Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

KOMMENTAR 1 DAS IST EIN FALL FÜR DEN KATEGORISCHEN IMPERATIV Konflikte zwischen Eltern und Kindern sind so alt wie die Menschheit. Die Bibel berichtet von Abraham, der sogar bereit war, seinen Sohn zu opfern. Der preußische Soldatenkönig zwang seinen Sohn Friedrich, bei der Exekution seines Freundes Katte zuzuschauen. Doch die Zeiten haben sich zum Glück geändert: Väter und Söhne stehen sich heute auf Augenhöhe gegenüber. Gerade der Nachfolge wird in Firmen große Aufmerksamkeit zuteil, weil eine gut vorbereitete und wohlgeordnete Übergabe eines Betriebs in aller Interesse ist und von den Inhabern und den Mitarbeitern gewünscht wird. Im vorliegenden Fall prallen die Vorstellungen der älteren Generation auf den Wunsch des möglichen jungen Nachfolgers, des Sohnes: Ein offener Streit bahnt sich an. Professionelle Streitschlichter würden hier zu einer Mediation raten, damit der drohende Konflikt rechtzeitig entschärft wird. Die rein rechtliche Konstellation ist rasch geklärt – die gesamte Verantwortung für alles, was in der Praxis geschieht, liegt beim Praxisinhaber. Führt der zukünftige Chef ohne Absprache – also im Alleingang – Behandlungen durch, die einen rein kosmetischen Zweck haben, dann könnte dies negative finanzielle Folgen für die Praxis haben, da beispielsweise Einkünfte aus derartigen „Therapien“ umsatzsteuerpflichtig sein können. Die Lösung dieses Vater-Sohn-Konflikts gelingt bei Anwendung des „gesunden Menschenverstands“: Der Sohn bespricht seine Vorstellungen mit den Eltern, die ja noch die alleinige Verantwortung für die Praxis tragen. So ergeben sich einvernehmlich notwendige Veränderungen – oder der Sohn geht seinen eigenen (Praxis-)Weg. Ein ethischer Konflikt zwischen zwei Alpha-Tieren scheint hier untergeordnet, wenn überhaupt vorhanden. Die in der Medizin beliebte Prinzipienethik nach Beauchamp und Childress lässt sich nicht so einfach anwenden, da diese eher Patienten und deren klinischen Betreuer betrifft. Besser nutzen lässt sich die Verantwortungsethik nach dem Philosophen Hans Jonas, die auf dem Kant´schen Imperativ beruht. Das klärende Gespräch zwischen den Konfliktparteien sollte die beiderseitige Verantwortung für die gegenwärtige und zukünftige Praxis beleuchten und mit einem einvernehmlichen Kompromiss enden, sonst sind die Patienten und die Mitarbeiter diejenigen, die am meisten leiden. Doch auch wenn es zu keiner Einigung kommen sollte, ginge die Welt nicht unter. Die Verantwortung für die Praxis könnte auch ein fremder Nachfolger übernehmen. Dr. Giesbert Schulz-Freywald Lerchesbergring 53 60598 Frankfurt am Main schulz-freywald@t-online.de Foto: privat Dr. Dirk Leisenberg Ringstraße 52b 36396 Steinau leisenberg@ak-ethik.de Foto: privat KOMMENTAR 2 IDEALERWEISE ÜBERNIMMT MAN DAS BESTE AUS BEIDEN WELTEN Der hier dargelegte Fall bietet in seiner Konstellation Konfliktpotenzial auf gleich mehreren Ebenen. Die besondere, in der Zahnmedizin aber durchaus nicht seltene Situation des Einstiegs des Sohnes oder der Tochter in die elterliche Praxis zur späteren Übernahme hebt den ohnehin unter Heilberuflern oft vorhandenen Generationenkonflikt auf eine zusätzliche, persönlich-emotionale Ebene. Prima vista liegt der Gedanke nahe, dass man an einem bestehenden, offensichtlich gut funktionierenden Praxiszm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2187) PRAXIS | 53

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