Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2162) untersuchung sinnvoll sein. In diesem Rahmen können auch eventuelle Nachinjektionen in noch nicht vollständig paralysierte Bereiche durchgeführt werden, was schon im Rahmen eines Kostenvoranschlags mit bedacht werden sollte. Einige Anwender empfehlen, Injektionen nur caudal einer gedachten Linie von Tragus und dem Mundwinkel (Abbildung) vorzunehmen [Quezada-Gaon et al., 2016]. Ob so jedoch immer alle motorischen Endplatten des Nervus massetericus sicher erreicht werden können, hängt von der individuellen Anatomie, insbesondere von der Höhe des Übergangs von Aponeurose zu kontraktiler Muskulatur ab. Sicherlich sollten aber tiefe Injektionen durchgeführt sowie ein circa 1 cm großer Abstand zu den Rändern des Muskels gewahrt werden, um Diffusion in angrenzende Strukturen zu vermeiden [Peng et al., 2018]. Der paralytische Effekt beginnt erfahrungsgemäß frühestens 48 bis 72 Stunden nach der Injektion; teilweise kann diese Wirkung auch erst eine Woche später eintreten. Durch den paralytischen Effekt kommt es mittelfristig zu einer teils ausgeprägten Atrophie des Musculus masseter, die in einigen Fällen auch mit einer Verschmälerung des hinteren Untergesichts einhergeht. Insbesondere im Zeitalter des Strebens nach einer möglichst ausgeprägten „Jawline“, das heißt einer definierten Kontur des Kieferwinkels, ist diese (Neben-)Wirkung vorab zu besprechen und dies gut zu dokumentieren. Rein ästhetisch motivierte Behandlungen zur intentionellen Verschmälerung des Untergesichts sind kritisch zu betrachten, da die Behandlung des Musculus masseter mit Botulinumtoxin tief in die Funktion des Kaumuskelapparats eingreift. Neben unerwünschten Ereignissen im Rahmen der Injektion selbst ergeben sich die möglichen Komplikationen (Tabelle) vor allem aus der gewünschten paralytischen Wirkung und daraus, dass die Diffusionsstrecke des Wirkstoffs schwierig berechenbar ist, da sie stark von der Verdünnung, dem Injektionsvolumen und weiteren patientenindividuellen Faktoren abhängt. Meist schon nach vier bis sechs Monaten kommt es zu einer Aktivitätsrückkehr der Muskulatur, so dass eine Nachbehandlung indiziert sein kann [Tan et al., 2000; Tinastepe et al., 2015; Quarta, 2009]. Beim Wiederauftreten der Beschwerden sind Nachbehandlungen meist ein- bis zweimal jährlich angezeigt. PROF. DR. MED. DR. MED. DENT. BENEDICTA BECK-BROICHSITTER Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Plastisch-ästhetische Operationen am Katharinenhospital Stuttgart Kriegsbergstr. 60, 70174 Stuttgart Foto: Franz Hafner WICHTIGE UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN DER ANWENDUNG kurzfristige Schmerzen an der Injektionsstelle Schwellung der Injektionsstelle Hämatome an der Injektionsstelle Kopfschmerzen nach der Behandlung längerfristige Xerostomie Mundöffnungsstörungen Kaukrafteinschränkungen Veränderung der Gesichtsform Veränderung der Kontur des Musculus masseter („paradoxical bulging“) Veränderungen der Mimik Tab.: Strukturierte Zusammenfassung der Daten aus 36 Studien und Fallberichten zu unerwünschten Wirkungen der Injektion von Botulinumtoxin in den Musculus masseter. Alle unerwünschten Wirkungen gelten prinzipiell als reversibel, können aber zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität und der Zufriedenheit der Patienten mit der Behandlung führen. Quelle: Bae et al., 2014 Rückbildung meist nach 1–7 Tagen 12,5 – 59,1 % 6,3 – 22,7 % 2,5 – 6,3 % 0,45 – 18,8 % Rückbildung meist nach Wochen bis Monaten 6,3 – 13,3 % 0,90 % 0,9 – 63,6 % 0,44 – 26.5% 0,49 – 18,8% 0,15 – 27,3 % 28 | ZAHNMEDIZIN

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