Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 14

ZAHNÄRZTLICHE MITTEILUNGEN | WWW.ZM-ONLINE.DE Deutscher Zahnärztetag Wie viel Medizin steckt in der Zahnmedizin? Und bleibt die qualitativ hochwertige Versorgung auch künftig noch finanzierbar? SEITE 32 Zahnärzte-Praxis-Panel Wie Sie die Daten der ZäPP-Erhebung zur besseren Einschätzung der betriebswirtschaftlichen Lage Ihrer eigenen Praxis nutzen können. SEITE 38 KZBV-VV in Mainz Die Delegierten finden klare Worte gegen die aktuelle Gesundheitspolitik und fordern ein starkes Bekenntnis der Politik zur Selbstverwaltung. SEITE 10 MENSCHEN MIT GEISTIGER BEHINDERUNG Olympic Smiles in Berlin AUSGABE 14 | 2023

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EDITORIAL | 3 Politik(un)verdrossenheit Athletes im Einsatz, davon 70 Zahnärztinnen und Zahnärzte und 204 Zahnmedizinstudierende. In unserer Titelgeschichte zeigen wir, wie etwaige Berührungsängste ganz schnell verschwunden waren. Ergänzt wird das Thema um weitere Artikel zur (zahn-)medizinischen Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung. Auch wenn schon viel passiert ist, gibt es immer noch genug zu tun, um die Versorgung weiter zu verbessern. Im zweiten Teil unserer Fortbildungsreihe zur Alterszahnmedizin geht es in dieser Ausgabe um die Prothetische Therapie beim älteren Patienten, um die Implantologie und um das Thema Polypharmazie. Darüber hinaus berichten wir vom Deutschen Zahnärztetag in Hamburg, der nach drei Pandemie-Jahren erstmals wieder in Präsenz stattgefunden hatte. Viel Spaß bei der Lektüre und nicht vergessen: Die nächste zm erscheint als Doppelausgabe erst wieder am 16. August. Bis dahin einen schönen und hoffentlich erholsamen Sommer. Sascha Rudat Chefredakteur Auf der Vertreterversammlung der KZBV in Mainz war die schlechte Stimmung mit Händen greifbar. Kaum jemand am Rednerpult ließ sich nicht über die Politik der aktuellen Bundesregierung, in persona Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, aus. So zielten denn auch die meisten Beschlüsse der VV gegen diese Gesundheitspolitik und deren Auswirkungen. Einmal mehr wurde deutlich, dass eine konstruktive Einbindung der Selbstverwaltung in die zahlreichen Gesetzgebungsverfahren offenbar für nicht erforderlich erachtet wird. Die Selbstverwaltungsorgane scheinen dem BMG unter Führung des SPD-Politikers Lauterbach vor allem eins zu sein: Lästig. Dies zeigt auch der geplante Umbau der gematik hin zu einer nationalen Agentur. Überhaupt das Thema TI: Manchmal muss man sich wirklich verwundert die Augen reiben, wie in diesem Bereich dieselben Fehler immer und immer wieder gemacht werden – mit den jeweils gleichen desaströsen Ergebnissen. Eine Lernkurve ist nicht erkennbar. Aber es wird immer fraglicher, ob der Dirigismus à la Lauterbach zum Erfolg führen wird. Zu viele Baustellen wurden und werden gleichzeitig im Alleingang aufgerissen. Aktuelles Beispiel ist die Krankenhausreform, für die man sich im BMG ein komplexes Modell ausgedacht hat, das derzeit auf massiven Widerstand der Länder stößt (Stichwort Versorgungsstufen). Man erinnert sich: An der Entwicklung des Fallpauschalensystems, das nicht unerheblich zum aktuellen Missstand der Kliniken beigetragen hat, war der jetzige Bundesgesundheitsminister dereinst maßgeblich beteiligt. Eng verbunden damit ist das nächste Lauterbachsche Großprojekt: Die Gesundheitskioske. Die erkennbaren Bestrebungen, eine dritte Säule ins Gesundheitswesen einzuziehen, die dann primär unter staatlicher Hoheit steht, sollte man genau beobachten. Hier könnte es zu massiven Verschiebungen in der Versorgung kommen. Aber der Blick auf das zerrüttete Verhältnis zur Bundesregierung sollte nicht zu allgemeiner Politikverdrossenheit führen. Denn auf Landesebene läuft die Zusammenarbeit der ärztlichen und zahnärztlichen Selbstverwaltungsorgane mit den jeweiligen Gesundheitsministerien oft sehr gut. Natürlich ist man auch dort nicht immer einer Meinung. Aber in vielen Ländern gibt es einen Dialog auf Augenhöhe und man nimmt sich gegenseitig ernst. Anders lassen sich die bestehenden komplexen Probleme auch nicht lösen. Das wird nur in Berlin nicht verstanden. Kommen wir zu etwas Positivem: Bei den Special-OlympicsWeltspielen im Juni in Berlin erreichte das Gesundheitsprogramm Healthy Athletes Rekordzahlen. Über 4.500 Athletinnen und Athleten nutzten die Gelegenheit, sich in bis zu sieben medizinischen Disziplinen untersuchen und beraten zu lassen. Auch im zahnmedizinischen Bereich, Special Smiles, war der Andrang groß. Das wäre nicht ohne den überragenden Einsatz von Freiwilligen möglich gewesen. 2.000 Volunteers aus 50 Ländern waren bei Healthy Foto: Lopata/axentis

4 | INHALT 28 BMG legt TI-Pauschalen fest Die Festlegung der Pauschalen wird durch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung scharf kritisiert: „Eine maßlos überzogene Sanktion!“ 43 Fortbildung „Alterszahnmedizin“ – Teil 2 Prothetische Therapie, Geriatrische Implantate und Effekte der Polypharmazie MEINUNG 3 Editorial 6 Leitartikel 8 Leserforum POLITIK 10 KZBV-Vertreterversammlung KZBV-Spitze positioniert sich klar gegen die aktuelle Gesundheitspolitik 28 TI-Pauschalen KZBV: „Das ist eine maßlos überzogene Sanktion!“ 29 Protestaktion der Zahnärzteschaft Sachsen-Anhalt „Faule Politik, faule Zähne“ 30 Aufruf zur Studienteilnahme „Y-Dent“ Warum haben Sie sich nieder-gelassen? 70 BARMER-Zahnreport 2023 Das oberste Prozent hat 35 Füllungen PRAXIS 38 ZäPP geht in die nächste Runde Profitieren Sie vom Benchmarking! ZAHNMEDIZIN 32 Deutscher Zahnärztetag inHamburg Die Medizin in der Zahnmedizin 43 Fortbildung „Alterszahnmedizin“ – Teil 2 44 Prothetische Therapie beim älteren Patienten 54 Geriatrische Implantate – großer Nutzen mit wenig Chirurgie 64 Polypharmazie – Implikationen für die Zahnmedizin Inhalt zm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1194)

