Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 20

zm112, Nr. 20, 16.10.2022, (1987) des DGZ-Blocks die verschiedenen Einsatzgebiete additiver, adhäsiver Techniken. Er zeigte Patientenfälle, die beispielhaft den Lückenschluss eines Diastema mediale, das Schließen größerer schwarzer Dreiecke oder einzelne adhäsive Zahnumformungen zur Harmonisierung einer Frontzahnsituation demonstrierten. Um Lücken zu schließen, müssen Zähne verbreitert werden. Damit das möglichst unauffällig geschieht, ist oft eine aufwendige beidseitige Verbreiterung von mesial und distal nötig. „Alles, was einen Zahn breiter macht, lässt ihn aber auch kürzer erscheinen“, gab Klaiber dabei zu bedenken. Bei Zahnverbreiterungen sei darauf zu achten, dass die interinzisalen Zwischenräume nicht ganz verloren gehen. Andernfalls müssten diese wieder eingeschliffen werden, indem die Zähne mit einem Keil separiert werden und dann mit einer SoflexScheibe ein interinzisales Dreieck niedrig-tourig und trocken-schleifend eingearbeitet wird. Der Medizinethiker Prof. Dominik Groß (Aachen) grenzte ästhetische von kosmetischen beziehungsweise wunscherfüllenden Behandlungen ab, für die es jeweils Angebot und Nachfrage gebe. Die Kosmetik diene dem Schmücken des menschlichen Körpers – zahnmedizinische Interventionen mit einem solchen Ziel werden ausschließlich auf Wunsch des Patienten durchgeführt – ohne medizinische Indikation und ohne kurativen Ansatz. Bei Fällen, in denen eine medizinische Indikation mitbeteiligt ist, gilt: „Je weniger eindeutig eine medizinische Indikation eines Eingriffs ist, desto ausführlicher und eindrücklicher müssen der Patient oder die Patientin aufgeklärt werden“, sagte Groß. Dies sei entsprechend zu dokumentieren. PASST DIE EROSION ZUM ALTER DES PATIENTEN? Prof. Thomas Attin (Zürich) beleuchtete in seinem Vortrag die Möglichkeiten, ein Erosions- und Abrasionsgebiss ästhetisch zu rehabilitieren. Zur Frage des Zeitpunkts der Restauration von Erosionen beziehungsweise Abrasionen sei es wichtig, sich zu fragen, ob der Grad der Abnutzung zum Alter des Patienten passe. Gründe, erosive Zahnhartsubstanzdefekte zu behandeln, sind insbesondere dann gegeben, wenn Schmerzen auftreten, die Hygienefähigkeit aufgrund von Läsionen nicht mehr gegeben ist oder die Ästhetik stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die Frage, mit welchem Material – direkt mit Komposit oder indirekt mit Kera1. JAHRESTAGUNG DER DGZMB DIE AUFSUCHENDE ZAHNMEDIZINISCHE BETREUUNG BIETET VIELE VORTEILE „Uns ist es ein wichtiges Anliegen, Prävention und Zahnerhaltung bei Menschen mit Beeinträchtigungen zu betreiben“, sagte Prof. Andreas Schulte (Witten/Herdecke), Präsident der Deutschen Gesellschaft Zahnmedizin für Menschen mit Behinderung oder besonderem medizinischen Unterstützungsbedarf (DGZMB). Die Fachgesellschaft zeigte auf ihrer Jahrestagung in einer Reihe von Vorträgen, was es dafür braucht. Dr. Peter Schmidt, Oberarzt für Behindertenorientierte Zahnmedizin an der Universität Witten/Herdecke, berichtete von seinen Erfahrungen bei der aufsuchenden zahnmedizinischen Betreuung von Personen mit schwerer Behinderung. Seit 2014 besteht für Zahnärztinnen und Zahnärzte die Möglichkeit, die aufsuchende Versorgung für Patientinnen und Patienten zu Hause zu übernehmen und mit Pflegeeinrichtungen zu kooperieren (nach § 87 Abs. 2j SGB V). Seit dem 1. Juli 2018 sind dafür Zuschläge abrechenbar (172a/172b). Ein mobiles zahnmedizinisches Team der Zahnklinik Witten/Herdecke realisiert die aufsuchende Betreuung in zwei Wohneinrichtungen der sogenannten „Spezialpflege“ (Wohneinrichtung für Menschen mit komplexer, schwerer Mehrfachbehinderung) mit einem klappbaren Patientenstuhl und zahnärztlichen (rotierenden) Instrumenten, nebst fahrbarem Röntgen für Zahnfilme. Im Rahmen einer zahnärztlichen Ambulanz führt das Team dort einmal pro Woche zahnärztliche Kontrollen, Mundhygieneunterweisungen und Fissurenversiegelungen/Füllungen durch. Die Versorgung im Heim ist deutlich stressreduziert Mit Angeboten dieser Art könnten die gesetzlichen Krankenkassen mindestens 100.000 Euro jährlich allein für Transportkosten einsparen, so Schmidt. In einer Evaluation des Projekts mit Fragebögen für die Pflegekräfte, Bewohner und Angehörigen antworteten 93 Prozent, dass ihnen bewusst geworden sei, dass die Anwesenheit eines Zahnmediziners in der Wohnstätte für Menschen mit Behinderung wichtig ist. Für die vulnerablen Menschen war die zahnmedizinische Versorgung in ihrer Lebenswelt deutlich stressreduziert. Schmidt betonte, dass Universitätskliniken für ZMK-Erkrankungen solche Projekte durchführen sollten, um Studierende im Fach Zahnmedizin damit vertraut zu machen und um wissenschaftliche Begleituntersuchungen durchführen zu können. Prof. Dr. med. Peter Martin, Chefarzt an der Séguin-Klinik und am Epilepsiezentrum der Diakonie Kork bei Straßburg, referierte über die schwierige Schmerzdiagnostik bei Menschen mit geistiger Behinderung, die sich bei Schmerzen nicht wie Menschen ohne Entwicklungsstörungen verhalten. Häufig zeigten jene idiosynkratische Schmerzreaktionen und spezifische Verhaltensweisen – beispielsweise könnten sie sich bei Kopfschmerzen mit der Hand gegen den Kopf schlagen oder schreien. Sie könnten auch sensibler auf schmerzauslösende Reize reagieren. Einer englischen Studie zufolge waren bei 238 Todesfällen von Menschen mit geistiger Behinderung 42 Prozent vermeidbar. Diese seien darauf zurückzuführen, dass Schmerzäußerungen dieser Patienten nicht als solche erkannt wurden und daher als wichtiger auslösender Faktor eines verfrühten Todes angesehen werden müssen. ZAHNMEDIZIN | 77

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