72 | ZAHNMEDIZIN CIRSDENT-FALL ZUR MEDIKAMENTENVERWECHSLUNG Wie Fehler durch den „Schweizer Käse“ rutschen Der folgende Bericht aus der Pharmakotherapie schildert einen Fall von Medikamentenverwechslung. Da auch Zahnärztinnen und Zahnärzte Antibiotika aus der Cephalosporingruppe verordnen, veröffentlichen wir diesen Fachbeitrag aus der Zeitschrift „Arzneiverordnung in der Praxis“ der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) in einer leicht gekürzten Fassung. Der AkdÄ wurde der Fall eines 15-jährigen Patienten berichtet, der zur Behandlung einer Tonsillopharyngitis mit Halsschmerzen, Rhinitis, Husten und Fieber Cefaclor (CEC®) vom Hausarzt verordnet bekommt. Anamnestisch sind keine weiteren Erkrankungen bekannt. Etwa zwei Wochen später stellt sich der Junge mit persistierenden Halsschmerzen, Abgeschlagenheit und weiter bestehendem Fieber erneut vor. Der Test auf Influenza A fällt positiv aus. Es wird eine symptomatische Therapie mit Schmerzmittel, Hustensaft und Vitaminpräparaten (B12, C, D) angesetzt. Nach einer weiteren Woche kommen zum weiterhin hohen Fieber Synkopen, Petechien und Blutblasen enoral bei reduziertem Allgemeinzustand dazu. In der Notfallambulanz wird die Verdachtsdiagnose einer Epstein-Barr-Virus-Infektion gestellt und der Patient mit dem Zielauftrag einer serologischen Diagnosesicherung an den Hausarzt zurücküberwiesen. Zwei Tage später zeigen sich in der vom Hausarzt angesetzten Blutuntersuchung eine ausgeprägte Thrombozytopenie, Leukopenie, Anämie und Neutropenie. Im Krankenhaus erfolgt eine umfangreiche Diagnostik und Therapie, unter anderem mit Antibiotika, Virostatika und Antimykotika sowie Immunglobulinen. Zudem werden mehrere Thrombozyten- und Erythrozytenkonzentrate transfundiert. Aufgrund der anhaltenden Trizytopenie und Verdacht auf Leukämie wird eine Knochenmarkpunktion angesetzt, die eine komplette Aplasie des Knochenmarks ergibt. Bei der Befundbesprechung mit der Familie werden mögliche Ursachen der Aplasie angesprochen. Der Vater des Patienten berichtet von der Einnahme von Vitaminen und einem „Antibiotikum“. Er zeigt ein Handyfoto, auf dem das vermeintliche Antibiotikum zu sehen ist: Es handelt sich um Cecenu® mit dem Wirkstoff Lomustin [Lindner et al., 2024]. Am Anfang steht der Medikationsfehler Es stellt sich also heraus, dass statt Cefaclor (CEC®) fälschlicherweise das Zytostatikum Lomustin (Cecenu®) eingenommen wurde mit der Folge einer ausgeprägten sekundären Knochenmarkaplasie. In der ärztlichen Praxisverwaltungssoftware (PVS) sowie im Warenwirtschaftssystem der Apotheke (zum Beispiel Lauer-Taxe) werden CEC® und Cecenu® aufgrund der alphabetischen Anordnung direkt untereinander dargestellt. Cecenu® wurde versehentlich statt CEC® verordnet und in der Apotheke auch abgegeben. Der Patient nahm wie verordnet dreimal täglich eine Kapsel für sieben Tage ein. Damit ergibt sich eine kumulative Dosierung von 430 mg/m² Körperoberfläche in sieben Tagen, was auch bei korrekter Indikation überdosiert wäre: Die reguläre Schematische Darstellung des „Schweizer-Käse“-Modells: Barrieren und Sicherheitsvorkehrungen können versagen und „Löcher“ entstehen lassen, die von einer Unfallflugbahn eines Fehlers (roter Pfeil) durchdrungen werden, wenn sie in einer Achse liegen (modifiziert nach [Reason, 2000]). Foto:s AkdÄ, Julia Tim – stock.adobe.com zm115 Nr. 03, 01.02.2025, (174)
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