INHALT | 5 70 BARMER-Zahnreport 2023 Die Mundgesundheit in Deutschland ist sehr ungleich verteilt – und korreliert mit dem Bildungsstand. Menschen mit hoher Krankheitslast haben bis zu 35 Füllungen. TITELSTORY 16 Zwischen Gänsehautmomenten und mangelnder Wertschätzung Bei den Special Olympics in Berlin wurden 2.425 Athletinnen und Athleten zahnmedizinisch gescreent. Doch wie sieht der zahnmedizinische Behandlungsalltag von Menschen mit geistiger Behinderung aus? Wie gut sind Praxen, Ärzte und Teams vorbereitet? TITELSTORY 16 Unterwegs bei Special Smiles Berührungsängste sind ganz schnell vergessen 20 Studie aus Witten/Herdecke und Marburg Wie Menschen mit geistiger Behinderung den Arztbesuch erleben 24 Stufenlose Zugänge, Orientierungshilfen, Gebärdensprache Wie barrierefrei sind Deutschlands Arztpraxen? GESELLSCHAFT 73 Medical Targeting Was die Werbeindustrie über unsere Krankheiten weiß MARKT 112 Neuheiten RUBRIKEN 26 News 53 Formular 62 Termine 75 Impressum 76 Bekanntmachungen 130 Zu guter Letzt zm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1195) Titelfoto: zm-sth Foto: katty2016 – stock.adobe.com

Eifel, Oldenburger Land, Vorpommern, Eichsfeld ... Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Auch wenn Deutschland vergleichsweise dicht besiedelt ist, so gibt es doch eine Vielzahl von ländlichen Regionen – wobei es hier natürlich auch noch Unterschiede gibt: Im „Speckgürtel“ einer Großstadt, Kreisstädte oder rein dörflich geprägte Regionen. Aber egal, ob Ost, West, Süd oder Nord – die Probleme der (zahn-)medizinischen Versorgung sind überall ähnlich. Der ländliche Raum hat ein großes Image-Problem. Während immer mehr ältere Kolleginnen und Kollegen dort in den Ruhestand gehen, siedelt sich der Nachwuchs lieber in den Großstädten an. Da wird dann – übertrieben gesagt – lieber die 50. Praxis in Berlin-Pankow aufgemacht und mit viel Aufwand um Patienten geworben, als ins brandenburgische Prenzlau zu gehen. Die Förderung von Niederlassungen in der Fläche war denn auch ein Themenschwerpunkt der Klausurtagung des Vorstands der Bundeszahnärztekammer Mitte Juni in Warnemünde. Zusammen mit der Gesundheitsministerin Mecklenburg-Vorpommerns, Stefanie Drese (SPD), und dem CDU-Bundestagsabgeordneten Dietrich Monstadt haben wir die Möglichkeiten diskutiert, den ländlichen Raum wieder attraktiver zu machen. Monstadt berichtete dabei von seiner Tochter und seinem Schwiegersohn, die gemeinsam eine Praxis auf dem Land in Mecklenburg-Vorpommern eröffnet haben und dies bis heute nicht bereuten. Neben einer hohen Lebensqualität durch naturnahes Wohnen und Arbeiten, kurzen Wegen sowie dankbaren Patientinnen und Patienten, wird den jungen Kolleginnen und Kollegen inzwischen vielerorts der sprichwörtliche rote Teppich ausgerollt. Es gibt zahlreiche Förderprogramme der Kammern und KZVen sowie der Kommunen, die Starthilfe geben. Praxen zum Übernehmen finden sich auch vergleichsweise einfach. Und nicht zu vergessen, dass die Verdienstmöglichkeiten im Vergleich zum städtischen Raum zumindest nicht schlechter sind – und das bei teilweise erheblich geringeren Kosten. Und die Patientenakquise kann man sich auch meist sparen. Aber natürlich darf man die Probleme, die es möglicherweise gibt, nicht verschweigen. Die Attraktivität einer Praxis auf dem Land steht und fällt auch mit dem Umfeld und dessen Infrastruktur. Manchmal sind es relativ banale Dinge, die eine große Bedeutung haben: Wie sieht es mit der Internet-Bandbreite aus? Wo ist die nächste Kita? Was für weiterführende Schulen gibt es? Welche Einkaufsmöglichkeiten hat man? Entscheidend ist oft auch, welche Möglichkeiten es für Partnerinnen und Partner, die nicht zahnärztlich tätig sind, gibt, in einer ländlichen Region zu arbeiten. Aber mit der Corona-Pandemie hat es einen gehörigen Schub in Sachen Homeoffice geben. Viele Arbeitsplätze lassen sich inzwischen problemlos von den Metropolregionen aufs Land verlagern. Auf diese Dinge können die Kammern und die KZVen natürlich kaum bis keinen Einfluss ausüben. Hier sind vielmehr die Landesregierungen und die Kommunen gefragt. Und mit ihnen stehen die zahnärztlichen Körperschaften in engem Austausch. Denn anders als auf Bundesebene ist das Verhältnis zu den Landesministerien meist sehr vertrauensvoll und konstruktiv. Ich kann jüngeren (und auch älteren) Kolleginnen und Kollegen deshalb nur empfehlen, sich die Möglichkeiten einer Niederlassung auf dem Land anzuschauen und mit den Kammern und KZVen zu sprechen. Ratsam ist sicherlich auch ein kollegiales Gespräch mit jemandem, der den Schritt gewagt hat. So kann man zu einer realistischen Einschätzung kommen. Es lohnt sich, diese Perspektive in den Blick zu nehmen. Dr. Romy Ermler Vizepräsidentin der Bundeszahnärztekammer Einfach mal aufs Land schauen! zm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1196) 6 | LEITARTIKEL Foto: Lopata/Axentis.de

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zm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1198) Leserforum Sehr geehrte Damen und Herren, bei Euren 10 Tipps für den Umgang mit auffälligen Patienten musste ich echt schmunzeln. Wir hatten einmal einen Patienten, der beschimpfte meine Mitarbeiterin am Telefon mit deutlichen Schimpfwörtern, weil er nicht schnell genug einen Termin – für eine nicht dringende Behandlung – bekam. Meine Mitarbeiterin legte daraufhin einfach auf. Aber dann kam der in die Praxis und beschimpfte mich im Beisein von vier Mitarbeiterinnen und zwei weiteren Patienten. Eine Anzeige führte zum folgenden Kommentar des Staatsanwalts: „Da Sie an dem Verhalten sicherlich nicht unschuldig sind, stelle ich das Verfahren ein.“ In einem anderen Fall kam es sogar zu Handgreiflichkeiten: Ein Patient griff eine Mitarbeiterin körperlich an, die Polizei nahm den Vorgang auf. Der Brief des Staatsanwalts: „Wegen der Geringfügigkeit dieses Vorfalls und wegen des geringen öffentlichen Interesses stelle ich den Fall ein.“ Vielleicht würde das Aushängen eines Bußgeldkatalogs etwas ändern? Denn im Moment passiert – meiner Erfahrung nach – leider viel zu wenig, um aggressive Patienten für ihr Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen. Dr. Said Abu-Aishah, Remscheid AGGRESSIVE PATIENTEN Vielleicht würde das Aushängen eines Bußgeldkatalogs etwas ändern? Zum Artikel „Umfrage in Sachsen-Anhalt: Sechs von zehn Zahnärzten erleben aggressive Patienten“ in zm 12/2023, S. 32–33. Die zm-Redaktion ist frei in der Annahme von Leserbriefen und behält sich sinnwahrende Kürzungen vor. Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch in der digitalen Ausgabe der zm und bei www.zm-online.de zu veröffentlichen. Bitte geben Sie immer Ihren vollen Namen und Ihre Adresse an und senden Sie Ihren Leserbrief an leserbriefe@zm-online.de oder an die Redaktion: Zahnärztliche Mitteilungen, Chausseestr. 13, 10115 Berlin. Anonyme Leserbriefe werden nicht veröffentlicht. Foto: ©Federico Rostagno - stock.adobe.com

