Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 07

22 | ZAHNMEDIZIN AUS DER WISSENSCHAFT Das Geschlecht als biologische Variable bei oralen Erkrankungen Elmar Hellwig Das wissenschaftliche Interesse an geschlechts- oder weitergehend genderspezifischen Unterschieden in der Betrachtung von Gesundheit und Erkrankungen hat in den vergangenen Dekaden zugenommen. Ein Grund dafür ist die gewachsene Evidenz für den Einfluss geschlechtsspezifischer Eigenheiten auf Gesundheit, molekulare und zelluläre Prozesse und die Prädisposition für Erkrankungen. Die Übersichtsarbeit einer amerikanischen Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Frage, ob sich auch bei oralen Erkrankungen geschlechtsspezifische Unterschiede feststellen lassen. Die Studie von Linda Sangalli et al. analysiert mehr als 170 Originalarbeiten und es wird eine breite Spanne oraler Erkrankungen – angefangen von Parodontalerkrankungen über orofaziale Schmerzsymptome bis hin zum Risiko für die Kariesentstehung und zur Entstehung periapikaler Läsionen – berücksichtigt. Man dachte früher, dass es notwendig sei, dass Teilnehmer von klinischen Studien möglichst ähnliche Charakteristika (unter anderem Alter, Geschlecht, Gewicht) aufweisen müssen, um die Varianz der erhobenen Daten zu minimieren. Häufig wurden daher aufgrund der hormonellen Schwankungen keine Frauen berücksichtigt. Damit hätte es sich allerdings verboten, die Ergebnisse der entsprechenden klinischen Studien zu verallgemeinern. Erst im Jahr 1986 verabschiedeten die National Institutes of Health (NIH) in den USA eine neue Strategie, bei der Frauen ermutigt wurden, an klinischen Studien teilzunehmen. Letztlich wurde auch durch die vermehrte Aufmerksamkeit von offiziellen Förderorganisationen (NIH, Europäische Kommission) der Blick auf geschlechtsspezifische Unterschiede im Bereich der biomedizinischen Forschung bezogen auf Diagnose, Prävention und Therapie unterschiedlicher Erkrankungen geschärft. Das betrifft auch orale Erkrankungen. Dabei gilt es zusätzlich zu beachten, dass die Begriffe Geschlecht und Gender nicht das gleiche Phänomen beschreiben und nicht austauschbar sind. Der Begriff „Geschlecht“ kann auf mehreren Ebenen definiert sein, zum Beispiel Zugehörigkeit zu den Kategorien Mann oder Frau mit dem Foto: tadamichi - stock.adobe.com zm114 Nr. 07, 01.04.2024, (520)

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