Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 10

ZAHNMEDIZIN | 37 Pulpa noch von einer dünnen Dentinschicht bedeckt ist, besteht die Gefahr, dass Bakterien die weiten Tubuli durchqueren und zu lokalen Entzündungsreaktionen führen. Darüber hinaus bewirken Dislokationsverletzungen eine Minderdurchblutung der Pulpa, was die Chancen der Vitalerhaltung reduziert. Bei ungünstigen oder starken Krafteinwirkungen kann das GefäßNervenbündel am Apex gestaucht werden oder gar abreißen, was die Nekrose der Pulpa nach sich ziehen kann. Um die Chancen zur Vitalerhaltung bei Zahnunfällen zu optimieren, ist daher entscheidend, bereits bei der Erstversorgung die Weichen richtig zu stellen. Die Grundlage der folgenden Ausführungen zur Initialtherapie bilden die Handlungsempfehlungen der S2k-Leitlinie „Therapie des dentalen Traumas bleibender Zähne“ [AWMF, 2022]. Frakturverletzungen Schmelzinfraktion und Schmelzfraktur Als Folge einer koronalen Krafteinwirkung können Risse im Zahnschmelz (Infraktion) oder auf den Zahnschmelz beschränkte Frakturen auftreten. Da es sich dabei überwiegend um oberflächliche Schäden mit Abstand zur SchmelzDentin-Grenze handelt, ist das Risiko für die Zahnpulpa vergleichsweise gering. Bei Schmelzinfraktionen und Schmelzfrakturen sind im Regelfall keine speziellen Therapiemaßnahmen der Pulpa erforderlich. Restaurative Sofortmaßnahmen sind demzufolge – insofern ästhetisch vertretbar – nicht notwendig. Eine schonende Schliffkorrektur der vorhandenen Frakturflächen ist in der Regel ausreichend und adhäsive Restaurationen können zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen werden. Bei stark ausgeprägten Schmelzschäden kann durch Versiegelung mit einem Adhäsivsystem versucht werden, die Ausbreitung von Bakterien entlang von Mikrorissen in Richtung Pulpa sowie ästhetisch ungünstige Verfärbungen zu verhindern [Love, 1996]. Trotz der geringen Gefahr für die Zahnpulpa sollte deren Sensibilität in jährlichen Kontrolluntersuchungen überprüft werden, da Risse und Frakturen eine Eintrittspforte für Bakterien sein können. Kronenfraktur ohne Pulpabeteiligung Ist nicht nur der Zahnschmelz, sondern auch das Dentin von der Fraktur betroffen, besteht die Gefahr einer Infektion der Pulpa. Das freiliegende tubuläre Dentin stellt kein Hindernis für Bakterien aus der Mundhöhle dar, so dass diese ohne weiteres bis zur Pulpa vordringen können. Bei ausreichendem Abstand zur Zahnpulpa kann die Dentinwunde mit einem Adhäsivsystem versiegelt werden [Costa et al., 2003]. Ist die Restdentinstärke jedoch gering (< 0,5 mm). Dann ist eine indirekte Überkappung mit biokompatiblen Materialien wie Kalziumhydroxid-haltigen Präparaten oder hydraulischen Kalziumsilikatzementen ratsam [Costa et al., 2003]. Anschließend sollte eine bakteriendichte Abdeckung der Frakturfläche oder die definitive Restauration erfolgen, um die Pulpa vor weiteren Einflüssen zu schützen. Kronenfraktur mit Pulpabeteiligung Bei tiefen Kronenfrakturen besteht vor allem bei jungen Patienten ein hohes Risiko, dass das Pulpenkavum eröffnet und die Pulpa freigelegt wird. Neben der direkten Konfrontation mit oralen Bakterien kommt es häufig zu einer lokalen mechanischen Schädigung mit einem möglichen Verlust von Pulpagewebsanteilen. In diesem Fall ist es das vorrangige Ziel, die Vitalität der betroffenen Pulpa zu erhalten. Bei Schmelzinfraktionen und Schmelzfrakturen sind im Regelfall keine speziellen Therapiemaßnahmen der Pulpa erforderlich. Die biologischen Voraussetzungen für vitalerhaltende Maßnahmen sind günstig, da die Pulpa in der Regel keine Vorschädigung aufweist, etwa durch Karies. Allerdings können begleitende Dislokationsverletzungen die Durchblutung der Pulpa einschränken und die Chancen der Vitalerhaltung verringern [Bissinger et al., 2021]. Insbesondere bei Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum ist es von großer Bedeutung, die Pulpa ganz oder zm113 Nr. 10, 16.05.2023, (831) Prof. Dr. med. dent. Kerstin Galler Ph.D. Klinikdirektorin, Zahnklinik 1 – Zahnerhaltung und Parodontologie, Universitätsklinikum Erlangen Glückstr. 11, 91054 Erlangen Foto: UK Erlangen Ao. Univ.-Prof. i. R. Dr. med. Kurt Alois Ebeleseder Universitätsklinik für Zahnmedizin und Mundgesundheit Graz Abteilung für Zahnerhaltung, Parodontologie und Zahnersatz Billrothgasse 4, A-8010 Graz Foto: privat Prof. Dr. med. dent. Matthias Widbiller Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, Universitätsklinikum Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11, 93053 Regensburg Foto: UKR Empfehlung: Dentinwunden Empfehlungsgrad Konsensbasierte Empfehlung: Bei Kronenfrakturen mit freiliegendem Dentin soll die restaurative Therapie in erster Linie auf das optimale Abdichten der Dentinwunde ausgerichtet sein. Konsensstärke: starker Konsens

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