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zm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1200) 10 | POLITIK KZBV-VERTRETERVERSAMMLUNG KZBV-Spitze positioniert sich klar gegen die aktuelle Gesundheitspolitik Auf der 2. Vertreterversammlung dieser Amtsperiode in Mainz zeigte sich der KZBV-Vorstand mit Blick auf die bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren kampfeslustig. Der neue KZBV-Chef Martin Hendges fand klare Worte zur aktuellen Marschrichtung der Gesundheitspolitik. Zur Eröffnung der zweitägigen KZBV-Vertreterversammlung am 21. und 22. Juni in Mainz hob der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) in seinem Grußwort die Bedeutung der Selbstverwaltung hervor. „Der Staat muss nämlich nicht alles regeln“, erklärte Hoch und ging in seiner Rede auch auf den Entschließungsantrag der Länder Rheinland-Pfalz, Bayern, Schleswig-Holstein und Hamburg zur stärkeren Regulierung von investorenbetriebenen MVZ (iMVZ) im Bundesrat am 16. Juni ein. Der Bundesrat hatte den Antrag mit großer Mehrheit angenommen. Hoch nannte die größtmögliche Transparenz über die Eigentumsverhältnisse von iMVZ „eine Grundvoraussetzung“. Eine besondere Rolle komme zudem der räumlichen Beschränkung zu. KZBV-Chef Martin Hendges dankte Hoch für die Gesetzgebungsinitiative. Und betonte zugleich, dass neben der räumlichen auch die fachliche Beschränkung bei der Zulassung erforderlich sei, um die Ausbreitung von iMVZ effektiv zu begrenzen. Hierzu sollte aus Sicht der KZBV der mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz für den zahnärztlichen Versorgungsbereich beschrittene Sonderweg konsequent weiterverfolgt werden. Er forderte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erneut auf, eine wirksame Gesetzgebung auf den Weg zu bringen. Hendges begrüßte darüber hinaus klar den später von den Delegierten verabschiedeten Entschließungsantrag zur stärkeren Regulierung von iMVZ. Dieser Antrag mit einem umfangreichen Maßnahmenkatalog zur Eindämmung von iMVZ sei „ein starkes Signal an den Bundesgesetzgeber“. „Aus den Erfahrungen der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode wissen wir, dass die Zeitpläne des Bundesministeriums für Gesundheit mit großen Unwägbarkeiten verbunden sind“, sagte Hendges in seiner anschließenden Rede. „Viele der teils hochkonfliktären Gesetzesvorhaben haben noch nicht das Licht der Welt erblickt. Für uns Vertragszahnärzte bedeutet dies, dass wir mit unseren Themen und Forderungen selbst offensiv nach vorne gehen!“ Hendges wirbt für „Zähne zeigen“-Kampagne Hendges verwies in diesem Zusammenhang auf die bundesweite KZBVKampagne „Zähne zeigen“, mit der die Zahnärzteschaft erfolgreich gegen die Kürzung der Mittel für die Parodontitis-Therapiestrecke und gegen weitere Kostendämpfungsmaßnahmen in der GKV mobilisiert. „Mit dem GKVFinanzstabilisierungsgesetz ist ein Gesetz in Kraft getreten, das die Versorgung gefährdet und diese in bestimmKZBV-Chef Martin Hendges machte in der Vertreterversammlung unmissverständlich klar, was er von der gegenwärtigen Gesundheitspolitik der Bundesregierung hält. Foto: Jan Knoff NEUER KZBV-VORSTAND OFFIZIELL IM AMT Im Rahmen der VV in Mainz wurden die Verträge des neuen KZBVVorstands finalisiert. Der neue Vorstand – Martin Hendges, Dr. Karl-Georg Pochhammer und Dr. Ute Maier – war bereits im März dieses Jahres von der VV gewählt worden, aufgrund von Neuregelungen in den Verträgen und der anschließenden Genehmigung durch das Bundesgesundheitsministerium als Aufsichtsbehörde hatten sich die Vertragsabschlüsse allerdings verzögert.

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12 | POLITIK zm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1202) ten Regionen ernsthaft infrage stellt. Unseren Patientinnen und Patienten werden die Auswirkungen des Gesetzes über Jahre schaden. Besonders fatal ist, dass der präventionsorientierten Parodontitis-Therapie die Finanzmittel entzogen werden.“ Hendges appellierte an Bundesgesundheitsminister Lauterbach, zumindest die Parodontitis-Therapie aus der Budgetierung herauszunehmen und die kurzsichtige Sparpolitik auf Kosten der Gesundheit der Patienten zu stoppen. Dabei stellte er klar: „Einen erneuten Frontalangriff auf die Zahnärzteschaft, auf die Versorgung unserer Patientinnen und Patienten, lassen wir uns nicht gefallen! Auch deshalb melden wir uns mit unserer Kampagne lautstark zu Wort.“ Eine klare Absage erteilte Hendges dem „systematischen Misstrauen gegenüber den Akteuren der Selbstverwaltung“. Die fortwährenden Angriffe seitens der Politik auf die Selbstverwaltungseienschmerzhaftundnurschwer zu ertragen. „Aber wir dürfen uns von diesen Angriffen nicht entmutigen lassen! Wir müssen standfest bleiben und jeden Tag von Neuem für die Selbstverwaltung als tragende Säule unseres Gesundheitswesens einstehen. Wir fordern ein klares Bekenntnis der Politik zum besonderen Wert der Selbstverwaltung. Wir fordern eine Rückkehr zu einem von gegenseitigem Vertrauen, Respekt und Kooperation geprägten Miteinander“, erklärte Hendges. Weitere Prüfrechte des Bundesrechnungshofs abgelehnt Dazu passe auch die bereits seit mehreren Legislaturperioden immer wieder erhobene Forderung des Bundesrechnungshofes nach gesetzlichen Prüfrechten bei der KZBV und den KZVen, bei KBV, KVen und beim G-BA. Inzwischen habe sich der Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestages diese Forderung zu eigen gemacht und das BMG aufgefordert, dem Bundesrechnungshof mit einem Gesetzentwurf genau diese Prüfrechte einzuräumen. „Wir haben den gesamten Forderungskomplex juristisch auf Herz und Nieren prüfen lassen und zwei Rechtsgutachten in Auftrag gegeben“, sagte Hendges. Diese kämen zu dem Ergebnis, dass die geforderten Prüfrechte nach aktueller Rechtslage nicht bestehen, insbesondere da die KZBV und die KZVen – anders als die Krankenkassen – nicht über Bundesmittel verfügten. Trotz dieser eindeutigen rechtlichen Bewertung rechne er damit, dass das BMG tatsächlich in Kürze einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen werde, sagte der KZBV-Chef. Doch die Einführung weiterer Prüfmechanismen wäre nicht nur rechtlich unhaltbar, sondern auch unzweckmäßig und unwirtschaftlich und würde mit hohen Bürokratielasten einhergehen. Pochhammer: Digitalisierungsstrategie ist „pure Anmaßung“ Der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Karl-Georg Pochhammer nahm in seiner anschließenden Rede die Digitalisierungsstrategie des BMG auseinander. „Etwas Revolutionäres sucht man dort vergebens“, konstatierte Pochhammer nüchtern. Mit Blick auf den tags zuvor bekannt gewordenen Referentenentwurf der beiden Digitalgesetze erklärte er, dass die elektronische Patientenakte (ePA) zum 15. Januar 2025 kommen solle, das E-Rezept solle schon ab dem 1. Januar 2024 zum Standard in der Arzneimittelversorgung werden. „Damit das beim E-Rezept gelingt, agiert das BMG in der bekannten Weise: Statt zu überzeugen, arbeitet es mit Sanktionen“, kritisierte Pochhammer. Zahnarztpraxen müssten gegenüber ihrer KZV nachweisen, dass sie in der Lage sind, E-Rezepte zu verordnen. WOLFGANGEẞER ZUM EHRENVORSITZENDEN DES KZBV-VORSTANDS GEWÄHLT Die Delegierten der 2. Vertreterversammlung (VV) in Mainz dankten dem langjährigen KZBV-Vorstandsvorsitzenden Dr. Wolfgang Eßer für seine herausragenden und bleibenden Verdienste für die Zahnärzteschaft und die Versorgung mit langem, stehendem Applaus. In seiner Laudatio würdigte der Vorsitzende der VV, Dr. Holger Seib, die zahlreichen Leistungen Eßers, der von 2005 bis 2013 zunächst stellvertretender Vorsitzender und von 2013 bis 2023 Vorsitzender des KZBV-Vorstands war. Eßer habe „maßgeblichen Anteil daran, dass die KZBV als starker und respektierter Akteur wertvolle Beiträge zur Versorgungsverbesserung und zur Verbesserung der Mund- und Allgemeingesundheit in Deutschland geleistet hat“, erklärte Seib. Zuvor hatten die Delegierten einstimmig eine Ehrenordnung beschlossen, durch die es möglich wurde, Eßer zum Ehrenvorstandsvorsitzenden zu machen. Eßer dankte den Delegierten sichtlich bewegt im Anschluss in einer sehr persönlichen Rede für die Ehrung. „Ich habe großes Glück gehabt, in einer Zeit arbeiten zu können, in der wir als Selbstverwaltung mit unserer Expertise geschätzt waren, uns Respekt entgegengebracht wurde und uns der Raum gegeben wurde zu gestalten“, sagte Eßer mit Blick auf das aktuell schwierige Verhältnis zur Bundesregierung. Gleichzeitig wünschte er dem neuen KZBV-Vorstand viel Glück und Erfolg für die weitere Arbeit. Zu seinem Nachfolger war in der konstituierenden VV im März Martin Hendges gewählt worden. Foto: KZBV_Jan Knoff

