Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2160) Der Markt hält eine Vielzahl verschiedener Präparate bereit, die allerdings jeweils nur für sehr enge ästhetische und funktionelle Indikationsbereiche zugelassen sind. Der im Volksmund häufig gebrauchte Name BOTOX® stellt lediglich eines dieser Präparate dar. Allen Präparaten gemeinsam ist die häufige Anwendung außerhalb des jeweiligen Zulassungsbereichs, der sogenannte Off-LabelUse. Dies gilt insbesondere auch für die Bruxismustherapie, da aktuell kein Präparat eine Zulassung für diese Anwendung besitzt (Stand 11/2022). STELLENWERT IN DER BRUXISMUSTHERAPIE Seit 1994 sind Anwendungen von Botulinumtoxin als Teil der Bruxismustherapie beschrieben [Moore & Wood, 1994; Smyth, 1994]. In der deutschsprachigen Literatur wurden dahingehend erstmals 2004 und 2005 Fachartikel verfasst [Mischkowski et al., 2004, 2005]. Das primäre Ziel in der Bruxismustherapie ist die paralysierende Behandlung des Musculus masseter. Es kann je nach Dosis und Art der Applikation eine partielle bis subtotale Paralyse mit nachfolgend eintretender Atrophie erreicht werden. In diversen, teils randomisierten Kontrollstudien wurde eine langfristige Wirkung im Sinne einer subjektiven Verbesserung der Beschwerdesymptomatik des Bruxismus belegt [Al-Wayli, 2017; De la Torre Canales et al., 2017; De Mello Sposito et al., 2014; FernándezNúñez et al., 2019; Lee et al., 2010; Lobbezoo et al., 2008; Long et al., 2012; Ondo et al., 2018; Persaud et al., 2013; Shim et al., 2014; Tan et al., 2000]. Einige Autoren sehen die alleinige Injektion von Botulinumtoxin – gegenüber der alleinigen Therapie mit Aufbissschienen – als überlegen an [Al-Wayli, 2017; Yurttutan et al., 2019]. Auch wenn die verfügbare Datenlage aus den in der Leitlinie zitierten Studien noch eingeschränkt belastbar erscheint, stimmen die vorhandenen Daten sehr positiv, dass Botulinumtoxin eine ernst zu nehmende pharmakologische Ergänzung zur konventionellen Schienentherapie beziehungsweise sogar eine Alternative dazu darstellt. Auch zusätzliche Anwendungen im Bereich des Musculus temporalis sind beschrieben [von Lindern et al., 2001]. Insbesondere im Verlauf einer Erhaltungstherapie kann die Mitbehandlung des Musculus temporalis aufgrund einer reaktiv eintretenden Hypertophie des Muskels angezeigt sein. Dokumentierte Behandlungsserien [Quarta, 2022] zeigen vielversprechende Ergebnisse, allerdings ist die Güte der wissenschaftlichen Evidenz nicht mit der zuvor genannten für den Musculus masseter vergleichbar. ANWENDUNG IN DER BRUXISMUSTHERAPIE Wie bei vielen invasiven therapeutischen Maßnahmen ist die korrekte Indikationsstellung auch bei der Therapie des Bruxismus mit Botulinumtoxin essenziell. Nach leitliniengerechter Diagnosestellung [Peroz et al., 2019] sollte zunächst eine erneute Palpation des Musculus masseter erfolgen, um das Ausmaß und die Symmetrie beziehungsweise Asymmetrie einer Masseterhypertrophie beurteilen zu können. Insbesondere bei ausgeprägter ein- oder beidseitiger Masseterhypertrophie erscheint eine Therapie mit Botulinumtoxin vielversprechend. Ziel der Behandlung ist die subtotale Paralyse des Musculus masseter. Es sollten dafür im Bereich des Muskelbauches die Injektionspunkte so gesetzt werden, dass sie die motorischen Endplatten möglichst vollumfänglich abdecken, der Wirkstoff jedoch nicht in angrenzende Strukturen wie zum Beispiel Muskeln, vor allem nicht in die mimisch relevanten Musculi risorius et zygomaticus, diffundiert [Bae et al., 2014]. Darüber hinaus gilt es, intravasale Injektionen zu vermeiden. Für die korrekte Injektionstechnik sind gute anatomische Kenntnisse erforderlich: Der Musculus masseter entspringt mit seinen drei Anteilen am Jochbogen größtenteils als sehnige Aponeurose und inseriert an der Tuberositas masseterica der Mandibula (Abbildung). Die Muskelstränge sind unterhalb der Subcutis und im Bereich der Glandula parotis zu tasten. Der Zielmuskel ist daher vor der Injektion zu palpieren und gegebenenfalls zu markieren. Die Injektionspunkte sind unter Berücksichtigung einer Diffusionsstrecke von circa 1 cm zu wählen. Zur Durchführung haben sich multiple (meist vier bis sechs), kleinvolumige Injektionen bewährt. Mit 31G-Nadeln von 10 mm Länge kann der Musculus masseter ausreichend sicher getroffen werden. Pro Seite sind etwa 25 Einheiten (Allergan- beziehungsweise MerzEinheiten) für eine gute Wirkung häufig ausreichend. Die korrekte Auswahl von Dosis und Applikationsort kann der erfahrene Behandler meist anhand des klinischen Befunds gut abschätzen. Wegen der verschiedenen Erscheinungsbilder der Hypertrophie und dem unterschiedlichen Ansprechen auf Botulinumtoxin kann nach einigen Wochen eine KontrollPD DR. MED. DR. MED. DENT. ALEXANDER-N. ZELLER Kieferchirurgie Königsallee Königsallee 68, 40212 Düsseldorf und Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover zeller.alexander@mh-hannover.de Foto: Christian Holthausen 26 | ZAHNMEDIZIN

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