Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 6

ZAHNMEDIZIN | 37 ten Indikationen ausreichend erprobte Arzneimittel. Einschränkend ist zu erwähnen, dass für Schwangere aus ethischen Gründen keine randomisierten Studien vorliegen. Gleichwohl steigt die Zahl von Studien bei Schwangeren unter Medikation [Endicott und Haas, 2012]. Die Erkenntnisse zu Arzneimitteln in der Schwangerschaft haben in den vergangenen Jahrzehnten zwar ständig zugenommen, sind aber für die grundsätzliche Beurteilung der Sicherheit vieler Medikamente immer noch unzureichend. Somit ist ein „off label use“ in diesem Bereich relativ häufig [Kayser und Schäfer, 2017]. In einer Studie von Fisk und Atun wurde ermittelt, dass sich bis 2007 weltweit nur 17 Medikamente für werdende Mütter in der Entwicklung befanden [Fisk und Atun, 2008]. Neben der Möglichkeit, den behandelnden Gynäkologen zu kontaktieren, stehen den Zahnärzten außer Fachbüchern [Mörike et al., 2021; Schäfer et al., 2015] mittlerweile auch viele kostenlose und frei zugängliche internetbasierte Datenbanken zur Verfügung, die seriöse Informationsquellen darstellen. In erster Linie ist hier die von der Berliner Charité betriebene Webseite www.embryotox.de (im Folgenden: Embryotox) zu nennen, die auch zahnmedizinisch relevante Arzneimittel farbkodiert nach ihrer Sicherheit in der Schwangerschaft einordnet. Zusätzlich sind die Daten in einer App verfügbar. Inzwischen hat sich Embryotox zum größten europäischen Referenzzentrum für Arzneimitteltherapiesicherheit in der Schwangerschaft entwickelt [Dathe und Schäfer, 2019]. Medikationsrisiken in der Schwangerschaft Prinzipiell ist eine Schwangerschaft ein normaler und physiologischer Zustand, in dem keiner Patientin eine (zahn)ärztliche oder medikamentöse Therapie vorenthalten werden sollte, die sie benötigt [Giglio et al., 2009; Ouanounou und Haas, 2016]. Jedoch sollte wegen der potenziellen Gefahren jede Medikamentengabe bei Schwangeren einer strengen Indikationsprüfung unterliegen [Kiefer et al., 2019]. Es muss davon ausgegangen werden, dass fast alle Medikamente, die in der Schwangerschaft eingenommen werden, über die Plazenta auch den Embryo beziehungsweise Fetus erreichen [Schindler et al., 2010]. Die Plazenta stellt im Prinzip keine Schranke dar [Balogh, 2010]. Durch den Contergan-Skandal (Wirkstoff Thalidomid — ein Schlafmittel) wurde in den 1960er-Jahren in erschreckender Weise belegt, dass auch scheinbar harmlose Medikamente teratogen wirken können, das heißt von exogen die intrauterine Entwicklung beeinflussen, so dass Fehlbildungen oder bleibende funktionelle Anomalien des Kindes entstehen können [Paulus, 2011]. Im Hinblick auf Arzneimittelrisiken in der Schwangerschaft müssen die bekannten Hintergrundrisiken anDr. med. Bertram Stitz, Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe Hospital zum Heiligen Geist gGmbH Am Hospital 6, 34560 Fritzlar Foto: privat Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Andreas Neff, Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg FB 20 der Philipps-Universität Marburg Baldingerstr., 35043 Marburg Foto: privat PD Dr. med. Dr. med. dent. Frank Halling, Gesundheitszentrum Fulda, Praxis für MKG-Chirurgie / Plast. Operationen, Gerloser Weg 23a, 36039 Fulda und Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg, Baldingerstr., 35043 Marburg Foto: privat Abb. 1: Schematische Darstellung der Entwicklungsperioden, in denen der menschliche Embryo/Fetus durch exogene Noxen beeinflusst werden kann (hellblau: Perioden höherer Gefährdung; hellgrau: Perioden geringerer Gefährdung) Foto: [mod. nach Rath u. Friese, 2005,©Thieme] BEEINFLUSSUNG DES FETUS DURCH EXOGENE NOXEN zm113 Nr. 06, 16.03.2023, (435)

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=