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14 | POLITIK zm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1204) Andernfalls werde die Vergütung pauschal um ein Prozent gekürzt – und das zwei Monate nach Verkündigung des Gesetzes, also eventuell auch vor dem 1. Januar 2024. Es sei zudem festgelegt worden, dass es keine stufenweise Einführung des E-Rezepts mehr geben werde. „Stattdessen gibt es am 1. Januar 2024 einen Big Bang. Dann müssen alle Zahnarzt- und Arztpraxen das ERezept nutzen“, sagte Pochhammer. Zur ePA sagte er weiter: „Damit keine Missverständnisseentstehen:Diestarke Fokussierung des BMG auf die ePA ist richtig. Aber wenn das BMG jetzt schon wieder zurück auf Los geht, dann sollten wir gründlich arbeiten und durchdachte Konzepte und Regelungen entwickeln – vor allem für die Befüllung, Zugriffssteuerung und die Forschungsdatenfreigabe.“ Heftige Kritik übte Pochhammer an der Verstaatlichung der gematik. „Begründet wird das allen Ernstes damit, die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben und den von Partikularinteressen getriebenen Stillstand der Einführung medizinischer Anwendungen zu beenden. So denkt das BMG über die Selbstverwaltung.“ Deutlicher könne das BMG nicht zum Ausdruck bringen, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens kein Gemeinschaftsprojekt mehr sei. „So wird aus der Digitalisierungsstrategie pure Anmaßung“, erklärte Pochhammer. sr Die Vertreterversammlung fasste mit großer Mehrheit oder einstimmig eine Reihe von Beschlüssen – unter anderem zur TI. Diese finden Sie hier: KZBV-Vize-Chef Dr. Karl-Georg Pochhammer sieht die Selbstverwaltung bei der TI-Entwicklung inzwischen außen vor. Foto: Jan Knoff „ES BRAUCHT EIN KLARES BEKENNTNIS DER POLITIK ZUR SELBSTVERWALTUNG!" In einer einstimmig beschlossenen Resolution forderten die Delegierten der KZBV-Vertreterversammlung die Politik auf, die Selbstverwaltung als tragende Säule des Gesundheitswesens wieder adäquat in die politischen Prozesse einzubinden. „Die Selbstverwaltung ist eine tragende Säule unseres Gesundheitswesens", heißt es wörtlich in der in Mainz verabschiedeten Resolution. Sie stehe für eine besondere Sachnähe: „nah am Versorgungsgeschehen, nah an den Problemen vor Ort". Neben ihrer hohen Fachkompetenz lebe sie von der Identifikation und dem besonderen Verantwortungsbewusstsein ihrer Mitglieder, was sich auch unter den schwierigen Rahmenbedingungen der Pandemie gezeigt habe, „als sich die Selbstverwaltung mit schnellen, unkomplizierten und wirkungsvollen Entscheidungen als unerlässlicher Partner bei der Krisenbewältigung erwiesen hat". Ungeachtet dessen werde die Aufgabenteilung von der Politik seit Jahren Schritt für Schritt von der Selbstverwaltung in Richtung des Staates verschoben, kritisiert das Zahnärzteparlament. Dass dabei auch die Handlungsmöglichkeiten der zahnärztlichen Selbstverwaltung immer weiter beschnitten und im Gegenzug die Aufsichtsrechte und Entscheidungsbefugnisse des Bundes ausgeweitet werden, schwäche die Selbstverwaltung auf allen Ebenen und mache ein Engagement auch für die nachfolgenden Generation mehr und mehr unattraktiv. Mit der Schwächung der Selbstverwaltung werde zugleich zunehmend auch die Freiberuflichkeit als „wesentliche Säule des Mittelstands, unserer Gesellschaft und unserer Demokratie" infrage gestellt. Die Vertreterversammlung der KZBV fordert die Bundesregierung daher auf, sich wieder eindeutig und klar zum besonderen Stellenwert der Selbstverwaltung und der Freiberuflichkeit für unser Gesundheitswesen zu bekennen und zu einem von gegenseitigem Vertrauen, Respekt und Kooperation geprägten Miteinander zurückzukehren", heißt es im Wortlaut der Resolution. Auch „die systematische Ausgrenzung aus Entscheidungsprozessen und die in diesem Zusammenhang fortgesetzte Diffamierung der Selbstverwaltung und ihrer Vertreter als 'Lobbyisten'" müssten ein Ende finden „Bei der Besetzung von Gremien und Regierungskommissionen sowie in Gesetzgebungsverfahren ist die Expertise der Selbstverwaltung, wie dies über Jahrzehnte gemeinsamer Konsens mit dem Bundesgesundheitsministerium war, wieder frühzeitig und ernsthaft einzubinden.“ ck

