zm115 Nr. 03, 01.02.2025, (176) 74 | ZAHNMEDIZIN Wenn mehrere Barrieren versagen und die einzelnen „Löcher“ in einer Achse liegen, ist ein „Durchrutschen“ eines Fehlers möglich – eventuell mit erheblichen Konsequenzen. Die „Löcher“ entstehen durch aktives und latentes Versagen, werden durch beitragende Faktoren beeinflusst und sind außerdem „dynamisch“, das heißt, sie öffnen, schließen oder verschieben sich über die Zeit (siehe Abbildung). Anhand dieses Modells lassen sich die folgenden Schritte im Medikationsprozess und Sicherheitsbarrieren feststellen, bei denen Fehler aufgetreten sind, die durch die nachgeschalteten Sicherheitsmechanismen nicht aufgefangen werden konnten: Verordnung durch den Arzt: Bei der Verordnung wird versehentlich das falsche Arzneimittel rezeptiert: Cecenu® statt CEC®. Auswahl des Arzneimittels in der Praxisverwaltungssoftware (PVS): Im Verordnungsmenü der ärztlichen PVS werden die Arzneimittel alphabetisch gemäß des Fertigarzneimittelnamens und nicht nach Wirkstoffbezeichnung an erster Stelle aufgeführt. Der Wirkstoff wird nicht automatisch auf der obersten Bedienungsoberfläche angezeigt. Abgabe in der Apotheke:InderApotheke erfolgt die Abgabe des verordneten Cecenu®. Die Angabe der Diagnose auf dem Rezept ist bis auf wenige derzeit geltende Ausnahmen nicht verpflichtend, dies erschwert aber die kritische Prüfung der Plausibilität der Verordnung seitens der Apotheke. Daher wurdedieoffensichtlich falsche Dosierung (1–1–1) offenbar nicht bemerkt beziehungsweise nicht hinterfragt. Patient: Vulnerable Patientengruppe (Kinder und Jugendliche, Menschen mit Migrationsgeschichte): Beim jugendlichen Patienten und seiner Familie besteht eine Sprachbarriere, die die Kommunikation erschwert. Dies ist möglicherweise der Grund, warum die Gebrauchsinformation des Arzneimittels den Patienten beziehungsweise die Eltern nicht „alarmiert“. Notfallambulanz: Bei der erstmaligen Vorstellung in der Notfallambulanz fällt die Einnahme von Lomustin als vermeintliches Antibiotikum nicht auf, obwohl sie von den Eltern angegeben wird. Es erfolgt zudem keine Blutbilduntersuchung trotz bereits bestehender Petechien und Blutblasen enoral und hohem Fieber. Fazit Schwerwiegende Medikationsfehler werden wie im vorliegenden Fall häufig von einer ungünstigen Aneinanderreihung mehrerer ursächlicher Handlungen und Faktoren bedingt. Bei Verständigungsproblemen wie Sprachbarrieren sollten Hilfsmittel in die Beratung einbezogen werden (Übersetzungsprogramme, Informationen in anderen Sprachen, bebilderte, auf Patientenverständlichkeit geprüfte Einnahmeanleitungen). Orale Tumortherapeutika wie Lomustin-haltige Arzneimittel kommen immer häufiger zur Anwendung in onkologischen Indikationen und ermöglichen die Therapie zu Hause. Bei Oralia besteht aber je nach verfügbarer Packungsgröße und Primärverpackung (zum Beispiel Plastikdose versus Blister) durchaus ein Risiko einer akzidentellen Überdosierung mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen [AkdÄ, 2017, 2022; 2023]. Zudem ist die besondere Therapierichtung nicht immer auf Anhieb auf der äußeren Umhüllung der Arzneimittel erkennbar. Auch sollte bei der Benennung von Fertigarzneimitteln zukünftig verstärkt auf sogenannte „Sound-alikes“ und „Look-alikes“ geachtet werden, um Verwechslungen vorzubeugen. Von besonderer Relevanz erscheint, Medikationsfehler offen zu diskutieren und im Sinne einer konstruktiven Fehlerkultur darüber zu berichten, um die Arzneimitteltherapiesicherheit und dadurch die Patientensicherheit zu erhöhen. Verdachtsfälle von Medikationsfehlern und Nebenwirkungen sollten der AkdÄ mitgeteilt werden. Die Autorinnen und Autoren des Originalbetrags: Dr. P. H. Stanislava Dicheva-Radev, Berlin (stanislava. dicheva-radev@baek.de) Dr. med. Ursula Köberle, MPH, Berlin Dipl.-Pharm. Birgit Vogt, MSc, Berlin Dr. med. Ole Lindner, Freiburg Prof. Dr. med. Wolfgang Rascher, Erlangen Der Originalbeitrag: Arzneiverordnung in der Praxis, Bd. 51, Heft 1, April 2024, S. 28–31 Hrsg.: Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) CIRS DENT – JEDER ZAHN ZÄHLT! SO KANN ICH MITMACHEN „CIRS dent – Jeder Zahn zählt!“ (CIRS: Critical Incident Reporting System) ist ein Online-Berichts- und Lernsystem von Zahnärzten für Zahnärzte. Auf der Website www.cirsdent-jzz.de können dort angemeldete Kolleginnen und Kollegen auf freiwilliger Basis, anonym und sanktionsfrei über unerwünschte Ereignisse aus ihrem Praxisalltag berichten, sich informieren und austauschen. Ziel ist es, so aus eigenen Erfahrungen und denen anderer Zahnärzte zu lernen. Damit leistet jeder Teilnehmer einen aktiven Beitrag zur Verbesserung der Patientensicherheit. Rund 6.000 Zahnärzte haben sich bereits registriert und rund 180 Berichte eingestellt. Machen auch Sie mit – es lohnt sich! Zur Anforderung eines neuen Registrierungsschlüssels, etwa im Fall eines Verlusts, können sich Praxisinhaber an ihre zuständige Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) oder an cirsdent@ kzbv.de wenden. Privatzahnärztlich tätige Kollegen und die Leiter universitärer zahnärztlicher Einrichtungen erhalten die Registrierungsschlüssel von ihrer (Landes-)Zahnärztekammer, die Mitglieder der Bundeswehr von ihren Standortleiter. ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden.
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