Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2163) Wegen der großen benötigten Wirkstoffmenge entsteht ein Großteil der Behandlungskosten durch den Materialeinsatz und nicht durch die Abrechnung des Honorars nach GOÄ. Die Kosten werden nicht regelhaft von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Fälle einer ausnahmsweisen Kostenzusage nach Antragsprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen sind selbst nach Stellung eines detaillierten Antrags mit Fotodokumentation und Aufzeigen der bisher durchgeführten Therapien sowie den in Summe vollständig ausgeschöpften Therapieoptionen äußerst selten. Aufgrund der fehlenden Zulassung sind Klagen nicht aussichtsreich (Bundessozialgericht, Urteil vom 19. März 2002, Az.: B1 KR 37/00R). Bei privaten Krankenversicherungen empfiehlt sich das vorherige Einholen einer Zusage der Kostenübernahme, die bei Durchführung der Behandlung durch Fachärzte für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie häufig erteilt wird. THERAPIE DURCH ZAHNARZT, ORAL- ODER MKG-CHIRURG? Des Weiteren stellt sich die Frage, ob die hier beschriebene Bruxismustherapie mittels Botulinumtoxin nur durch einen MKG-Chirurgen oder auch durch einen Zahnarzt durchgeführt werden darf. Unstreitig darf der MKG-Chirurg als Human- und Zahnmediziner eine solche Therapie durchführen. Ebenso unumstritten darf ein Zahnarzt keine Faltenunterspritzungen im Stirn-, Augen- und Halsbereich oder Injektionen zur Therapie der Migräneerkrankung und der Behandlung der Hyperhidrose durchführen (OVG NRW, Urteil vom 18. April 2013, Az.: 13 A 1210/11, juris). Vereinfacht gesagt: Zahnmediziner dürfen den „Lippenrotbereich“ nicht verlassen. Aber: Ausgangspunkt der Feststellung, welche Heilbehandlungen konkret von der zahnärztlichen Approbation erfasst werden, ist Paragraf 1 Abs. 3 ZHG: „Ausübung der Zahnheilkunde ist die berufsmäßige auf zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnisse gegründete Feststellung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten. Als Krankheit ist jede von der Norm abweichende Erscheinung im Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer anzusehen, einschließlich der Anomalien der Zahnstellung und des Fehlens von Zähnen.“ Danach kommt es also allein darauf an, ob sich die Maßnahme auf eine der vorbezeichneten Körperregionen und die dort auftretenden Krankheiten bezieht (OLG Zweibrücken, Urteil vom 21. August 1998, Az.: 2 U 29/97, juris, Rn. 42; OVG NRW, Beschluss vom 13. August 1998, Az.: 13 A 1781/96, juris, Rn. 12). Ist dies der Fall, sind auch notwendige begleitende Übergriffe auf die Gesichtshaut zulässig (OVG NRW, Urteil vom 18. April 2013, a.a.O., juris, Rn. 47; OLG Zweibrücken, a.a.O., Rn. 53, 58). Bruxismus kann sowohl als Folge von Störungen und Erkrankungen auftreten als auch selbst durch unmittelbare Auswirkungen auf den Kiefer sowie auf die Zähne zu weiteren Erkrankungen wie beispielsweise im Komplex der Craniomandibulären Dysfunktionen (CMD) führen. Damit handelt es sich um ein (auch) der Zahn-, Mundund Kieferheilkunde zuzuordnendes Krankheitsbild, dessen Therapie dem Zahnarzt daher grundsätzlich erlaubt ist. Dabei ist der Zahnarzt nach hier vertretener Auffassung nicht auf die Durchführung der Schienentherapie beschränkt, sondern darf auch eine Therapie mittels Injektion von Botulinumtoxin durchführen. Dagegen spricht auch nicht die grundsätzliche Grenze des Lippenrotbereichs, die der Zahnarzt zur Durchführung der beschriebenen extraoralen Injektionen überschreiten müsste, denn zur Behandlung einer originär dem Zahn-, Mundund Kieferbereich zuzuordnenden Erkrankung sind notwendige begleitende Übergriffe sogar bei chirurgischen Maßnahmen erlaubt (so explizit für die Durchführung von bimaxillären Umstellungsosteotomien durch Oralchirurgen: OLG Zweibrücken, a.a.O.). Hinzuweisen ist indes vorsorglich darauf, dass die Zulässigkeit der Durchführung einer Botulinumtoxin-Therapie des Bruxismus – soweit ersichtlich – noch nicht (ober)gerichtlich entschieden beziehungsweise bestätigt wurde. Außerdem darf der Zahnarzt – wie auch der MKG-Chirurg – diese Therapie selbstverständlich nur dann durchführen, wenn er sie beherrscht, also insbesondere die richtigen Injektionsstellen identifizieren, die Injektionen fachgerecht durchführen und Injektionen in solche Muskelpartien und andere Strukturen ausschließen kann, in die eine Injektion nicht indiziert ist. FEHLENDE ZULASSUNG SPRICHT NICHT GEGEN DIE VERWENDUNG Die Tatsache, dass das Botulinumtoxin nicht für die Behandlung des Bruxismus zugelassen ist, verbietet dem MKG-Chirurgen, dem Oralchirurgen oder Zahnarzt dessen Anwendung zu diesem Zweck nicht. Die Zulassung eines Medikaments attestiert lediglich dessen Verkehrsfähigkeit und begründet dadurch eine Vermutung für seine Indikation zur Diagnose oder Therapie bei bestimmten Krankheiten. Die Indikation im Einzelfall muss der Arzt oder Zahnarzt aber selbst verantwortlich feststellen. PROF. DR. DR. KARSTEN FEHN Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Strafrecht und Justiziar der DGMKG NRW Konrad-Adenauer-Ufer 65, 50668 Köln www.fehn-legal.de Foto: privat ZAHNMEDIZIN | 29

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