BVAZ-Information! Original ChKM – Lösung nach Prof. Walkhoff wieder lieferbar Die Weiterproduktion des in der Endodontie überaus wirksamen und nebenwirkungsarmen ChKMs steht in den Sternen. Diesmal dauert der Produktionsstopp schon so lange, dass sämtliche Depots ausverkauft sind. Nachdem den BVAZ zahllose Zuschriften erreicht haben, in denen erfolgreiche Anwender mehr oder minder verzweifelt nach vergleichbar potenten und gleichzeitig nebenwirkungsarmen Desinfektionsmitteln fragten, um die Kontinuität ihrer hohen endodontischen Erfolgsquote zu sichern, haben wir gesucht und gefunden. In Österreich gibt es einen Apotheker, der sein Grundhandwerk versteht und in der Lage ist, eine Lösung nach der Original-Rezeptur herzustellen und auch nach Deutschland zu liefern. Die Jodoformpaste nach Walkhoff und zahlreiche andere zahnärztliche Spezialitäten, deren Produktion von den großen Playern eingestellt wurde, liefert er auf Wunsch auch. Einfach per Mail den Katalog anfordern. Darin finden Sie auch alle Infos zu den aktuellen Lieferbedingungen, Versandkosten und Preisen. Apotheke zum goldenen Engel Mag. pharm. Jörg Schmidt e.U. Griesgasse 12 A-8020 Graz Österreich Telefon 0316/712028 Fax 0316/712028-4 E-mail: bestellung@apogoldengel.at Es gibt zwar momentan keine Lieferbeschränkungen, aber wir bitten, bei der Erstbestellung maximal zwei Fläschchen ChKM à 10 ml zu bestellen, um die Kapazitäten von Mag. Schmidt nicht zu sprengen. Der BVAZ ist übrigens nicht umsatzbeteiligt. Allgemeinzahnärzte – Mehr als nur Spezialisten info@bvaz.de - www.bvaz.net Berufsverband der Allgemeinzahnärzte in Deutschland e.V.

16 | TITEL UNTERWEGS BEI SPECIAL SMILES Berührungsängste sind ganz schnell vergessen Das Gesundheitsprogramm Healthy Athletes erreichte bei den Special-Olympics-Weltspielen in Berlin Rekordzahlen. Über 4.500 Athletinnen und Athleten nutzten die Gelegenheit, sich in bis zu sieben medizinischen Disziplinen untersuchen und beraten zu lassen. Auch im zahnmedizinischen Bereich, Special Smiles, war der Andrang groß. Klar, die benutze ich ganz oft. Zu Hause, auf der Arbeit – ich habe immer welche dabei“, antwortet der junge Basketballer aus Puerto Rico auf die Frage, ob er Zahnseide kenne. Entsprechend gut ist seine Mundgesundheit und das zahnmedizinische Screening in der schmalen Untersuchungsbox im Special-Smiles-Bereich macht er unbefangen mit. Der Tischtennisspielerin aus Hongkong, die nach ihm an der Reihe ist, fällt es schwerer, auf dem Behandlungsstuhl Platz zu nehmen. Mit gekräuselter Stirn und zusammengezogenen Augenbrauen schaut sie in die Runde. Sie scheint Angst zu haben. „Ist alles okay?“, fragt ihre Betreuerin. Die junge Frau schüttelt den Kopf und antwortet etwas auf Kantonesisch. Die Betreuerin übersetzt es für das zahnärztliche Team ins Englische: „Ihr fehlt ihre Mutter, die sie normalerweise zum Zahnarzt begleitet. Außerdem findet sie die Geräusche, die die Geräte machen, schrecklich.“ Zahnarzt Torsten Kotyra, der das Screening mit seiner ZFA Lena Augustin leitet, kann die Athletin schnell beruhigen: „Ich will heute nur in den Mund schauen. Sonst passiert nichts. Keine Geräte. Wollen wir starten?“ Die junge Frau öffnet den Mund und Kotyra kann den DMFT-Index erheben. Die Ergebnisse trägt Augustin via Tablet in ein digitales Formular ein. Im Rahmen des Screenings wird außerdem abgefragt, ob die Athletinnen und Athleten bei ihrer Familie oder in einer Wohneinrichtung leben, wie oft sie die Zähne putzen, ob sie eine elektrische oder eine Handzahnbürste benutzen und wann die letzte zahnärztliche Untersuchung stattgefunden hat. Diese statistischen Daten sollen Aufschluss über die zahnmedizinische Versorgung von Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen geben und als wichtige Grundlage im gesundheitspolitischen Diskurs herangezogen werden können. Schnell steht fest: Auch die Zähne der Hongkongerin sind in einem guten Zustand. Zum Abschluss überreicht Kotyra ihr eine Medaille und dankt ihr, dass sie teilgenommen hat. Die Sportlerin bedankt sich ebenfalls und steht auf – nun mit einem Lächeln im Gesicht. „Ich bin stolz auf meine gesunden Zähne“, sagt sie noch schnell, verbeugt sich kurz und läuft dann zu ihrem wartenden Team. Crashkurs in Kommunikation Am Eingang zu Special Smiles, das zusammen mit den sechs anderen medizinischen Disziplinen im hochmodernen CityCube auf dem Berliner Bei jedem Screening im Special-Smiles-Bereich des Gesundheitsprogramms Healthy Athletes bei den Special-Olympics-Weltspielen 2023 in Berlin wurde der DMFT-Status erhoben – ein Datenschatz, der zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen beitragen soll. Foto: Stefan Holtzem | holtzem.com zm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1206)

