch Resorption oder nach Tumoroperation, ist eine herausnehmbare Stegprothese mit beziehungsweise ohne Einbeziehung von Restzähnen einem festsitzenden Zahnersatz vorzuziehen. \ Die primäre Verblockung der Implantate bei ausgeprägter Kieferkammatrophie ermöglicht einen Zahnersatz mit guter Retention bei günstiger Kraftverteilung. Sie ermöglicht außerdem eine im Vergleich zu festsitzendem Zahnersatz erleichterte Reinigungsfähigkeit. DR. MED. DR. MED. DENT. RENÉ MARCEL ROTHWEILER Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – plastische Operationen, Universitätsklinikum Freiburg Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg rene.rothweiler@uniklinik-freiburg.de Foto: Universitätsklinik Freiburg, Medienzentrum PROF. DR. BENEDIKT SPIES Universitätsklinikum Freiburg, Department für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Klinik für Zahnärztliche Prothetik Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg Foto: Britt Schilling 70 | ZAHNMEDIZIN

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