Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21

zm112, Nr. 21, 1.11.2022, (2090) KEIMBESTIMMUNG ODONTOGENER ABSZESSE Next Generation Sequencing kann die Erregerdiagnostik verbessern Nils Heim, Franz-Josef Kramer, Benjamin Warwas, Martin Sieber Im Zuge der Corona-Pandemie haben Sequenzierungstechnologien wie das „Next Generation Sequencing“ (NGS) einen starken Aufschwung erfahren, was sich insbesondere in einem massiven Kapazitätsausbau zeigt. Diese Entwicklung bietet heute die Chance, neue Indikationen für die installierte technologische Basis zu prüfen. In den Blick geraten da auch Keimbestimmungen bei hartnäckigen odontogenen Abszessen, die einen erheblichen medizinischen und wirtschaftlichen Nutzen stiften könnten. Ausgedehnte odontogene Abszesse sind potenziell vital gefährdende, von Zähnen ausgehende Abszessgeschehen, die im Rahmen von Notfalleingriffen – meist stationär – in Kliniken mit oralchirurgischer beziehungsweise mund-, kiefer- und gesichtschirurgischer Ausrichtung behandelt werden. Verlassen die Abszesse ihre ursprüngliche Loge und es kommt zur Ausbreitung, kann es zu septischen Geschehen, Atemwegsverlegungen, parapharyngealen Inflammationen bis hin zu nekrotisierenden Fasciitiden und Mediastinitis kommen. Unbehandelt gelten diese Entzündungsgeschehen nicht selten als lebensbedrohlich [Heim et al., 2018]. Die leitliniengerechte Therapie der ausgedehnten Abszesse sieht eine meist von extraoral durchgeführte Abszesseröffnung, Drainierung und Spülung in Allgemeinanästhesie vor, gefolgt von einer darauffolgenden weiteren Drainierung über eingebrachte Drainageschläuche, täglichen desinfizierenden Spülungen und einer intravenös applizierten Antibiotikatherapie im Rahmen eines stationären Aufenthalts [Heim et al., 2019]. Solche Abszesse machen insgesamt über vier Prozent des stationär behandelten Patientenguts in deutschen Kliniken für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie aus und sind ein erheblicher Kostenfaktor für das Gesundheitssystem [Heim et al., 2021]. In den vergangenen Jahrzehnten kam es zu deutlichen Anstiegen von Antibiotikaresistenzen, die die Autoren auch in eigenen Vorarbeiten nachweisen konnten [Heim et al., 2017]. Eine Säule der effektiven Behandlung der Patienten ist die supportive intravenöse Antibiotikagabe. Als Standardpräparate werden hier kalkuliert Breitspektrumpenicilline eingesetzt [Heim et al., 2019a]. Das Surrogat der Wahl ist in der Regel Clindamycin. Doch gerade im Bereich des Clindamycins sind steigende Zahlen von resistenten Bakterienstämmen zu verzeichnen [Zirk et al., 2016]. Vor dem Hintergrund der Resistenzentwicklungen wäre eine zeitnahe Bestimmung des den Abszess verursachenden Keimspektrums wünschenswert, um die Antibiotikatherapie möglichst zielgenau einsetzen zu können. Dazu wird während der operativen Maßnahme ein Abstrich aus der Abszesshöhle genommen, der anschließend bebrütet wird, um Erreger zu isolieren und ein Antibiogramm anfertigen zu können, was im Idealfall erlaubt, Resistenzen aufzuspüren und die Wahl des Antibiotikums anzupassen. Eigene Zahlen zeigen allerdings, dass mit dieser Methode nur in 82 Prozent der Fälle überhaupt ein Erreger nachgewiesen werden kann [Heim et al., 2021]. Ob dies dann der Abszess auslösende Mikroorganismus ist, bleibt häufig ungeklärt. Hinzu kommt, dass eine spezielle Inkubation erforderlich ist, um anaerobe Erreger zu kultivieren. Auf dem Transportweg zum Labor können die Keime absterben, sind damit nicht mehr kultivierbar und dementsprechend auch nicht detektierbar. ERBGUTANALYSE DER KEIME LIEFERT PRÄZISE ERGEBNISSE Die Technologie des NGS eröffnet hier in mehrerlei Hinsicht vollkommen neue Möglichkeiten. In Zusammenarbeit mit der Firma Zymo Research Corp. / Europe war es den Autoren möglich, einen Patienten mit prolongiertem Krankheitsverlauf suffizient zu behandeln und die Ergebnisse des angewendeten „PrecisionBIOMETM“ (Zymo Research Corporation, Irvine, CA, USA)-Verfahrens mit den herkömmlichen Keimbestimmungsmethoden abzugleichen (siehe Patientenfall). Beim NGS handelt es sich um eine molekulare Diagnostik, PD DR. NILS HEIM Universitätsklinikum Bonn, Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie Venusberg – Campus 1, Haus 11, 2. OG, 53127 Bonn Nils.heim@ukbonn.de Foto: privat 68 | ZAHNMEDIZIN

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