TITEL | 17 Messegelände untergebracht ist, registriert sich gerade eine große Gruppe von Athletinnen aus Bangladesch. Sie müssen einen Moment warten, bevor sie zur ersten Station, dem Zahnputzbrunnen der LAG Berlin, weitergehen können. Dort sind alle Plätze mit Sportlerinnen und Sportlern belegt. Es ist eine bunte Mischung: Uruguay, Germany, Argentina, Australia, Poland ist auf den verschiedenfarbigen Trikots zu lesen. Gemeinsam putzen sie unter Anleitung von zwei ehrenamtlichen Helferinnen ihre Zähne. Danach geht es in den Kariestunnel und von dort aus an einen der insgesamt zehn Untersuchungsplätze, die sich an den grauen Betonwänden aneinanderreihen. An jeder Box ist auf einem Blatt Papier vermerkt, welche Sprachen vom Team gesprochen werden. Zahnmedizinstudent René Piekarski aus Witten/Herdecke kann hier seine Polnischkenntnisse zum Einsatz bringen. Der 27-Jährige engagiert sich zum ersten Mal bei Special Smiles und ist für insgesamt vier Tage auf dem Berliner Messegelände im Einsatz. „Heute ist mein letzter Tag“, stellt er mit Bedauern fest. „Ich konnte einiges von dem einsetzen, was ich an der Uni gelernt habe, in Witten/Herdecke gibt es ja einen Lehrstuhl für Behindertenorientierte Zahnmedizin.“ Trotz seiner Vorkenntnisse sei Special Smiles ein Crashkurs in Sachen Kommunikation mit Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen für ihn gewesen. „Dabei habe ich vor allen Dingen gelernt, dass es gut ist, auf mein Bauchgefühl zu hören. Aus dem Bauch heraus kommt für mich die Leichtigkeit, die einen die Berührungsängste vergessen lassen.“ Auch Dr. Taylor Velasquez hat heute seinen letzten Tag bei Special Smiles. Für den 32-jährigen Zahnarzt geht es zurück nach Mesa im US-Bundesstaat Arizona, wo er an der Arizona School of Dentistry and Oral Health lehrt. Für Velasquez sind die Weltspiele in Berlin keine Premiere. Er engagiert sich seit seinem 18. Lebensjahr für Special Olympics. „Ich habe zwei jüngere Brüder, die autistisch sind, einer von ihnen tritt bei Special-Olympics-Wettkämpfen an“, erzählt er. Für seine Entscheidung, Zahnmedizin zu studieren, sei der Autismus seiner Brüder ausschlaggebend gewesen: „Beide hassten es, zum Zahnarzt zu gehen, als sie jünger waren. Sie konnten die Geräusche der Behandlungsgeräte nicht ausstehen und mochten es nicht, angefasst zu werden und so verletzlich zu sein.“ Aus den Erfahrungen seiner Brüder hat Velasquez viel über die Behandlung von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung gelernt. Sein Tipp: „Man sollte zm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1207) Zahnmedizinstudent René Piekarski aus Witten/Herdecke erklärt einem Athleten, was beim zahnmedizinischen Screening passieren wird. Foto: zm-sth Volunteer Dr. Taylor Velasquez aus den USA hat zwei autistische Brüder, für die der Zahnarztbesuch großen Stress bedeutet. Bei Special Smiles nahm er sich daher für alle Athletinnen und Athleten viel Zeit zum Kennenlernen. Foto: zm-sth Zahnärztin Luise Winter (l.) überzeugte Athletin Vanessa Giesenberg (r.) bei den Nationalen Spielen von Special Olympics Deutschland, Special Smiles auszuprobieren. Bis dahin hatte sie immer einen großen Bogen darum gemacht. Foto: zm-sth

18 | TITEL zunächst herausfinden, welche Art der Kommunikation funktioniert: Viel oder wenig sprechen? Sind Termine am Morgen oder am Nachmittag besser? Es kann sein, dass man erst nach einigen Terminen zum eigentlichen Behandeln kommt. Wenn man eine Praxis führt, kann das aus betriebswirtschaftlicher Sicht frustrierend sein.“ Unzählige Gänsehautmomente Events wie Special Olympics sind aus Sicht des US-Zahnarztes ein guter Startpunkt, um Berührungsängste mit Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen abzubauen. Darüber hinaus seien die Veranstaltungen eine unheimliche persönliche Bereicherung: „Ich konnte hier jeden Tag sehen, dass alle Volunteers Freude aus ihrem Engagement ziehen.“ Auch aufseiten der Athletinnen und Athleten sei die Stimmung gut gewesen. „Während meines Einsatzes hier habe ich niemanden erlebt, der ängstlich zum Screening gekommen ist.“ Unterschiedliche Berichte habe er hingegen darüber gehört, welche Erfahrungen die Athletinnen und Athleten in ihren Heimatländern gemacht hätten. Für viele sei eine regelmäßige zahnmedizinische Betreuung zu Hause leider nicht möglich. Dementsprechend habe er auch Menschen mit einer sehr schlechten Mundgesundheit gesehen. Taylor Velasquez packt seine Instrumente zusammen und dreht eine letzte Runde durch den Special-SmilesBereich. Besonders herzlich fällt die Verabschiedung von Luise Winter aus. Die angestellte Zahnärztin arbeitet seit 2020 einen Tag pro Woche für Healthy Athletes in Sachsen. Bei den Weltspielen koordiniert die 26-Jährige aus Dresden als Key Volunteer alle Freiwilligen bei Special Smiles und hat dafür ihren Sommerurlaub investiert — was sie nicht bereut. „Der Kontakt mit den Athletinnen und Athleten ist einfach inspirierend. Was sie leisten, wie sie für ihre Belange einstehen und welches Selbstvertrauen sie durch Special Olympics entwickeln, beeindruckt mich immer wieder“, erzählt sie begeistert. „Es klingt vielleicht kitschig, aber ich erlebe hier Gänsehautmomente am laufenden Band.“ Die Kollegin das sagen zu hören, freut Dr. Christoph Hils, Clinical Director Special Smiles. „Mir ist es sehr wichtig, dass nicht nur die Sportlerinnen und Sportler glücklich hier rausgehen, sondern auch die Kolleginnen und die Kollegen“, erklärt er. Viele, die zum ersten Mal dabei sind, kämen zunächst mit einem mulmigen Gefühl, weil sie nicht wüssten, was sie erwartet. „Aber nach den Tagen hier ist diese Angst verschwunden.“ Mutiger Neuanfang Nach einer ruhigen Phase während der Mittagszeit füllt sich der HealthyAthletes-Bereich am Nachmittag wieder. An den Untersuchungsplätzen bei Special Smiles herrscht reger Andrang. Etwas abseits vom Zahnputzbrunnen unterhält sich Luise Winter mit einer Bekannten, Vanessa Giesenberg. Die 37-jährige Bremerin ist schon oft als Radfahrerin bei Special Olympics angetreten, bei den Weltspielen in Berlin ist sie jedoch als Reporterin in der inklusiven Redaktion im Einsatz. Dass zm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1208) Special Smiles soll eine positive Erfahrung für alle Teilnehmenden sein, auch für die Zahnärztinnen und Zahnärzte. Das ist Dr. Christoph Hils, Clinical Director Special Smiles, besonders wichtig. Foto: zm-sth 4.520 Athletinnen und Athleten nahmen im Laufe der Weltspiele die Gelegenheit wahr, sich bei Healthy Athletes untersuchen zu lassen. Foto: zm-sth HEALTHY ATHLETES IN ZAHLEN Diese Ergebnisse erzielte das Special-Olympics-Gesundheitsprogramm: „ insgesamt 4.520 teilnehmende Athletinnen und Athleten „ 15.353 Screenings in allen sieben Disziplinen „ 2.425 Athletinnen und Athleten aus 160 Ländern bei Special Smiles „ 322Teilnehmende erhielten eine Empfehlung für eine dringend notwendige zahnmedizinische Weiterbehandlung im Heimatland „ 30 Athletinnen und Athleten wurden wegen einer akuten zahnmedizinischen Notsituation (zum Beispiel Abszess, Zahnfraktur) in Berliner Praxen behandelt „ 2.000Volunteers aus 50 Ländern waren bei Healthy Athletes im Einsatz, davon 70 Zahnärzte und Zahnärztinnen und 204 Zahnmedizinstudierende

TITEL | 19 Medizinische Exklusiv-Zahncreme mit Natur-Perl-System Dr. Liebe Nachf. GmbH & Co. KG D-70746 Leinfelden-Echterdingen www.pearls-dents.de/zahnaerzte 1 Klinische Anwendungsstudie unter dermatologischer und zahnmedizinischer Kontrolle, durchgeführt von dermatest 11/2021 2 Messmethode „Züricher Modell“. Pearls & Dents bisher: RDA 32 Hocheffektiv und ultrasanft – die neue Pearls & Dents Jetzt weiter optimiert: ➜ ohne Titandioxid: Natürlichkeit, die man sehen kann ➜ hocheffektive Reinigung: 86,6 % weniger Plaque1 ➜ ultrasanfte Zahnpflege: RDA282 ➜ optimaler Kariesschutz mit Doppel-Fluorid-System1.450ppmF ➜ 100 % biologisch abbaubares Natur-Perl-System Besonders geeignet ➜ bei erhöhter Belagsbildung (Kaffee, Tee, Nikotin, Rotwein) und für Spangenträger Hocheffektiv und ultrasanft – die neue Pearls & Dents et Jetzt weiter optimiert: ohne Titandioxid: Natürlichkeit, die man sehen kann hocheffektive Reinigung: 86,6 % weniger Plaque ultrasanfte Zahnpfl ege: RDA 28 optimaler Kariesschutz mit 1.450 ppmF 100 % biologisch abbaubares Kostenlose Proben anfordern unter: bestellung@pearls-dents.de, Betreff: „Zahnärztliche Mitteilungen“ sie so entspannt im Special-SmilesBereich steht, hätte sie vor einem Jahr nicht für möglich gehalten. Aufgrund schlechter Erfahrungen als Patientin hatte sie um den zahnmedizinischen Bereich immer einen großen Bogen gemacht – und erklärt dann warum. „Ich wurde während einer Behandlung einmal festgehalten“, erzählt sie. „Ich hatte Angst. Ich habe gezittert und geschwitzt. Ich wollte einfach nur schnell raus. Danach war ich traurig und enttäuscht, weil es nicht geklappt hat. Und auch ein bisschen sauer. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Zahnärztinnen und Zahnärzte unsere Bedürfnisse kennen und wissen, wie man mit uns umgeht und wo die Grenzen sind.“ Ihre Angst überwand Giesenberg schließlich 2022 bei den Nationalen Spielen von Special Olympics Deutschland in Berlin. „Zusammen mit meiner Betreuerin konnte Luise mich überreden in den Special-Smiles-Bereich zu kommen. Alle waren so freundlich und mir wurde alles erklärt, auch in Leichter Sprache, was bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung ganz wichtig ist“, erinnert sie sich. Nach dieser positiven Erfahrung suchte sie sich mit Erfolg eine neue Zahnärztin. Ihr vertraut sie und konnte so die Sanierung ihres Gebisses angehen — denn schöne Zähne wünschte sich die Bremerin schon lange. „Ende des Jahres bin ich damit durch und dann geht das Leben neu los. Dann kann ich wieder richtig gute, feste Sachen essen. Ich habe mehr Lebensfreude, ich kann lächeln.“ Um das zu feiern, plant sie schon jetzt eine „Zahn-Party“. Als sie davon erzählt, bricht aus ihr heraus, was man nur als Freude pur beschreiben kann. Sie hüpft auf dem grauen Teppich im Special-Smiles-Bereich auf und ab, strahlt und klatscht in die Hände, während hinter ihr am Eingang die nächsten Athletinnen und Athleten begrüßt werden. sth Wertschätzung zeigen: Am Ende jedes Screenings wurde den Athletinnen und Athleten eine Medaille für die erfolgreiche Teilnahme an Special Smiles überreicht. Foto: zm-sth

20 | TITEL zm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1210) STUDIE AUS WITTEN/HERDECKE UND MARBURG Wie Menschen mit geistiger Behinderung den Arztbesuch erleben Auf welche Hürden stoßen Menschen mit geistiger Behinderung beim Arztbesuch, welche Hilfen erfahren sie? Zusammen mit der Ärztekammer Nordrhein haben Forscher aus Witten/Herdecke und Marburg die Patienten selber, aber auch begleitende Angehörige und die behandelnden Mediziner befragt. In die Querschnittstudie aufgenommen wurden Erwachsene mit geistiger Behinderung aus drei Werkstätten in NRW. Im Fokus stand der Zugang zur ambulanten Versorgung aus Sicht der Betroffenen, ihrer Angehörigen und ihrer Hausärzte. Dazu wurden drei Fragebögen entwickelt, einer für jede Perspektive. Die Datenerhebung erfolgte von Februar bis Dezember 2016. Bei einer Teilnahmerate von 19,3 Prozent lagen von allen befragten 940 Personen mit geistiger Behinderung am Ende 136 Fragebögen vor, dazu 176 von deren Angehörigen. Die ProbandInnen waren im Mittel 40 Jahre alt und zu gut 60 Prozent männlich. Über 40 Prozent wohnten bei ihren Angehörigen, 30 Prozent in einem Heim und 15 Prozent im Betreuten Wohnen. Ihre Beschwerden teilen geistig Behinderte demnach meist ihren Angehörigen mit, die sie der Befragung zufolge oft zum Arzt begleiten – meist in Worten, zu einem Prozent in Gebärdensprache. Doch auch Gesten und Blicke sind Ausdrucksmittel, ebenso Körperreaktionen oder Lautieren. Barrieren sind eher organisatorischer als räumlicher Natur. Die Behandlungssituation ist teilweise durch Ängste, Unruhe oder auch das Nichtzulassen von Untersuchungen erschwert. Dabei unterscheidet sich die Sicht der Probanden kaum von der ihrer Angehörigen. Über 30 Prozent der Angehörigen bemängeln, dass die Praxen nie oder selten Informationsmaterial in Leichter Sprache auslegen. Die Hausärzte bestätigen die geringe Rolle dieser Hilfen: Solches Material gibt es der Studie zufolge nur in 7,3 Prozent der Praxen, noch dazu werden vorhandene Vermittlungshilfen in Wort und Bild selten eingesetzt. Denn in der Behandlungssituation fühlen sich 90 Prozent der Ärzte sicher, 65 Prozent meinen, Äußerungen und Anliegen der Patienten immer zu verstehen. 95 Prozent sehen auch bei ihren Mitarbeitenden gute Kenntnisse im Umgang. Stark nachgefragt, aber selten parat: Hilfen in Leichter Sprache Fast 35 Prozent der Angehörigen gaben an, dass sie beim letzten Praxisbesuch den Termin noch am selben Tag erhalten haben, knapp 24 Prozent binnen einer Woche und 20 Prozent in einem Monat. Für 13 Prozent ist die Wartezeit In Deutschland gibt es nur wenige Arbeiten zu den Barrieren in der medizinischen ambulanten Versorgung beim Zugang und im Untersuchungsablauf von Menschen mit geistiger Behinderung, die Betroffenen selbst kamen bisher kaum zu Wort. Foto: Kawee_stock.adobe.com

TITEL | 21 Das therapeutische Füllmaterial – ideal bei direkter und indirekter Überkappung und vielen weiteren Indikationen NEU Caries profunda? Mit Biodentine™können Sie sich problemlos der Pulpa nähern. bioaktiv & biokompatibel antimikrobiell dichte Versiegelung Alle Vorteile von Biodentine™ in einer neuen e erience Septodont GmbH Felix-Wankel-Str. 9, 53859 Niederkassel, Deutschland Telefon: +49 (0) 228 971 26-0 · E-Mail: info@septodont.de · www.biodentinexp.de All-in-one Kartusche direkt in die Kavität applizierbar in zwei Größen erhältlich

22 | TITEL zu lang: 40 Prozent hatten keine oder höchstens 15 Minuten Wartezeit, bei 23 Prozent waren es mehr als 30 Minuten. Im vergangenen Jahr mussten 18 Prozent der Angehörigen einen Arzttermin kurzfristig absagen, meist wegen einer Terminkollision, aufgrund der schlechten gesundheitlichen Verfassung des Patienten oder weil eine Begleitperson fehlte. Insgesamt sind fast 80 Prozent der befragten Probanden mit ihren Ärzten zufrieden und mehr als die Hälfte verstehen, was sie ihnen sagen, weitere 35 Prozent zumindest teilweise. Gut aufgehoben fühlen sich fast drei Viertel. Nach dem Arztbesuch geht es 70 Prozent besser, genauso viele halten sich angetroffene Vereinbarungen. Aus Sicht der Angehörigen treten Schwierigkeiten im Verlauf der Behandlung beim Facharzt am häufigsten bei Frauenärzten (22 Prozent), Zahnärzten (19 Prozent) und Augenärzten (18 Prozent) auf. In der Regel aufgrund von Verständigungsproblemen, Ängsten und Unruhe der Patienten. Am meisten Angst haben Patientinnen beim Frauenarzt: Fast 12 Prozent verweigern die Untersuchungen, auch Schmerzen und fehlendes Vertrauen werden als Probleme benannt. Über alle Facharztgruppen hinweg werden 5 bis 10 Prozent der Untersuchungen aufgrund von Schwierigkeiten nicht durchgeführt. Den Mehraufwand sehen viele Ärzte nicht adäquat vergütet Den Angehörigen zufolge werden Patienten am ausführlichsten beim Hausarzt (76 Prozent) und Zahnarzt (74 Prozent), seltener beim Orthopäden (58 Prozent) und Augenarzt (62 Prozent) beraten. Insgesamt beurteilen sechs von zehn die ambulante Versorgung als sehr gut oder völlig ausreichend. Für besonders gut halten sie die Terminabsprachen, die Offenheit im Umgang mit Menschen mit geistiger Behinderung und die Beratung. Die verfügbare Zeit der Ärzte, die Qualität der Diagnostik und die Wartezeit findet nur ein Viertel besonders gut. Ein Drittel der Angehörigen war jedoch im vergangenen Jahr mit der ambulanten medizinischen Versorgung unzufrieden, insbesondere mit der Praxiswartezeit und der Zeit für das Arztgespräch. Sie fühlten sich nicht ernst genommen oder erlebten Mitarbeiter als unhöflich und respektlos oder sie hielten die Wartezeit bis zum Termin für zu lang. Über 16 Prozent aller Angehörigen wollten sich darüber beschweren, was 7 Prozent auch taten. Die Vorsorgemaßnahmen der gesetzlichen Krankenkassen zur Krebsfrüherkennung sind bei acht von zehn Angehörigen bekannt. Präventive und gesundheitsförderliche Angebote kennen nur rund 60 Prozent. Schwierigkeiten, erfahrene Mediziner zu finden, geben sieben von zehn Angehörigen an. Auf der anderen Seite halten knapp 93 Prozent der Ärzte den GesundheitsCheck-up ab 35 Jahren und fast 73 Prozent auch Präventionskurse für die Patientengruppe für sinnvoll, aber nur 49 Prozent informieren ihre Patienten auch über diese Kurse. Gut 70 Prozent beschreiben ihre Praxisräumlichkeiten als barrierefrei und 54 Prozent als technisch eingerichtet für die besonderen Untersuchungsanforderungen, 64 Prozent bieten Hausbesuche an. Für 58 Prozent der Hausärzte ist die Untersuchung von Menschen mit geistiger Behinderung eine große zeitliche Belastung. Fast sieben von zehn geben an, wöchentlich oder täglich beruflich Kontakt zu diesen Patienten zu haben. Mehr als ein Viertel hat sich spezifisch weitergebildet. Den Mehraufwand für die Behandlung beziffern über 50 Prozent mit bis zu einem Viertel, weitere fast 30 Prozent mit bis zur Hälfte und 18 Prozent sogar noch höher. 95 Prozent sehen das in der Vergütung nicht adäquat berücksichtigt. Die Erhebung zeigt den Autoren zufolge, wie wichtig Angehörige in ihrer Vermittlerfunktion sind. Als große Hilfe sticht der Wunsch hervor, kompetente Mediziner leichter zu finden oder sogar in Versorgungszentren zu erreichen. Beim Praxisbesuch sind laut den Ergebnissen räumliche Barrieren weniger das Problem, da die Mobilität im Unterschied zu Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen selten eingeschränkt ist. Eine Herausforderung für die Patienten seien eher Ängste vor dem Arztbesuch, für die Angehörigen dagegen die Abstimmungen der Termine mit dem Job und für beide die Wartezeit in der Praxis. Dabei sei insbesondere die mit der Wartezeit verbundene Erfahrung ein kritisches Moment. Belastend werde die teils ängstliche Anspannung der Patienten vor Untersuchungen erlebt, aber auch die Situation im Wartezimmer. Fazit: Angehörige sind wichtige Vermittler! Zu beachten sei, dass ein Drittel der Angehörigen in den vergangenen zwölf Monaten kritische Erfahrungen in Praxen gemacht hat, für 16 Prozent waren diese so störend, dass sie eine Beschwerde in Betracht zogen. Dass nur ein kleiner Teil sich dann auch tatsächlich beschwert hat, zeigt den Autoren zufolge, wie schwer es fällt, solche Erfahrungen anzusprechen. „Eine für Kritik offene Haltung in Praxen oder gar ein aktives Erfragen, was Patienten kritisch auffällt, könnten hilfreich sein, dies zu verbessern", bilanzieren die Autoren. Bei der medizinischen Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung ist es den Autoren zufolge sehr wichtig, sowohl deren Bedürfnisse und Anforderungen als auch ihre Angehörigen aktiv einzubeziehen. Das gelte schon für die Terminvereinbarung und die Praxiswartezeiten. Auch die medizinischen Besonderheiten und eine gute Beziehung der Ärzte zu den Patienten und Angehörigen während der Untersuchung seien von großer Bedeutung, weshalb Fortbildungen gefördert werden sollten. Als praktische Hilfen sollten Listen mit Praxen erfahrener Behandelnder verfügbar sein. Zudem wäre eine wohnortnahe interdisziplinäre und interprofessionelle Versorgungsmöglichkeit und für spezielle Bedarfe auch der Ausbau erreichbarer Versorgungszentren (MZEB) wünschenswert. ck Die Studie: Wellkamp R, de Cruppé W, Schwalen S, Geraedts M: Menschen mit geistiger Behinderung (MmgB) in der ambulanten medizinischen Versorgung: Barrieren beim Zugang und im Untersuchungsablauf [People with intellectual disabilities (ID) in outpatient medical care: barriers to access and treatment process]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2023 Feb;66(2):184-198. German. doi: 10.1007/s00103-023-03655-x. Epub 2023 Jan 16. PMID: 36645472; PMCID: PMC9892072. zm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1212)

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